BGH: Abbruch lebenserhaltender Behandlungen auf Grundlage des Patientenwillens nicht strafbar

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Ein für das Fachgebiet des Medizinrechtes spezialisierter Rechtsanwalt wurde durch das zuständige Landgericht wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Seine ursprünglich mitangeklagte Mandantin hat das Landgericht rechtskräftig freigesprochen. Der verurteilte Rechtsanwalt vertrat die beiden Kinder einer 1931 geborenen Mutter. Diese lag seit Oktober 2002 in einem Wachkoma und wurde in einem Pflegeheim über einen Zugang in der Bauchdecke künstlich ernährt. Eine Besserung ihres Gesundheitszustandes war medizinisch nicht mehr zu erwarten.

Entsprechend einem von der Patientin im September 2002 mündlich geäußerten Wunsch, bemühten sich deren Kinder, die inzwischen zu Betreuern ihrer Mutter bestellt worden waren, um die Einstellung der künstlichen Ernährung, um ihrer Mutter ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Nach Auseinandersetzungen mit der Heimleitung kam es Ende 2007 zu einem Kompromiss, wonach das Heimpersonal sich nur noch um die Pflegetätigkeit im engeren Sinne kümmern sollte, während die Kinder der Patientin selbst die Ernährung über die Sonde einstellen, die erforderlichen Versorgungsmaßnahmen durchführen und ihrer Mutter im Sterben beistehen sollten.

Nachdem die Tochter der Patientin am 20.12.2007 die Nahrungszufuhr über die Ernährungssonde beendet hatte, wies die Geschäftsleitung des Krankenhausunternehmens am 21.12.2007 die Heimleitung an, die künstliche Ernährung umgehend wieder aufzunehmen. Den Kindern der Patientin wurde ein Hausverbot für den Fall angedroht, dass sie sich hiermit nicht einverstanden erklären sollten. Daraufhin erteilte dann der später, wie oben dargelegt, verurteilte Rechtsanwalt den Kindern der Patientin den Rat, den Ernährungsschlauch unmittelbar über der Bauchdecke zu durchtrennen. Diesem Rat folgte die Tochter der Patientin. Nachdem das Heimpersonal dieses kurzfristig festgestellt hatte, schaltete die Heimleitung die Polizei ein und die Patientin wurde vorübergehend verlegt sowie die künstliche Ernährung wieder aufgenommen. Die Patientin verstarb dort drei Wochen darauf eines natürlichen Todes aufgrund ihrer Erkrankung.

Das Landgericht hat das Handeln des angeklagten Rechtsanwalts als einen gemeinschaftlich mit der Tochter der Patientin begangenen versuchten Totschlag durch aktives Tun - im Gegensatz zum bloßen Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung durch Unterlassen - gewürdigt, weil weder eine mutmaßliche Einwilligung der Patientin noch die Grundsätze der Nothilfe oder des rechtfertigenden Notstandes vorgelegen haben. Auch auf einen entschuldigenden Notstand könne sich der Angeklagte nicht berufen. Soweit er sich in einem sogenannten Erlaubnisirrtum befunden habe, sei dieser, für ihn als einschlägig spezialisierten Rechtsanwalt, vermeidbar gewesen. Einen unvermeidbaren Erlaubnisirrtum sprach das Landgericht jedoch der mitangeklagten Tochter der Patientin zu, die deshalb freigesprochen wurde.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat das Urteil (Urteil vom 25.06.2010, Az.: 2 StR 454/09) auf die Revision des angeklagten Rechtsanwaltes aufgehoben und ihn freigesprochen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen in Fällen aktueller Einwilligungsunfähigkeit von einem bindenden Patientenwillen auszugehen ist, war zur Tatzeit wegen miteinander nicht ohne weiteres vereinbarer Entscheidungen des Bundesgerichtshofes noch nicht geklärt. So lag eine eher widersprüchliche Rechtsprechung zur Verbindlichkeit der sogenannten Patientenverfügung und zur Frage vor, ob die Zulässigkeit des Abbruchs einer lebenserhaltenden Behandlung auf tödliche und irreversibel verlaufenden Erkrankungen des Patienten beschränkt seien oder von Art und Stadium der Erkrankung unabhängig seien, daneben auch das Erfordernis der gerichtlichen Genehmigung einer Entscheidung des gesetzlichen Betreuers über eine solche Maßnahme. Der Gesetzgeber hatte diese Fragen durch das sogenannte Patientenverfügungsgesetz mit Wirkung vom 01.09.2009 ausdrücklich geregelt. Der genannte Senat des Bundesgerichtshofes konnte daher entscheiden, ohne an frühere Entscheidungen anderer Senate gebunden zu sein.

Das Landgericht sei im Ergebnis zutreffend davon ausgegangenen, dass die durch den Kompromiss mit der Heimleitung getroffene Entscheidung zum Unterlassen weiterer künstlicher Ernährung rechtmäßig war und, dass die von der Heimleitung angekündigte Wiederaufnahme als rechtswidriger Angriff gegen das Selbstbestimmungsrecht der Patientin gewertet werden konnte. Die im Dezember 2002 geäußerte Einwilligung der Patientin, die ihre Betreuer geprüft und bestätigt hatten, entfaltete bindende Wirkung und stellte, sowohl nach dem seit dem 01.09.2009 als auch nach dem zur Tatzeit geltenden Recht, eine Rechtfertigung des Behandlungsabbruches dar. Dies gilt jetzt, wie auch § 1901a Abs. 3 BGB ausdrücklich regelt, unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung.

Dagegen träfe die Bewertung des Landgerichtes nicht zu, der Angeklagte habe sich durch seine Mitwirkung an der aktiven Verhinderung der Wiederaufnahme der Ernährung wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht. Die von den Betreuern geprüfte Einwilligung der Patientin rechtfertige nicht nur den Behandlungsablauf durch bloßes Unterlassen weiterer Ernährung, sondern auch ein aktives Tun, das der Beendigung oder Verhinderung einer, von ihr nicht oder nicht mehr gewollten, Behandlung diene. Eine nur an den Äußerlichkeiten von Tun oder Unterlassen orientierte Unterscheidung der straflosen Sterbehilfe vom strafbaren Töten des Patienten wird dem sachlichen Unterschied zwischen der auf eine Lebensbeendigung gerichteten Tötung und Verhaltensweisen nicht gerecht, die dem krankheitsbedingten Sterbenlassen mit Einwilligung des Betroffenen seinen Lauf lassen.

Fazit: Der Bundesgerichtshof hat mit dieser Entscheidung, die ohnehin seit jeher kritisierte und in Einzelfällen wenig überzeugende Auffassung korrigiert, wonach es hier für die Strafbarkeit unter anderem darauf ankommen könne, ob ein Unterlassen etwa einer lebenserhaltenden Ernährung oder auf aktives Tun, etwa das Unterbrechen einer laufenden künstlichen Ernährung, vorliege. Mit dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof die Rechtssicherheit im Zusammenhang derartiger Vorgänge erhöht und den Patientenwillen gestärkt. Diese aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofes macht deutlich, wie bedeutend es für jeden ist, zu gesunden Zeiten bereits eine Patientenverfügung zu erstellen, da diese auch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sicher geeignet ist, ein wunschgemäßes Sterben zu ermöglichen.


RA Arno Wolf

Fachanwalt für Erbrecht

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