Betriebsbedingte Kündigungen in Europa – wie gut ist der Schutz in Deutschland?

  • 5 Minuten Lesezeit

Das Grundprinzip des Kündigungsschutzes in Deutschland ist die Aufrechterhaltung des Jobs, wenn die Kündigung nicht wirksam war. Die Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht ist auf die Feststellung gerichtet, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Arbeitgebers nicht geendet hat.

§ 4 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz lautet deshalb

„Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist.“

Häufig enden Kündigungsschutzprozesse bei betriebsbedingten Kündigungen aber mit einer gütlichen Einigung. In der Praxis geht es also für den Arbeitnehmer nur noch darum, einen hohen Abfindungsbetrag mit dem Arbeitgeber zu verhandeln. Der Job ist dann aber nicht mehr vorhanden.

Was für einen Schutz haben Arbeitnehmer in Deutschland gegen betriebsbedingte Kündigungen?

Für ordentliche Arbeitgeberkündigungen gibt § 23 des Kündigungsschutzgesetzes vor, dass der Kündigungsschutz nur anwendbar ist, wenn der Betrieb, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer aufweist. Stimmt die Betriebsgröße damit überein, bedarf die Kündigung der „sozialen Rechtfertigung“. Das heißt, dass der Arbeitgeber einen Grund für die Kündigung haben muss.

Folgende Gründe listet das Gesetz in § 1 Absatz 2 KSchG auf

  • dringende betriebliche Erfordernisse
  • verhaltensbedingte Gründe
  • personenbedingte Gründe

Bevor der Arbeitgeber bei betriebsbedingten Gründen eine Kündigung ausspricht, muss er prüfen, ob nicht andere freie Stellen im Unternehmen vorhanden sind, auf denen der Arbeitnehmer, ggf. auch mit entsprechender Einarbeitung, weiterbeschäftigt werden kann. Unter vergleichbaren Arbeitnehmern muss er eine Sozialauswahl vornehmen. Außerdem muss er vorher den Betriebsrat ordnungsgemäß anhören und vieles mehr. Bei unklaren Fällen oder wenn der Arbeitnehmer sich anderweitig orientieren will, kommt es dann häufig zu einer einvernehmlichen Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung, also einer Entlassungsentschädigung.

Welche übergreifenden Regelungen gelten in der Europäischen Union?

In der europäischen Union gelten einige länderübergreifende Regelungen für Massenentlassungen und Unternehmensübergänge, die alle Mitgliedsstaaten einhalten müssen. Bei einer Massenentlassung ist beispielsweise die Mitarbeitervertretung und die zuständige Behörde (Arbeitsagentur) rechtzeitig über die geplanten Kündigungen zu informieren.

Wie sieht es in einzelnen Ländern der Europäischen Union aus?

Die Rechtslage bei betriebsbedingten Kündigungen ist sehr unterschiedlich in den Ländern Europas:

Großbritannien

Auf Wiedereinstellung kann, anders als in Deutschland, nicht geklagt werden. Das Gericht setzt die Höhe der Entlassungsentschädigung fest. Bei betriebsbedingten Kündigungen sieht das Gesetz je nach Betriebszugehörigkeit eine Abfindung vor.

Niederlande

Betrieblich veranlasste Arbeitgeberkündigungen sind von der vorherigen Zustimmung einer Arbeitsbehörde abhängig. Die Behörde stimmt in der Regel bei Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen zu, kann aber auch Auflagen erteilen. Bei einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen kann der Arbeitgeber eine Abfindung anbieten. Nimmt der Arbeitnehmer die Kündigung freiwillig an, wirkt sich dies günstig auf das Genehmigungsverfahren aus.

Frankreich

Keine Kleinbetriebsklausel wie in Deutschland, bei unfairen Kündigungen kann ggf. eine Entschädigung erstritten werden. Betriebsbedingte Kündigungen sind bei Einhaltung bestimmter Regeln zulässig. Der Arbeitnehmer muss vor der Kündigung zu einem Gespräch eingeladen werden. Bei betriebsbedingten Entlassungen muss eine Abfindung gezahlt werden, deren Höhe sich aus Gesetz oder Arbeitsbedingungen ergibt. Bei größeren Entlassungsmaßnahmen muss der Arbeitgeber einen Sozialplan anbieten.

Österreich

In Österreich gibt es bei einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung eine Abfindung. Arbeitgeber zahlen Beiträge zu einer Versorgungseinrichtung, die die Abfindung zahlt. Bei ungerechtfertigter Kündigung kann der Arbeitnehmer in größeren Betrieben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erstreiten.

Italien

Der Gesetzgeber sieht hier Ansprüche auf Abfindung bei Kündigung vor, der Arbeitgeber kann bei wirtschaftlichen Gründen bei Einhaltung bestimmter Vorgaben kündigen. Stellt ein Gericht die Unwirksamkeit der Kündigung fest, kann der Arbeitgeber in kleineren Betrieben, statt den Arbeitnehmer wieder zu beschäftigen, nach seiner Wahl eine Abfindung zahlen.

Dänemark

Dort sind die Kündigungsfristen teilweise sehr kurz. Nennenswerte gesetzliche Hürden für Kündigungen gibt es nur für Angestellte. Gibt es keine Aufträge bzw. reduziert sich das Arbeitsvolumen, kann der Arbeitgeber einfacher kündigen. Bei Kündigungen ohne nachvollziehbaren Grund kann der Arbeitnehmer nicht die Weiterbeschäftigung, sondern nur eine Entschädigung für den Arbeitsplatz verlangen. Außerdem gibt es Abfindungsansprüche laut Gesetz für Angestellte nach längerer Betriebszugehörigkeit.

Griechenland

Der Arbeitgeber kann auch fristlos aus betrieblichen Gründen kündigen, wenn er das Entgelt noch bis zum Ablauf einer gewissen Zeit weiterzahlt. Kündigt der Arbeitgeber unter Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist, muss der Arbeitnehmer noch weiter arbeiten, der Arbeitgeber muss dann aber noch eine Abfindung zahlen legen.

Welcher Rückschluss lässt sich daraus für betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland ableiten?

Das deutsche System des Schutzes gegen betriebsbedingte Kündigungen zielt – anders als in vielen anderen Ländern – eigentlich auf den Erhalt des Arbeitsplatzes ab, in der Praxis kommt es bei betriebsbedingten Kündigungen aber viel häufiger zu einer einvernehmlichen Beendigung mit einer Abfindung.

Der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen ist daher nach Ansicht vieler Experten in Deutschland nicht höher als in denjenigen Ländern, in denen bei einer ungerechtfertigten Kündigung prinzipiell nur eine Entschädigung und nicht eine Wiederbeschäftigung erstritten werden kann.

Das Kündigungsschutzgesetz und die Rechtsprechung haben den Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen über die Jahre eher verschlechtert: Früher galt das Kündigungsschutzgesetz in Betrieben mit mehr als fünf Arbeitnehmern, ab 2004 wurde der Schwellenwert auf mehr als zehn Arbeitnehmer heraufgesetzt. Arbeitgeber nutzen seit vielen Jahren flexiblere Beschäftigungsmodelle wie befristete Arbeitsverhältnisses oder Zeitarbeitnehmer.

Eine von der gewerkschaftsnahen „Hans-Böckler-Stiftung“ im Jahr 2008 in Auftrag gegebenen Studie zeigte, dass der Schutz gegen Massenentlassungen in Deutschland im europäischen Vergleich eher gering ist. Zeitaufwand und Kosten von Massenentlassungen bei Betriebsänderungen seien für deutsche Unternehmen vergleichsweise niedrig, der staatliche Einfluss in anderen Ländern höher, so z. B. in den Niederlanden oder Frankreich. Der deutsche Gesetzgeber setze eher darauf, dass Betriebsräte und Arbeitgeber einvernehmliche Lösungen finden. Der Staat hält sich aus der Regulierung betriebsbedingter Entlassungen tendenziell eher heraus. Die Arbeitsgerichte in Deutschland verfolgen seit geraumer Zeit das Prinzip, die unternehmerische Entscheidung, die einer betriebsbedingten Kündigung zugrunde liegt, nicht ins Detail überprüft wird. Nur bei „offensichtlicher Willkür“ kann die Arbeitgeberentscheidung theoretisch angegriffen werden.

Auf der anderen Seite ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei betriebsbedingten Kündigungen anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten und die soziale Verhältnismäßigkeit für den Arbeitnehmer zu prüfen (Sozialauswahl, Interessenabwägung). Mittlerweile hat sich auch die Auffassung verbreitet, dass Betriebsräte notfalls durch einstweilige Anordnungen des Arbeitsgerichts verhindern können, dass der Arbeitgeber eine Betriebsänderung durchführt, bevor er nicht mit dem Betriebsrat verhandelt hat.

Damit lässt sich ein Personalabbau aber letztlich nicht verhindern, wenn der Arbeitgeber sich einmal dazu entschlossen hat und auch durch Verhandlungen mit dem Betriebspartner oder der Gewerkschaft davon abbringen lässt.

Die meisten betriebsbedingten Kündigungen sind nicht eindeutig rechtswirksam. Es empfiehlt sich in jedem Fall eine Beratung durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht, da diese Anwälte auch Erfahrung mit solchen Fällen haben und abschätzen können, ob sich eine Kündigungsschutzklage lohnt.

Dr. Bert Howald

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel, Stuttgart


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. Bert Howald

Beiträge zum Thema