Beamtenrecht - Konkurrentenstreitverfahren

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Leitsatz (Verfasser):

Sachlicher Grund für Abbruch Auswahlverfahren

Den Gesamtbewertungen von dienstlichen Beurteilungen kommt gegenüber den Einschätzungen von Auswahlgesprächen ein deutlich stärkeres Gewicht zu.


SächsOVG, Beschl. v. 06.02.2023, Az. 2 B 314/22



 I.  Der Sachverhalt 
 

 Der seit Juni 2019 vakante Dienstposten „Leitung des Amtes für Kinder, Jugend und Familie (Jugendamt i. S. d. SGB VIII)“ bei der Beschwerdegegnerin wurde Ende Januar 2020 zum zweiten Mal ausgeschrieben. In dem Amtsblatt der Beschwerdegegnerin vom 30.01.2020 heißt es in der Beschreibung des Anforderungsprofils u. a.: 
„Als führungserfahrene Persönlichkeit können Sie profunde Kenntnisse und Berufspraxis in ähnlicher Position in der Jugendhilfe und entsprechende Erfolge vorweisen“. 


Die Beschwerdeführerin, die als Verwaltungsoberrätin (A 14) im Jugendamt der Beschwerdegegnerin die Abteilung „Beistands-/Amtsvormund- und -pflegschaften“ leitet, bewarb sich auf diese Stelle. Im März und April 2022 wurden mit drei Bewerbern, u.a. der Beschwerdeführerin, Auswahlgespräche geführt. Als Ergebnis der Gespräche wurde in einem undatierten Vermerk der Beschwerdegegnerin in Bezug auf alle drei Bewerber keine „Empfehlung für weitere Gespräche“ abgegeben. Auch für die Beschwerdeführerin („Gesamteindruck Frau X“) wurde eine negative Einschätzung abgegeben.


Dieser Einschätzung schloss sich der Oberbürgermeister der Beschwerdegegnerin in einer am 20.09.2022 geführten Dienstberatung, an der der Beigeordnete für Jugend und Bildung, der Amtsleiter Haupt- und Personalamt und die Abteilungsleiterin Personalangelegenheiten teilgenommen hatten, an. Er entschied, das Stellenbesetzungsverfahren zu beenden. Der Beschwerdeführerin wurde mit Schreiben vom 6. Oktober 2022 mitgeteilt, dass keine geeignete Bewerberin bzw. kein geeigneter Bewerber aus den Gesprächen hervorgegangen sei, daher werde das Stellenbesetzungsverfahren abgebrochen.


Mit Beschluss vom 8. Dezember 2022 - 11 L 716/22 - lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Verpflichtung der Beschwerdegegnerin zur Fortführung des  Stellenbesetzungsverfahrens ab, da die Beendigung des Auswahlverfahrens rechtmäßig erfolgt sei.


Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Beschwerdeführerin hatte vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht (SächsOVG) Erfolg.


II. Die Entscheidung
 


 Das Sächsische Oberverwaltungsgericht gab der Beschwerde statt. Die Beschwerdeführerin habe sowohl den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.


Die Beschwerdegegnerin habe zu Unrecht das Stellenbesetzungsverfahren abgebrochen.


Der Abbruch des Auswahlverfahrens ist rechtswidrig und verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch. Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Daraus folgt der Anspruch eines Stellenbewerbers auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung



Auch ein Anordnungsgrund liegt vor, da „im Interesse der Rechtssicherheit umgehend zu klären ist, ob die betreffende Stelle nicht doch in dem von der Antragsgegnerin abgebrochenen Auswahlverfahren zu vergeben ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 3. Dezember 2014 - 2 A 3.13 -, juris Rn. 22 ff.; Senatsbeschl. v. 4. Juni 2020 - 2 B 98/20 -, juris).

Zwar ist es dem Dienstherrn grundsätzlich möglich, ein Stellenbesetzungsverfahren abzubrechen. Hier ist aber das Stellenbesetzungsverfahrens Leitung des Amtes für Kinder, Jugend und Familie unter Verletzung des Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 91 Abs. 2 SächsVerf i.V.m. § 9 BeamtStG erfolgt. Will der Dienstherr die (unverändert bleibende) Stelle weiterhin vergeben, hält hierfür aber ein neues Auswahlverfahren für erforderlich, dann bedarf der Abbruch eines Auswahlverfahrens eines sachlichen Grundes, der den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG genügt. Unsachlich sind Gründe, wenn sie nicht aus Art. 33 Abs. 2 GG abgeleitet werden können, etwa, wenn sie das Ziel verfolgen, einen unerwünschten Kandidaten aus leistungsfremden Erwägungen von der weiteren Auswahl für die Stelle auszuschließen (BVerwG, Urt. v. 26. Januar 2012 - 2 A 7.09 -, juris Rn. 27 m. w. N.). Die Abbruchentscheidung ist dann unwirksam, das Auswahlverfahren ist fortzuführen.


So verhielt es sich hier.


Die Erwägungen in dem undatierten Vermerk „Auswahlgespräch Frau ....“ und in der - ebenfalls undatierten - Übersicht „Ergebnis der Gespräche vom 18.03.2022 und 14.04.2022 - Zusammenfassung“, die die Grundlage („Tischvorlage“) für die am 20. September 2022 getroffene Abbruchentscheidung bilden, stellten nach Auffassung des SächsOVG keinen hinreichenden sachlichen Grund für den Abbruch des Auswahlverfahrens dar.

Nach der gefestigten Rechtsprechung kommt den dienstlichen Beurteilungen bei einer Auswahlentscheidung regelmäßig eine vorrangige Bedeutung zu, weil sie verlässliche Auskunft über die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des Beamten/der Beamtin geben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4. Oktober 2012 - 2 BvR 1120/12 -, BVerwG, Beschl. v. 25. Oktober 2011 - 2 VR 4.11). Zwar kann der Dienstherr sich weiterer Hilfsmittel wie u.a. eines Bewerbungsgesprächs für seine Auswahlentscheidung bedienen. Dabei darf er sich aber nicht in Widerspruch zu dem Leistungsprinzip setzen. Somit kommt den so gewonnenen weiteren Erkenntnissen lediglich ergänzender Charakter zu, sie vermögen also nicht für sich isoliert die Auswahl steuern zu können.


Wörtlich führt das SächsOVG aus:


 „Die von der Antragsgegnerin getroffene Einschätzung steht zudem im deutlichen Widerspruch zu den in den letzten Beurteilungen getroffenen Bewertungen, insbesondere betreffend das im Anforderungsprofil der Stellenausschreibung vorausgesetzte Merkmal der Führungserfahrung/-kompetenz. Die Feststellung der fehlenden Eignung als sachlicher Grund für den Abbruch des Besetzungsverfahrens konnte deshalb nicht ohne Einbeziehung und Auseinandersetzung mit den dienstlichen Beurteilungen der Bewerber erfolgen.“



III. Anmerkungen
 

Diese Entscheidung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht und anderer Obergerichte.

Sie enthält zwei wichtige Aussagen:

Zum einen ist der Dienstherr an das von ihm bei der Ausschreibung der Stelle aufgestellte Anforderungsprofil gebunden, solange er nicht durch einen sachlichen Grund das Verfahren abbrechen kann.

Hier kam einer ausgewiesenen Führungserfahrung/–kompetenz besondere Bedeutung zu. Diese konnte die Beschwerdeführerin durch jahrelange Tätigkeit in Führungspositionen und ihren Beurteilungen nachweisen.


Zum anderen hat das SächsOVG mit begrüßenswerter Klarheit ausgeführt, dass den dienstlichen (Regel-) Beurteilungen ein maßgebliches Gewicht bei der Bestenauslese im Auswahlverfahren beizumessen ist. Der Dienstherr vermag daher nicht durch eine entgegenstehende Einschätzung in einem Auswahlgespräch zu einer gänzlich gegenläufigen Einschätzung zu kommen und so die Auswahlchancen des Beamten/der Beamtin zu vereiteln. Andernfalls wäre ihm jeglicher Spielraum eingeräumt, das Prinzip der Bestenauslese gem. Art. 33 Abs. 2 GG auszuhöhlen und die Besetzung von höheren Ämtern im Wege der Ämterpatronage vorzunehmen.



Dresden, 21.06.2023



Lothar Hermes

Rechtsanwalt


Fachanwalt für Verwaltungsrecht


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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