Bilanzielle Bewertung einer Forderung erfordert Sachverständigengutachten oder Sachkundenachweis

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Zwecks Feststellung der Richtigkeit eines Bestätigungsvermerkes für einen Jahresabschluss kommt es in Bezug auf die in der Bilanz eingestellten Forderungen in Zweifelsfällen auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens an, wenn es um Schadensersatzansprüche aufgrund eines fehlerhaften Testates geht. In der BGH-Entscheidung vom 20. Januar 2022 – III ZR 194/19 wird ausgeführt, zur Beurteilung der richtigen bilanziellen Bewertung einer möglicherweise risikobehafteten Forderung sei im Zivilprozess in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten, es sei denn, das Gericht verfüge ausnahmsweise selbst über die notwendige besondere Sachkunde und Weise die Parteien zuvor hierauf hin.

In der BGH-Entscheidung vom 20. Januar 2022 – III ZR 194/19 –heißt es:

„Ist eine Forderung risikobehaftet, ist diesem Umstand durch eine Abschreibung nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1, § 253 Abs. 4 HGB Rechnung zu tragen (vgl. Schubert/Berberich, Beck’scher Bilanz-Kommentar, 12. Aufl., § 253 Rn. 569 f; Lahme aaO Rn. 11). Diese sogenannten zweifelhaften Forderungen sind mit ihrem wahrscheinlichen Wert anzusetzen (BGH, Urteil vom 22. Juli 2021 - IX ZR 26/20, NJW-RR 2021, 1350 Rn. 30; so auch zur Steuerbilanz BFH, DStR 2003, 2060, 2061 mwN). Dies ist der Wert, mit dem sie wahrscheinlich realisiert werden können (Bertram/Kessler in Haufe, HGB Bilanz Kommentar, 10. Aufl., § 253 Rn. 306), wobei grundsätzlich eine Einzelbewertung vorzunehmen ist (Bertram/Kessler aaO Rn. 311 ff; leicht einschränkend Böcking/Gros/Wirth aaO). 

Ein (wegen Ausfallrisikos) unter ihrem Nennbetrag liegender Wert von Geldforderungen kann im Allgemeinen nur im Wege der Schätzung ermittelt werden. Dabei kommt dem Ermessen des Kaufmanns besondere Bedeutung zu (zum Beurteilungsrahmen des Kaufmanns vgl. auch BGH, Urteil vom 29. März 1996 - II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 272). Maßgebend ist, ob ein vorsichtig bewertender Kaufmann nach der allgemeinen Lebenserfahrung aus den jeweiligen Umständen des Einzelfalles die Annahme eines - teilweisen - Forderungsausfalls herleiten darf. Die Zahlungsfähigkeit und die Zahlungswilligkeit (Bonität) eines Schuldners sind dabei individuell nach dessen Verhältnissen zu ermitteln. Allerdings muss die Schätzung eine objektive Grundlage in den am Abschlussstichtag gegebenen Verhältnissen finden. Schätzungen, die auf bloßen pessimistischen Prognosen zur zukünftigen Entwicklung beruhen, sind unbeachtlich (vgl. zur Steuerbilanz BFH aaO mwN).

In zeitlicher Hinsicht sind bei der Bewertung gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 HGB alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen, selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Ja vom 18. September 1996 - VIII ZR 238/95, NJW-RR 1997, 27, 28; Kahle/Braun/ Eichholz in Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht Kommentar, 2. Aufl., § 252 Rn. 141 f; vgl. auch BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 aaO Rn. 52 und 55). Der zu berücksichtigende Umstand selbst muss jedoch bereits zum Abschlussstichtag vorgelegen haben; wertbegründende oder wertbeeinflussende Tatsachen, die erst nach dem Abschlussstichtag entstanden sind, müssen dagegen unberücksichtigt bleiben (vgl. Kahle/Braun/Eichholz aaO Rn. 143; Tiedchen in BeckOGK, HGB, § 252 Rn. 49 [Stand: 15. September 2020]).Jahresabschlusses bekanntgeworden sind (sog. wertaufhellende Tatsachen, vgl. BGH, Urteil“, BGH-Entscheidung vom 20. Januar 2022 – III ZR 194/19.

Fazit: Entscheidend ist in Graumarktangelegenheiten für die materiellrechtliche Betrachtung von Forderungen im Ergebnis die Aufstellung einer Konzernbilanz nach § 290 Abs. 1 HGB unter Einbeziehung des gesamten Konsolidierungskreises zwecks rechtzeitiger Feststellung der Überschuldung. Bei einer Konzernbilanz werden auch fehlerhafte Forderungen der Muttergesellschaft durch die Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft eliminiert. Neben der Wertberichtigung führt also auch die vollständige Konzernbilanz zur Aufdeckung der richtigen Aktiva, wenn es um Forderungen und Verbindlichkeiten innerhalb eines Konzernverbundes im weiteren Sinne handelt. 

In dem BGH-Urteil vom 20.01.2022 - III ZR 194/19 wird ausgeführt:

"Die Beurteilung, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt Umstände vorlagen, die die Abschreibung einer Forderung vonnöten machten, und in welchem Umfang dies gegebenenfalls vorzunehmen war, erfordert demgemäß eine umfassende Würdigung der Einzelfallumstände, die zumeist besonderen kaufmännischen und bilanztechnischen Sachverstand voraussetzt. Deshalb ist im Zivilprozess in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der richtigen bilanziellen Bewertung einer (möglicherweise) risikobehafteten Forderung geboten, es sei denn, das Gericht verfügt ausnahmsweise selbst über die notwendige besondere Sachkunde und weist die Parteien zuvor hierauf hin (vgl. hierzu zB Senatsurteil vom 23. November 2006 - III ZR 65/06NJW-RR 2007, 357 Rn. 14; BGH, Beschluss vom 9. April 2019 - VI ZR 377/17, VersR 2019, 1033 Rn. 9; jew. mwN). Es ist nicht ersichtlich, dass die Bewertung der hier in Rede stehenden Kaufpreisforderungen zum maßgeblichen Stichtag keine besondere Sachkunde erforderte. Vielmehr belegen die eingehenden - nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen rechtlich nicht zweifelsfreien - Erörterungen der Vorinstanz das Gegenteil. Das Berufungsgericht hat aber nicht dargetan, über die erforderliche Sachkunde zu verfügen. Dementsprechend hätte es den Klägervortrag zur Wertlosigkeit der Forderungen, wie die Revision mit Recht rügt, nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens als richtig feststellen dürfen. Beide Seiten haben entsprechende Anträge gestellt (Kläger [hauptbeweislich] Klageschrift, S. 10 - GA I 10 sowie Schriftsatz vom 27. August 2018, S. 3, 8 - GA II 400, 405; Beklagte [gegenbeweislich] Schriftsatz vom 12. Januar 2018, S. 6, 7 - GA I 120, 121 und Schriftsatz vom 2. August 2019, S. 12 - GA II 373). Das Berufungsgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, diesen Beweisanträgen nachzugehen, was im neuen Verfahren nachzuholen sein wird," BGH-Urteil vom 20.01.2022 - III ZR 194/19 .

Grundlage obigen Urteils  ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 22. Juli 2021 - IX ZR 26/20 - mit der Notwendigkeit des Tatgerichts, sich eine eigene Überzeugung von der Echtheit eines bilanziellen Gewinnes zu machen. Festgestellt werden muss nach dem Urteil, ob der Gewinn echt ist oder nicht. Dieses ergibt sich aus dem Tenor des Urteils, in dem es heißt:

„Vertraglich vereinbarte, von Jahresüberschüssen abhängige Gewinnausschüttungen sind unentgeltlich, wenn die Jahresabschlüsse fehlerhaft sind, fehlerfrei erstellte Jahresabschlüsse keine Gewinne ausgewiesen hätten und der Schuldner aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre darum wusste.“

Bei der geforderten Sachkunde handelt es sich um Rechtskunde. Denn gesetzliche Vorschriften i.S.d § 321 Abs. 1 S. 3 HGB sind auch die Normen der Rechnungslegung. Unter gesetzlichen Vorschriften, die i.S.d § 321 Abs. 1 S. 3 HGB die Rechnungslegung betreffen, „sind die für die Aufstellung des Jahresabschlusses oder Lageberichtes geltenden Rechnungslegungsgrundsätze i.S.d. § 317 Abs.1 Satz 2 HGB zu verstehen. Zu den Rechnungslegungsgrundsätzen gehören alle für die Rechnungslegung geltenden Vorschriften einschließlich der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und ggf. einschlägiger Normen der Satzung und des Gesellschaftsvertrages,“ Handbuch Jahresabschlussprüfung, Werner Krommes, 4. Auflage, 2015, 663, ebenda. Der echte Gewinn ist daher eine Rechtsfrage, keine Tatsachenfrage.

Die erforderliche Sachkunde des Gerichts ist als gegeben zu erachten, wenn es um den Umstand weiß, dass die Bilanz die Situation der Finanzen zu einem bestimmten Zeitpunkt aufzeigt, während die Erfolgsrechnung (Verlust und Gewinn) die finanzielle Entwicklung beschreibt.  Bei einem Finanzgericht sind derartige Kenntnisse vorhanden. Hier ist kein Sachverständigengutachten erforderlich.

Die Anforderung an die bilanzielle Sachkunde des Gerichts ist nicht neu. Sie wurde bereit in dem BGH-Urteil vom 22.02.2011 - II ZR 146/09 - gestellt.



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