Arzthaftung bei unterlassener (vorgezogene) Aufklärung über Möglichkeit des Kaiserschnittes (sectio)

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Aufklärung über Kaiserschnitt (Sectio) – Wann hat dies zu erfolgen?

Der Bundesgerichtshof (Urteil 28.08.2018, VI ZR 509/17) hatte folgenden Fall zu entscheiden:

I. Sachverhalt

Die Schwangere begab sich mit regelmäßiger Wehentätigkeit um 04.35 Uhr in die Geburtsklinik. Die CTGs zeigten zunächst eine eingeengte Herzfrequenz, waren aber gegen 07.03 unauffällig. Die erschöpfte Schwangere wollte sich ausruhen, so dass eine CTG-Pause bis 10.30 erfolgen sollte. Um 10.10 Uhr wurde nach einer erneuten Untersuchung die Geburtseinleitung mit einem wehenfördernden Mittel empfohlen. Ab 10.30 Uhr waren die CTGs wieder auffällig (Absinken der fetalen Herzfrequenz). Außerdem war der Muttermund noch nicht geöffnet. Um 12.48 Uhr wurde eine eilige Sectio angeordnet. Die Schwangere wurde hierüber aufgeklärt. Hierüber geriet die Schwangere derart in Panik, dass sie sich weigerte, einen Blasenkatheter anlegen zu lassen. Um 13.00 Uhr erfolgte die Information von Anästhesie, OP-Schwestern und Pädiater zur eiligen Sectio. Um 13.10 erhielt die Schwangere eine Spinalanästhesie und ein Medikament zur Wehenunterdrückung. Im OP-Bericht findet sich der Eintrag, dass die Schwangere nur "mäßig kooperativ und extrem aufgebracht" sei und die Sauerstoffzufuhr per Nasensonde und eine Sedierung zur Verbesserung der Kooperation ablehne.

Um 13.34 Uhr wurde die Klägerin mit einer schweren Hirnschädigung geboren.

II. Was sagt der Bundesgerichtshof?

Nachdem das Landgericht und das Oberlandesgericht gegen die Klägerin entschieden haben, hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Oberlandesgericht.

Der Bundesgerichtshof meint, dass die Schwangere früher über die Möglichkeit eines Kaiserschnittes hätte aufgeklärt werden müssen. 

"Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde die Mutter der Klägerin nicht über die Behandlungsalternative einer Sectio aufgeklärt, sondern allein über die Notwendigkeit der Durchführung einer eiligen Sectio; dies geschah zu einem Zeitpunkt, zu dem die Behandlungsalternative nicht mehr bestand." 

Die Schwangere hätte also im Rahmen einer vorgezogenen Aufklärung spätestens dann über die Möglichkeit eines Kaiserschnittes aufgeklärt werden müssen, als "aufgrund deutlicher Anzeichen die ernsthafte Möglichkeit bestand, dass die Schnittentbindung im weiteren Verlauf als relativ indiziert anzusehen sein würde. ... Grund für das Erfordernis der vorgezogenen Aufklärung ist, dass eine sinnvolle Besprechung der Problematik zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits von einer Gefährdungslage für das Kind ausgegangen werden muss, ... nicht mehr ohne weiteres möglich sein kann."

Nur, wenn die Schwangere bereits in diesem Stadium aufgeklärt wird, liegt in der Durchführung eines Kaiserschnittes (noch) eine Behandlungsalternative, für die sich die Schwangere entscheiden kann. Wäre die Schwangere hier früher über die Sectio aufgeklärt worden und hätte sie sich dafür entschieden, dann wäre ihre Tochter – die Klägerin – möglicherweise ohne Hirnschädigungen oder mit weniger Hirnschädigungen geboren worden. Diese Feststellungen muss nun das Berufungsgericht treffen, weshalb die Sache dorthin zurückverwiesen wurde.

III. Fazit

Die vorgezogene Aufklärung muss erfolgen, wenn sich abzeichnet, dass ein Kaiserschnitt notwendig werden kann. Nur dann ist ein Kaiserschnitt eine Behandlungsalternative. Erfolgt diese vorgezogene Aufklärung zu spät, ist ein Kaiserschnitt keine Behandlungsalternative mehr, sondern nur noch einzige Behandlungsmöglichkeit. Dies kann Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche begründen.

BGH, Urteil 28.08.2018, VI ZR 509/17

Vorinstanzen: 

LG Kiel, Entscheidung vom 24.02.2017 - 8 O 157/10 

OLG Schleswig, Entscheidung vom 20.12.2017 - 4 U 26/17



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