3 Irrtümer über den Pflichtverteidiger

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Dass einem Beschuldigten unter gewissen Umständen ein Pflichtverteidiger an die Seite gestellt wird, ist weitgehend bekannt. Vielen ist allerdings nicht ganz klar, welche Umstände das genau sind, wodurch sich ein Pflichtverteidiger von dem gewählten Strafverteidiger unterscheidet, wer die Kosten für den Pflichtverteidiger trägt und nach welchen Kriterien die Beiordnung erfolgt.

Im Einzelfall können diese Unklarheiten ernstzunehmende Konsequenzen haben, wenn ein Beschuldigter, etwa aufgrund eines Irrtums, ganz auf Verteidigung verzichten will, oder nicht einschätzen kann, wie weit er dem eigenen Anwalt vertrauen sollte. 

Dieser Beitrag wird drei der häufigsten Irrtümer rund um die Pflichtverteidigung aufgreifen, ausräumen und Ihnen ein paar Tipps zum Umgang mit anfallenden Kosten und anstehender Auswahl des Verteidigers an die Hand geben.

Irrtum: „Wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können ...“

Hartnäckig hält sich das Gerücht, ein Pflichtverteidiger würde zur Verfügung gestellt, wenn es an den für die Beauftragung eines Strafverteidigers notwendigen finanziellen Mitteln fehlt. Entsprechende Belehrungen aus überwiegend amerikanischen Kriminalserien mögen diesen Eindruck bestärken. Aber auch in realen polizeilichen Vernehmungen wird dieser Irrtum immer mal wieder verbreitet.

Richtig ist: Pflichtverteidigung ist keine Frage des Einkommens

Mit dem Einkommen oder Vermögen eines Beschuldigten hat die Frage nach der Notwendigkeit der Verteidigung allerdings nichts zu tun. Der Gesetzgeber hat in § 140 StPO einen Katalog von Sachverhalten aufgenommen, bei deren Vorliegen die Mitwirkung eines Verteidigers zwingend erforderlich ist. Dahinter steckt der Gedanke, dass es Fälle gibt, in denen sich wegen der drohenden Konsequenzen oder der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten niemand allein verteidigen kann. 

Wird danach etwa ein Verbrechen vorgeworfen, oder findet die Hauptverhandlung vor dem Landgericht statt; droht ein Berufsverbot, oder wird sogar Untersuchungshaft vollstreckt, liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor. § 140 StPO enthält weitere Punkte, bis hin zu generellen Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage. 

Wer noch keinen Verteidiger hat, bekommt nun spätestens nach Anklageerhebung bzw. mit Beginn der Untersuchungshaft einen zur Seite gestellt. Und zwar selbst dann, wenn eigentlich ausreichende Mittel für die eigene Strafverteidigung vorhanden wären. 

Tipp

Seit einer Gesetzesänderung Ende 2019 haben Sie bereits im Ermittlungsverfahren ein eigenes Antragsrecht. Liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, können Sie direkt bei der Staatsanwaltschaft und sogar bei der Polizei die Beiordnung eines Verteidigers beantragen. Über den Antrag ist unverzüglich zu entscheiden. Insoweit sind Sie nicht mehr gezwungen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft abzuwarten.

Sollten Sie trotz Durchsicht des § 140 StPO unsicher sein, ob Ihr Fall die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erfolgreich macht, fragen Sie bei dem Verteidiger Ihres Vertrauens nach. Viele im Strafrecht tätige Kollegen geben hier gern Auskunft. Auch die Polizei ist grundsätzlich dazu angehalten solche Nachfragen zu beantworten, wobei die Qualität der Antwort sehr von dem jeweiligen Beamten abhängt. Schlussendlich werden Sie aber auch in aller Regel spätestens mit der Anklage seitens des Gerichts über die Notwendigkeit der Verteidigung informiert. 

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass unterhalb der Schwelle notwendiger Verteidigung selbst bei angespannter Finanzlage oder Mittellosigkeit kein Pflichtverteidiger bestellt wird. Es gibt nach wie vor keine klassische Prozesskostenhilfe in Strafsachen. Die entsprechende Richtlinie der EU wurde in Deutschland hat in der Umsetzung an dem Erfordernis einer gewissen Erheblichkeit des Vorwurfs nichts geändert.

Irrtum: Pflichtverteidiger sind immer kostenlos

Fast untrennbar mit dem Irrtum über die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigung geht die Ansicht einher, der beigeordnete Pflichtverteidiger sei für den Mandanten kostenlos. Auch das ist oftmals falsch. 

Richtig ist zwar, dass der als Pflichtverteidiger tätige Rechtsanwalt zunächst gegenüber der Landeskasse seine Gebühren nach dem Rechtsanwaltvergütungsgesetz (RVG) abrechnet. Von dort werden diese Gebühren sodann auch beglichen. Der Mandant hat damit also zunächst tatsächlich nichts zu tun. 

Richtig ist: Die Gebühren der notwendigen Verteidigung können als Teil der Verfahrenskosten zurückzuzahlen sein

Die für die notwendige Verteidigung anfallenden Gebühren sind allerdings Verfahrenskosten. Sofern es am Ende des Verfahrens zu einer Verurteilung kommt, hat das in aller Regel auch zur Folge, dass der/die Verurteilte diese Verfahrenskosten trägt (§ 465 StPO). 

Einzig in Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende kann von dieser Kostenfolge abgesehen werden (§§ 74, 109 JGG). Die Überraschung am Ende des Verfahrens ist angesichts dessen mitunter groß, wenn etwa zu einer Geldstrafe noch Verfahrenskosten hinzukommen, die jene durchaus überschreiten können. 

Tipp

Wenn Sie die Kosten gleichwohl nicht aufbringen können, wenden Sie sich bestenfalls unmittelbar nach Erhalt der Rechnung direkt an die Oberjustizkasse bzw. Landeskasse. Gegen Vorlage entsprechender Nachweise bestehen gute Möglichkeiten einer erträglichen Ratenzahlung, oder sogar einer Stundung. Sofern sich die finanzielle Situation nicht ändert, werden die Kosten später mitunter sogar niedergeschlagen. 

Endet das Verfahren hingegen nicht mit einer Verurteilung oder einem Freispruch, sondern durch Einstellung, haben Sie allein Ihre notwendigen Auslagen zu tragen. Die Kosten des Verfahrens und damit die Kosten der Pflichtverteidigung verbleiben bei der Landeskasse. 

Tipp

Wegen dieser Kostenfolge kann es sich in Fällen notwendiger Verteidigung wirtschaftlich anbieten, eine Einstellung gegen Auflage dem weiteren Verfahren vorzuziehen. Jedenfalls wenn Teile des Vorwurfs nicht zu widerlegen sind, sollten Sie, so eine Einstellung in Betracht kommt, die bereits angefallenen und noch zu erwartenden Verfahrenskosten der angedachten Auflage gegenüberstellen. So können Sie das weitere Vorgehen auch wirtschaftlich besser einschätzen. 

Irrtum: Das Gericht bestimmt den Pflichtverteidiger

Liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, stellt sich unweigerlich die Frage, wer die Verteidigung übernehmen soll. Die weit verbreitete Annahme, dass das von dem Gericht entschieden würde, ist insoweit zwar nicht ganz falsch, jedenfalls aber unvollständig. 

Richtig ist: Sie haben die Wahl

Bevor seitens des Gerichts nämlich ein Anwalt beigeordnet wird, hat ein Beschuldigter das Recht, selbst einen Strafverteidiger zu benennen, der die Verteidigung übernimmt. 

In aller Regel ist diesem Wunsch dann auch zu entsprechen. Das gilt selbst dann, wenn der gewünschte Verteidiger nicht am jeweiligen Gerichtsort ansässig ist. Das für eine effiziente, rechtsstaatliche Verteidigung erforderliche besondere Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant rechtfertigt auch die (vorläufige) Übernahme von Reisekosten und Abwesenheitsgeldern, solange die nicht vollkommen unverhältnismäßig sind. 

Solange sich ein Beschuldigter in Freiheit befinden ist das in der Regel unproblematisch. Spätestens wenn die Anklageschrift übersandt wird teilt das Gericht mit, dass es die Bestellung eines Pflichtverteidigers beabsichtigt. Zugleich wird der Beschuldigte aufgefordert binnen einer Frist – meist zwischen einer und zwei Wochen – einen Verteidiger des Vertrauens zu benennen. Somit verbleibt also zumindest genug Zeit für eine erste Recherche und Kontaktaufnahme. 

Nach einer Festnahme fällt das erheblich schwerer. Die Recherche ist nahezu unmöglich, vorbereitende Kontaktaufnahmen ebenfalls. Zwar sind die Ermittlungsbehörden gehalten, Beschuldigte bei der Suche zu unterstützen. Die Gelben Seiten oder ein Anwaltsregister helfen im Zweifel aber auch nicht wirklich weiter. So also nicht im Vorfeld bereits klar ist, wer im Fall der Fälle die Verteidigung übernehmen soll, geht es kaum mehr ohne die Hilfe von Dritten. 

Tipp

Bewahren Sie in dieser Situation unbedingt trotzdem Ruhe und lassen Sie sich nicht unter Druck setzen. Bitten Sie sich Bedenkzeit aus. Auch wenn man Ihnen sagt, dass Sie einen Anspruch auf unverzügliche Verteidigung haben, sollten Sie gleichwohl auf Ihrem Recht bestehen, sich Ihren Verteidiger auszusuchen. Selbst wenn das ein paar Tage dauert. 

Wenden Sie sich sodann – falls vorhanden – an einen Strafverteidigernotdienst vor Ort, oder beauftragen Sie nach Möglichkeit Ihre Familie oder Bekannte damit, einen engagierten Verteidiger zu finden. Dieser wird Sie schnellstmöglich aufsuchen und die in Ihrem Fall notwendigen Schritte veranlassen. 

Nutzen Sie Ihre Wahlmöglichkeit

Selbstverständlich können Sie auch abwarten und dem Gericht die Auswahl Ihres Pflichtverteidigers überlassen. Das muss nicht per se schlecht sein. Es gibt sicher genug Richter, die Verteidiger auswählen, weil Sie davon überzeugt sind, dass diese engagiert und konsequent für ihre Mandanten eintreten. 

Allein kontrollieren können Sie es nicht. Es gibt über eine Fachanwaltschaft und das durch einen Anwalt bekundete Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen keine objektiven Kriterien für die Auswahl des Pflichtverteidigers. 

Wenn Sie das – nachvollziehbar – für problematisch halten, gehen Sie das Risiko gar nicht erst ein und treffen Sie Ihre Wahl selbst. So haben Sie die Möglichkeit, sich für den Strafverteidiger zu entscheiden, dem Sie Ihre Verteidigung hinsichtlich Kompetenz und Engagement ohne Qualitätsverlust zutrauen. Viele, wenn nicht die meisten im Strafrecht tätigen Kollegen nehmen – freie Kapazitäten vorausgesetzt – Pflichtverteidigungen an.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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