Für wen gelten die Grundrechte?

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Die Grundrechte sind der wohl bekannteste Teil des deutschen Verfassungsrechts. Trotzdem wird ihre Funktion und ihre Geltung häufig nicht richtig verstanden. Dieser Artikel soll einen Überblick darüber geben, wann und wie die Grundrechte gelten.

Grundsätzlich gelten die Grundrechte für den Bürger und gegen den Staat. Es handelt sich um Abwehrrechte des Einzelnen gegen staatliche Vorschriften und Verbote. Das ist das klassische liberale Grundrechtsverständnis, das auch durch das Grundgesetz aufgegriffen wurde.

Normalfall: Grundrechte gelten für alle Menschen

Grundrechtsberechtigte sind also prinzipiell alle Menschen, unabhängig von ihrem Alter, ihrer Nationalität, ihrem Geschlecht usw.

Dies äußert sich im Grundgesetz oft durch das Wort „jeder“ bzw. umgekehrt „niemand“: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden (Art. 12 Abs. 2 GG), jedermann hat das Recht, eine Petition einzureichen (Art. 17 GG). Art. 1 Abs. 1 spricht von der Würde des Menschen, nach Abs. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen gleich zu behandeln. Diese Formulierungen sind im Endeffekt austauschbar, jedenfalls umfassen sie alle Menschen gleichermaßen.

Teilweise werden die Grundrechte aber auch nicht von den Personen definiert, sondern vom Inhalt des Rechtes her definiert: Art. 4 Abs. 1 GG schützt die Freiheit „des Glaubens“, Art. 13 Abs. 1 „die Wohnung“, Art. 103 Abs. 2 bestimmt, wann „eine Tat“ bestraft werden kann. Auch diese Grundrechte stehen dann jedem ohne Einschränkung zu.

Unterscheidung nach Staatsangehörigkeit

Dann gibt es aber auch noch Grundrechte, die nur bestimmte Staatsangehörige betreffen: Einige Grundrechte stehen – durch eine Entscheidung des Verfassungsgebers, die aber auch anders hätte ausfallen können – nur Deutschen (sowie gemäß Art. 18 AEUV aus EU-Bürgern, auch wenn es nicht im Grundgesetz steht) zu, so die Versammlungsfreiheit, die Freizügigkeit oder die Berufsfreiheit. 

Umgekehrt können nur Ausländer in Deutschland Asyl verlangen. Gegen den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft kann sich freilich schon denklogisch nur der wehren, der überhaupt deutscher Staatsbürger ist.

Art. 6 Abs. 4 GG schützt dagegen nur Mütter, ist also von vornherein nur auf einen umgrenzten Bevölkerungsteil anwendbar. Art. 12a GG dagegen verpflichtet einseitig Männer zum Wehrdienst, stellt also schon gar kein Grundrecht dar. Art. 33 Abs. 5 GG schützt nur Personen, die bereits Beamte sind.

Inländische juristische Personen

Artikel 19 Absatz 3 des Grundgesetzes legt dann fest, dass die Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten, „soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind“.

Juristische Personen sind zunächst einmal Vereine und Unternehmen, die nach den Vorschriften des Zivilrechts rechtsfähig sind, also z. B. Parteien, eingetragene Vereine, Stiftungen, Aktiengesellschaften, GmbHs usw. Verfassungsrechtlich wird dieser Begriff aber weiter ausgelegt, sodass alle Personengruppen mit einem gewissen Organisationsgrad darunter fallen, bspw. auch Personengesellschaft (GbR, OHG, KG), nicht eingetragene Vereine und Erbengemeinschaften.

„Inländisch“ ist eine Person, wenn sie ihren effektiven Sitz in der Bundesrepublik hat oder im Inland ihrer Tätigkeit nachgeht. Im Fall der Tätigkeit in mehreren Ländern kommt es darauf an, an welchem Ort die Mehrzahl der Unternehmensentscheidungen getroffen wird. Auch Sitz bzw. Tätigkeit in der EU reichen aufgrund des oben bereits erwähnten Diskriminierungsverbots aus Art. 18 AEUV.

Als nicht ausreichend wurde es angesehen, wenn eine US-amerikanische Anwaltskanzlei in Deutschland rechtliche unselbstständige Kanzleistandorte betreibt, an denen nur ein Bruchteil der weltweit tätigen Anwälte dieser Kanzlei arbeitet.

Keine „menschentypischen“ Grundrechte

Für die Übertragbarkeit des Grundrechts auf eine juristische Person ist notwendig, dass dieses nicht rein „menschentypisch“ ist, sondern auch juristische Personen gleichermaßen schützen kann. Solche nur auf Menschen zugeschnittene Grundrechte sind z.B. die Menschenwürde, die körperliche Unversehrtheit, das Familiengrundrecht und das Verbot der Zwangsarbeit. Auf diese können sich Unternehmen folglich nicht berufen.

Aber auch die juristische Person muss so verfasst sein, dass sie ein bestimmtes Grundrecht überhaupt ausüben kann. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Menschen, die diese Person bilden, ihre eigenen Grundrechtspositionen gerade durch diese juristische Person ausüben (sog. personales Substrat). 

So bündelt bspw. eine Partei die politischen Überzeugungen ihrer Mitglieder und kann so die Meinungsfreiheit für sich beanspruchen. Gleiches gilt, wenn die juristische Person gerade in einem Bereich wirkt, der grundrechtlich geschützt ist, bspw. eine Universität hinsichtlich der Wissenschaftsfreiheit.

Keine Grundrechte für den Staat

Ein weiteres Problem sind staatliche Institutionen: Der Staat ist eigentlich gerade der „Gegner“ der Grundrechte. Grundrechte sollen nicht den Staat schützen, sondern sie sollen den Bürger vor dem Staat schützen. Darum können sich staatliche Stellen eigentlich nicht auf die Grundrechte berufen.

Ausnahmen macht man lediglich bei Institutionen, die zwar staatlich sind, aber keine „klassischen“ Behörden darstellen, sondern zumindest eine gewisse Selbstständigkeit besitzen. Soweit diese eine spezielle Tätigkeit ausüben, die in grundrechtlich geschützten Bereichen stattfindet, können Sie sich auch auf diese Grundrechte (nicht aber auf andere) berufen.

Einzelne Rechte für staatliche Institutionen

So steht den gerade genannten Universitäten die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) zu. Ebenso können sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf die Pressefreiheit in Form der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) berufen. 

Auch die als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten Religionsgemeinschaften besitzen die speziellen Freiheitsrechte aus der Weimarer Verfassung, die das Grundgesetz in Art. 140 GG übernommen hat. Gemeinden können sich auf ihre kommunalen Grundrechte (Art. 28 Abs. 2 GG) berufen.

Aber auch, wenn den juristischen Personen nach dem eben Gesagten keine oder nur einzelne (materielle) Grundrechte zustehen, billigt man ihnen trotzdem bestimmte (prozessuale) Grundrechte zu. Soweit diese Personen an einem Gerichtsverfahren beteiligt sein können, stehen ihnen jedenfalls die Prozessgrundrechte zu, damit sie ihre Position gegenüber dem Gericht wenigstens effektiv wahrnehmen können.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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