Auslieferungsstopp beim VW-Modell T6 („Bulli“): Sollten Käufer ihre Bestellungen stornieren?

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Bremen, 15.02.2018: VW Nutzfahrzeuge hatte im vergangenen Jahr dem Kraftfahrt-Bundesamt mitgeteilt, dass das Modell T6 („Bulli“) mit Pkw-Zulassung (sog. M1-Zulassung) die bei der Zertifizierung angegebenen Werte für Stickoxid überschreitet. Die VW-Sparte VW Nutzfahrzeuge liefert deshalb keine „Bullis“ mehr aus. Medienberichten zufolge ist VW mit diesem „freiwilligen“ Auslieferungsstopp nur einem Zulassungsstopp durch das Kraftfahrt-Bundesamt zuvorgekommen. Käufer bzw. Besteller betroffener T6-Modelle sind wegen der Abgasprobleme verunsichert und warten seit Monaten auf ihr Fahrzeug.

Zunächst hieß es, VW Nutzfahrzeuge teste ein „Software-Update“ für diese Fahrzeuge und rechne damit, im Februar mit der Auslieferung der Fahrzeuge zu beginnen. Jetzt werden erste Fälle bekannt, bei denen VW Nutzfahrzeuge den Käufern anbietet, ihre Bestellung zu stornieren, allerdings nur, wenn sie ein anderes Neufahrzeug der Modellreihe T6 bestellen, das der neuesten Euronorm entsprechen soll. Die neu bestellten T6 sollen dann womöglich erst im Herbst geliefert werden. Um diesen Zeitraum zu überbrücken, werden Mobilitätsgutscheine von Sixt angeboten.

Bevor Kunden ein solches Angebot annehmen, sollten sie sich die rechtlichen Konsequenzen klarmachen:

Die Stornierung der ursprünglichen Bestellung führt dazu, dass der ursprünglich mit VW Nutzfahrzeuge geschlossene Kaufvertrag einvernehmlich aufgehoben wird. Damit verzichtet der Kunde praktisch auch auf alle Rechte, die aus diesem Kaufvertrag herrühren bzw. mit ihm zusammenhängen.

Da wäre zunächst der Anspruch des Kunden gegen VW Nutzfahrzeuge, das von ihm bestellte Fahrzeug mit den vereinbarten Spezifikationen zu liefern. Ein Fahrzeug, das den Abgasnormen nicht entspricht, ist im Sinne des Kaufrechts mangelhaft. Die Übergabe einer mangelfreien Kaufsache ist aber Kardinalpflicht eines jeden Verkäufers.

Die Pflicht zur Übergabe des Kaufgegenstandes kann nur dann entfallen, wenn die Lieferung der Kaufsache faktisch unmöglich geworden ist (§ 275 BGB). Bei einem der größten Autokonzerne der Welt darf man aber voraussetzen, dass dieser in der Lage ist, ein dem Kaufvertrag entsprechendes, zulassungsrechtlich legales Fahrzeug der Modellreihe T6 zu liefern. Dass der VW-Konzern aus offenkundig selbstverschuldeten Gründen Probleme hat, mangelfreie Fahrzeuge zu liefern, also Fahrzeuge, die allen geltenden Abgasnormen entsprechen, führt nicht zum Wegfall der Leistungspflicht. VW Nutzfahrzeuge ist also ohnehin verpflichtet, ein in jeder Hinsicht mangelfreies Fahrzeug zu liefern, hierzu bedarf es keines neuen Kaufvertrages.

Die Kardinalpflicht des Käufers hingegen ist es, den Kaufpreis zu bezahlen. Nach § 313 BGB bestehen aber Ansprüche auf Vertragsanpassung, z. B. eine Reduktion des Kaufpreises, wenn die sogenannte „Geschäftsgrundlage“ des Vertrags gestört ist.

„Die Käufer des T6 befinden sich derzeit in einer vom VW-Konzern verschuldeten Lage, die im Rechtssinne unzumutbar ist. Durch die bekannt gewordenen Abgasprobleme beim T6 wird nun auch der „Bulli“ in den Strudel des Abgasskandals hineingezogen. Die von Kunden vielfach geäußerten Bedenken, gerade hinsichtlich der Wertstabilität der Fahrzeuge, sind berechtigt. Dass sich der Abgasskandal nun auch beim T6 manifestiert, stellt u. E. eine nachträgliche, schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage des ursprünglich geschlossenen Kaufvertrages dar“, sagt Rechtsanwalt Murken-Flato von HAHN Rechtsanwälte. Neben den Ansprüchen auf Vertragsanpassung kommen auch Ansprüche auf Ersatz von Schäden in Betracht, die durch eine unzumutbar lange Lieferzeit entstanden sind.

„Betroffene sollten zunächst Ansprüche aus dem bestehenden Vertrag prüfen lassen, bevor man sich auf Vertragsstornierungen einlässt“, rät Rechtsanwalt Murken-Flato.

Insbesondere Besteller, die auf eine Rechtsschutzversicherung zurückgreifen können und auf den T6 nicht verzichten möchten, sollten Maßnahmen ergreifen, bevor der alte Vertrag storniert wird.

Rechtsanwalt Murken-Flato: „Zudem sollte VW davon überzeugt werden, grundsätzlich die Folgen von Wartezeiten über den Liefertermin hinaus mit einer fairen Entschädigung in Geld auszugleichen, auch, wenn keine neuen Verträge unterschrieben werden.“

„Bulli-Fahrer“ sind aus unterschiedlichsten Gründen auf das erweiterte Platzangebot eines T6 angewiesen, ein „normaler“ Pkw ist kein ausreichender Ersatz. Für mehr als die berühmte „Golf-Klasse“ würden die angebotenen Mobilitätsgutscheine aber nicht reichen. Die Auszahlung einer angemessenen Entschädigung in Geld wäre für die Kunden die flexiblere und praktikablere Pauschallösung für ihre Mobilitätsprobleme. Angesichts des Gegenwertes der bereits angebotenen Gutscheine entsprechend sollte diese Entschädigung i. d. R. mehrere tausend Euro betragen.

Rechtsanwalt Murken-Flato ist Kooperationspartner im Beratungs- und Anwaltsnetzwerk der IG Dieselskandal.


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