Aussage-gegen-Aussage in Vergewaltigungsfällen - die unbegründete Angst vor Falschbeschuldigungen

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Im Zusammenhang mit Vergewaltigungsfällen hört man von Männern häufiger Befürchtungen, dass sie zu Unrecht einer Vergewaltigung beschuldigt werden könnten. Als Motivationsgrund wird dabei unter anderem ein Wunsch nach Aufmerksamkeit oder auch die Rache am Ex aufgrund der Trennung vermutet. Die Problematik besteht darin, dass es oft keine Zeug:innen gibt und somit Aussage gegen Aussage steht. Wie stellt sich die Situation aus rechtlicher und statistischer Sicht dar? Stellen die Sorgen vor Falschbeschuldigungen tatsächlich eine begründete Angst dar?


Der rechtliche Rahmen

In § 177 StGB sind zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung sowohl der sexuelle Übergriff, die sexuelle Nötigung als auch die Vergewaltigung als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles normiert. Gemäß § 177 Abs. 1 StGB wird, wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Gemäß § 177 Abs. 6 Nr. 1 StGB liegt ein besonders schwerer Fall in der Regel vor, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Dieses Regelbeispiel wird als Vergewaltigung bezeichnet.


Der In-dubio-pro-reo-Grundsatz (Im Zweifel für den Angeklagten oder auch Unschuldsvermutung) besagt, dass eine Verurteilung nur aufgrund eines zur vollen Überzeugung des Tatrichters festgestellten Sachverhalts zulässig ist. Zum Tatbestand der Vergewaltigung gehört, dass die Handlung nicht einvernehmlich ist. Darüber darf für das Gericht also kein Zweifel bestehen. Ein/e Richter/in kann in Aussage-gegen-Aussage Konstellationen sowohl zur vollen Überzeugung gelangen, dass Einvernehmen bestand, als auch, dass kein Einvernehmen bestand, je nachdem ob sie/er die Aussage des/der Verletzten für glaubhaft hält.


Was sagen die Statistiken?

Im Jahr 2022 wurden laut Bundeskriminalamt 11.896 Fälle von vollendeter und strafbar versuchter sexueller Nötigung, sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen erfasst. 7.408 der Täter:innen über 21 Jahre waren männlich und 87 weiblich. Im Jahr 2022 waren 11.339 der Betroffenen Frauen (94,46%) und 665 Männer (5,54%). Dies ist jedoch nur das Hellfeld. Hinzu kommt, dass 85,7% der Fälle sexualisierter Gewalt nicht zur Anzeige gebracht werden laut einer Studie des BMFSJ aus 2004. Hinzu kommt weiter das absolute Dunkelfeld, d.h. die Taten, die auch bei Erhebungen des Dunkelfeldes nicht bekannt werden, zum Beispiel weil die Betroffenen diese verschweigen.


Eine europaweite Studie aus dem Jahr 2009 („Different systems, similar outcomes? Tracking attrition in reported rape cases across Europe.” Jo Lovett & Liz Kelly (2009)) untersuchte in Deutschland 100 Fälle sexualisierter Gewalt und stellte fest, dass lediglich 3% davon Falschbeschuldigungen waren. Auch wenn dieser Wert aufgrund der geringen Anzahl der untersuchten Fälle eher als Richtwert gesehen werden kann, ähnelt dieser den Ergebnissen der weiteren elf untersuchten Länder. Im Durchschnitt lag der Anteil an Falschbeschuldigungen innerhalb der untersuchten Länder bei 1 – 9%. Zudem lässt sich festhalten, dass bei den Falschbeschuldigungen größtenteils schwere Vergewaltigungen, beispielsweise solche, bei denen eine Waffe involviert sei, beschrieben werden. Selten werden Situationen geschildert, die lediglich ein Missverständnis gewesen sein könnten. Zudem lässt sich erkennen, dass die Falschaussagen häufig von Jugendlichen getätigt werden, die ihren Eltern eine ungewollte Schwangerschaft erklären wollten oder wieso sie später als vorgegeben nach Hause gekommen sind, sowie von Personen, die an einer artifiziellen Störung leiden und Personen, die bereits häufiger wegen Betruges aufgefallen sind.


Fazit

Somit lässt sich feststellen, dass die Wahrscheinlichkeit, zu Unrecht einer Vergewaltigung beschuldigt zu werden, sehr gering ist. Betrachtet man das Hellfeld, ist die Wahrscheinlichkeit höher, als Mann selber vergewaltigt zu werden (im Jahr 2022 betraf das 665 Männer), als zu Unrecht einer Vergewaltigung beschuldigt zu werden (ausgehend 3 % der 7.408 Täter in 2022 = 222 falsch beschuldigte Männer).

Dies zeigt, wie richtig es ist, Vergewaltigungsvorwürfen Glauben zu schenken. Die Angst vor Falschbeschuldigungen ist in der Regel unbegründet.


RAin Hanna Müller unter Mitarbeit von Ann-Kathrin Eikhorst


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