Umfangreiche Symptome von Long-Covid fordern interdisziplinäre Ärzte im Versicherungsprozess

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Symptome von Long-Covid und zugehörige medizinische Fachbereiche

GRAFIK-Quelle: National Institute for Health and Care Excellence (2020) COVID-19 rapid guideline: managing the long-term effects of COVID-19


Umfangreiche Symptome von Long-Covid durch interdiszipläre Ärztegutachten im  Versicherungsprozess


Aufgrund der großen Zahl an COVID-19-Betroffenen ist auch vier Jahre nach Ende der akuten Pandemie mit einem hohen Prozentsatz an Betroffenen mit gravierenden medizinischen Folgen zu erwarten, insbesondere im Bereich der Berufstätigen im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in Laboren, die einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt waren. Aus diesem Grund werden auf allen Rechtsgebieten, insbesondere der Unfallversicherung, Krankentagegeldversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung, aber auch der gesetzlichen Rentenversicherung in zunehmender Häufigkeit gutachterliche und rechtliche Anforderungen zukommen.

Grundsätzlich gilt, dass der Antragssteller die Tatsachen (Erkrankung und ihre Folgen) nachweisen muss (objektive Beweislast), um einen Anspruch auf Versicherungsleistungen zu haben.


Long-Covid-Syndrome als einzelne Versicherungsfälle darlegen und nachweisen:


1)

Je nach Art der beruflichen Tätigkeit, die unter den Versicherungsschutz fällt, kann COVID-19 infolge einer Infektion mit SARS-CoV-2 entweder als Berufskrankheit oder als Arbeitsunfall anerkannt werden.

Eine Berufskrankheit „Infektionskrankheit“ nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) in Verbindung mit Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BK-Nr. 3101) kommt in Betracht, wenn die betroffene Person im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig ist oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr „in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“ und bei ihr eine Erkrankung durch eine „SARS-CoV-2-lnfektion“ im Vollbeweis während der beruflichen Tätigkeit nachgewiesen ist.

In etwa einem Viertel der Fälle kann eine COVID-19 auch einen Arbeitsunfall darstellen, wobei dieser definitionsgemäß den Nachweis eines Erregerkontakts („Unfallereignis“) während einer Arbeitsschicht voraussetzt. Hier wird die konkrete Übertragung des Virus im Rahmen der beruflichen Tätigkeit derzeit durch eine infizierte „Indexperson“ gefordert.

Vgl. auch Brandenburg S, Woltjen M (2021) COVID-19 als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall. Med Sachverstand 117:113–118; Struve N, Maier N (2021) Handlungsempfehlung Fallsteuerung COVID-19-Krankheitsfolgen, Handlungsempfehlung Fallsteuerung COVID-19-Krankheitsfolgen Stand 05/2021. Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege


2)

Ist die SARS-CoV-2-lnfektion als beruflicher Gesundheits(erst)schaden nachgewiesen, ist auch die nachfolgende Symptomatik als Gesundheitsfolgeschaden im „Vollbeweis“ zu sichern.

Es wurden laut Kassenärztlicher Vereinigung Bayern (KVB) vom Oktober 2023 mehr als 448.000 Menschen mit der Diagnose Long-Post-Covid ambulant versorgt.

Erfreulich sei, teilt das Gesundheitsministerium auf der Grundlage von Daten der KVB weiter mit, dass die Zahlen der Ersterkrankten deutlich zurückgingen.

Was genau „Long Covid“ hervorruft, ist bislang unklar. Und das Krankheitsbild ist so diffus, dass Betroffene es meist recht schwer haben, sowohl eine Diagnose zu erhalten, also auch eine Therapie zu bekommen.


3.

Ein Forscherteam aus Zürich hat im Blut von Long-Covid Patienten nach möglichen Gemeinsamkeiten gesucht, sogenannten Biomarkern, und mehr als sechseinhalbtausend verschiedene Eiweiße systematisch mit dem Blut gesunder Menschen verglichen. Darunter seien Eiweiße, die die Durchblutung und Immunreaktion steuerten, aber auch solche, die der Körper bei Abwehrreaktionen aktiviere, so erklärt es Prof. Dr. Andreas Stallmach, der das Post-Covid-Zentrum am Universitätsklinikum Jena leitet. Auf längere Sicht könnten die gefundenen Biomarker aber durchaus Hinweise darauf geben, wo Wirkstoffe im Blut für eine Therapie ansetzen könnten.

Die Ergebnisse, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei ihren Untersuchungen bekommen haben, weisen darauf hin, dass „möglicherweise eine entzündungsbedingte Durchblutungsstörung in kleinen Gefäßen bei Patienten mit Long-Covid vorliegt“, so Stallmach – also ein Teil der Immunabwehr aus dem Ruder gelaufen sein kann.

Bevor Therapien entwickelt werden könnten, müssten aber zunächst Studien mit größeren Patientengruppen durchgeführt werden. Kurzfristig „ergeben sich keine Behandlungskonsequenzen„, dämpft Stallmach die Hoffnungen von „Long-Covid“- Patienten. Dennoch ist ein entscheidender Schritt zur Diagnose von “Long-Covid“ gelungen


4.

Der erste Schritt für jede gutachtliche Beurteilung ist die im Vollbeweis gesicherte SARS-CoV- 2-lnfektion (mithilfe eines PCR-Virus- oder Antikörpernachweises). Sodann hat eine abgeschlossene symptomorientierte Organdiagnostik zur Sicherung bzw. zum weitestgehenden Ausschluss infektionsbedingter Organschäden zu erfolgen. Eine vollständige Dokumentation des Krankheitsverlaufs und Vorerkrankungen sind vorzulegen.

Im gutachtlichen Kontext wird die Kausalitätsbeurteilung auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu stützen sein. Dieser ist in Bezug auf „Corona“ ständig wachsend, sodass Sachverständige jeweils auf dem „neuesten Stand“ sein müssen. Auch wenn die Folgen einer SARS-CoV-2-lnfektion noch nicht vollständig verstanden sind, haben sich grundlegende pathophysiologische Erkenntnisse/Abläufe nicht geändert.

Da Erfahrungen hinsichtlich des Langzeitverlaufs von Long-Covid bislang nicht vorliegen, sollte bei Feststellung manifester Funktionsstörungen eine Nachbegutachtung in geeignetem Abstand (nach etwa einem Jahr bis 2 Jahren) empfohlen und gerichtlich tenoriert werden.

Der stetig wachsende wissenschaftliche Erkenntnisgewinn anhand gesicherter Studienergebnisse zu den Folgen der SARS-CoV-2-lnfektion und Long-Covid verlangt die fortwährende Anpassung der gutachtlichen Bewertung.

Nach Vorgaben und Anforderung der Personenversicherung muss der beauftragte Gutachter das Long-Covid Syndrom im Versicherungsfall als Folgeschaden einer Berufskrankheit bzw. eines Arbeitsunfalls nach Art und Ausprägung (Schweregrad) konkretisieren und als Berufskrankheit bzw. als Unfallfolge als Grundlage für die MdE-Einschätzung genau beschreiben und feststellen.

Aufgrund fehlender konsentierter MdE-Empfehlungen zu Long-Covid-Symptomen orientiert sich die MdE-Einschätzung für den jeweiligen Folgeschaden (u.U. bis zu 15) an den Empfehlungen der betroffenen medizinischen Fachgebiete (u.U. bis zu 8) und den jeweiligen Standardwerken zur Begutachtung.

5.

Besonderes Augenmerk verdient die MdE-Bewertung der Fatigue. Hier sind ggf. über mehrtägige Begutachtungen, auch unter stationären Bedingungen, die Art der festgestellten mehrdimensionalen (psychisch-emotional, sozial-kommunikativ, körperlich-funktionell) Funktionsbeeinträchtigungen, deren Ausprägung und Schweregrad festzustellen und zu berücksichtigen, was vergleichsweise auch für die Erfassung von psychischen Beeinträchtigungen als Folgeschaden gilt.

6.

Da sich Folgeschäden bei Long-Covid auf verschiedenen Fachgebieten häufig überschneiden, empfiehlt die DGUV idealerweise eine interdisziplinäre Begutachtung der Sachverständigen sowie ein fachübergreifendes Begutachtungskonsil für die Einschätzung, das sinnvollerweise im Rahmen einer stationären Begutachtung in einer geeigneten Klinik bzw Long-Covid Ambulanz angestrebt werden sollte. Sofern dies in der Praxis nicht möglich ist, sollten die Sachverständigen in deren Fachgebiet, in dem der Folgeschaden mit der stärksten Funktionsbeeinträchtigung liegt ( als „Hauptgutachter“ bezeichnet), mit der Einschätzung der MdE bzw. Grad der BU beauftragt werden, infolge einer sog. „integrierenden Gesamtschau“.

Entscheidend für die zukünftige Entwicklung und Beschleunigung der Gerichtsprozesse um das Thema Folgen von Post/Long Covid wird sein, dass Sachverständige auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Forschung in diesem Bereich sind und eine entsprechende Vernetzung erfolgt.

Aktuelle Fortbildung Frau Dr, Scheibenbogen der Charite Berlin https://player.vimeo.com/video/917863881

Sollten Sie Betroffener von Long-Covid sein und die Erfahrung machen, dass Ihre Versicherung Leistungen verweigert bzw. ungeeignete Sachverständige zur Leistungsprüfung einsetzt, so wenden Sie sich gerne mit Fragen an uns.

Foto(s): @National Institute for Health and Care Excellence (2020) COVID-19 rapid

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