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Beweislastumkehr bei grober Pflichtverletzung auch bei Hausnotruf und nicht nur im Arzthaftungsrecht

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Beweislastumkehr bei grober Pflichtverletzung nicht nur bei ärztlichen Behandlungsfehlern – hier: Hausnotruf (BGH, Urteil vom 11.5.2017)

Sachverhalt:

Der damals 78jährige Bewohner (Pflegestufe 2) eines Seniorenheims hatte zu seiner Sicherheit einen Hausnotrufvertrag abgeschlossen. Im Falle eines Notrufs sollte die angemessene Hilfeleistung bis hin zur Beauftragung des Rettungsdienstes oder Organisation ärztlicher Versorgung unverzüglich erbracht oder vermittelt werden. Er setzte am 9.4.2012 einen Notruf ab, konnte sich aber krankheitsbedingt nicht weiter äußern. Ein Mitarbeiter des Notrufs fand ihn am Boden liegend vor; mit Hilfe eines hinzu gerufenen Kollegen setzte er den stark übergewichtigen, an diversen Krankheiten leidenden Patienten auf das Sofa – weiter unternahm er nichts. 3 Tage später fand ihn dann das Personal des Seniorenheims erneut am Boden liegend in seinem Zimmer vor mit Lähmungserscheinungen und einer Sprachstörung (Aphasie). Das Pflegeheim veranlasste die sofortige Einweisung ins Krankenhaus. Dort wurde ein nicht mehr ganz frischer Schlaganfall diagnostiziert, vermutlich 1 – 3 Tage zurückliegend. Im Krankenhaus erlitt der Patient sodann einen weiteren Schlaganfall. Anschließend litt er anhaltend an Aphasie und war auf den Rollstuhl angewiesen. 3 Jahre später starb er. Im Prozess ging es um Schadensersatz gegen den Betreiber des Hausnotrufs.

Beweislast – das Problem

Grundsätzlich gilt die Regel: wer einen Anspruch geltend macht, muss die anspruchsbegründenden Umstände vortragen und auch beweisen (wenn der Gegner sie bestreitet). Das nennt man Darlegungs- und Beweislast. Kann die beweisbelastete Partei im Prozess den Nachweis nicht führen, dann muss das Gericht beim Urteil davon ausgehen, dass der behauptete aber bestrittene und nicht bewiesene Umstand nicht vorliegt. In der Folge führt dies zum Prozessverlust (wenn der nicht nachgewiesene Umstand entscheidungserheblich war).

Beweislastumkehr für Nachweis der Kausalität – eine Ausnahme bei der Arzthaftung:

Im Arzthaftungsrecht haben die Gerichte in jahrzehntelanger Rechtsprechung Ausnahmen von diesem Grundsatz entwickelt, die bis hin zur punktuellen Beweislastumkehr bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers führen. Macht der Arzt einen solchen groben Behandlungsfehler, dann muss unter gewissen Voraussetzungen der Patient ihm nicht nachweisen, dass dieser Fehler für den eingetretenen Schaden kausal (ursächlich) war – sondern umgekehrt muss der Arzt nachweisen, dass sein grober Fehler nicht für den Schaden kausal war. Die Beweislast kehrt sich also für diesen Ausnahmefall um vom Patienten auf den Arzt.

Diese Rechtsprechung floss ein in die gesetzliche Regelung zum ärztlichen Behandlungsvertrag, § 630h BGB. 

Beweislastumkehr – Erweiterung des Anwendungsbereichs auch außerhalb der Arzthaftung?

Die Umkehr der Kausalitätsbeweislast ist eine Ausnahme von den sonst allgemein gültigen Beweisprinzipien und eine Spezialität im Arzthaftungsrecht (Humanmedizin).

Jedoch hat der BGH jetzt (Urteil vom 11.5.2017) diese Beweislastumkehr auch bei einer groben Verletzung von Vertragspflichten bei einem Hausnotrufvertrag angewandt. 

Der BGH sah eine Parallele zum Arztvertrag, weil auch beim Hausnotruf Kern des Vertrags der Schutz von Leben und Gesundheit des Patienten ist und die medizinischen Abläufe und Schwierigkeiten in der Beweisführung (Fehler / Krankheit / Folgen / Ursächlichkeit) ähnlich liegen wie bei der ärztlichen Behandlung. Insbesondere ist es für den Patienten oft schwierig, nach längerer Zeit die Ursachen für den Eintritt einer Krankheit oder eines Gesundheitsschadens nachzuweisen. Dies dürfe – in Ausnahmefällen – nicht dem Geschädigten beweisrechtlich zum Verhängnis werden. Die Generalbestimmung aus Treu und Glauben, § 242 BGB, verlange in einem derartigen Fall eine Beweiserleichterung für den Geschädigten, so der BGH.

Anmerkung:

Es bleibt abzuwarten, ob die Beweislastumkehr bei grober Verletzung vertraglicher Pflichten auch auf andere Bereiche ausgeweitet wird. Bei Verträgen, die ähnlich dem ärztlichen Behandlungsvertrag den Schutz von Leib und Leben des Vertragspartners zum Gegenstand haben, spricht Einiges für ihre Anwendung.



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