Bundesgerichtshof: Bewertungsreserven sind verfassungsgemäß

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Am 27. Juni 2018 entschied der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, dass die Beteiligung von Versicherungsnehmern an Bewertungsreserven (sog. stille Reserven) in der Lebensversicherung nicht verfassungswidrig ist (IV ZR 201/17). In dem Rechtsstreit ging es um die Frage, wie hoch die Ansprüche der Versicherungsnehmer gegen den Versicherungsgeber am Ende der Laufzeit sind.

Hintergrund der Streitigkeit ist, dass der aktuelle Marktkurs bestimmter Wertpapiere über dem Kurs zum Einkaufszeitpunkt liegt und die Versicherer die Kundengelder am Kapitalmarkt (größtenteils in fest verzinsliche Papiere wie Staatsanleihen) anlegen. In der aktuell anhaltenden Niedrigzinsphase sind die Kurse von älteren und höher verzinsten Staatsanleihen in den Büchern der Unternehmen gestiegen. Die Versicherer könnten sie durch die entstandene Differenz am Markt teurer verkaufen als sie ursprünglich wert waren. Die Differenz zwischen Kauf- und Marktpreis bezeichnet man als Bewertungsreserve. Bis zur Gesetzesänderung im Jahr 2014 waren ausscheidende Kunden in jedem Fall anteilig zur Hälfte zu beteiligen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der BdV (Bund der Versicherten), ein gemeinnütziger Verbraucherschutzverein, begehrte die Auszahlung von Bewertungsreserven aus abgetretenem Recht nach Ablauf einer kapitalbildenden Lebensversicherung. Der Versicherungsnehmer unterhielt bei der beklagten Versicherung seit dem 01. September 1999 eine bis zum 01. September 2014 planmäßig beendete kapitalbildende Lebensversicherung. Mit Schreiben vom 01. Juli 2014 kündigte die Beklagte dem Versicherungsnehmer zum Vertragsablauf eine Versicherungsleistung in Höhe von rund 50.274,17 Euro an, wovon auf die garantierte Versicherungssumme rund 46.585 Euro, die Überschussbeteiligung 867,82 Euro sowie die Beteiligung an Bewertungsreserven 2.821,35 Euro entfielen. Die Beklagte wies hinsichtlich der Beteiligung an den Bewertungsreserven darauf hin, dass diese erst zum Fälligkeitstermin endgültig feststünden und gegebenenfalls auch niedriger ausfallen könnten. Im August 2014 stellte die Beklagte eine Versicherungsleistung in Höhe von 47.601,77 Euro fest. In einem Schreiben vom 05. Dezember 2014 erklärte die Beklagte, dass auf die Bewertungsreserve ein Betrag von 148,95 Euro entfalle.

Am 09. Februar 2016 trat der Versicherungsnehmer seine Rechte und Ansprüche gegen die Beklagte aus dem streitbefangenen Lebensversicherungsvertrag an den Kläger ab. Der Kläger begehrte mit seinem Hauptantrag die Auszahlung des Differenzbetrags in Höhe von 2.672,40 Euro zwischen der im Schreiben vom 01. Juni angegebenen sowie der tatsächlich ausgezahlten Bewertungsreserve. Hilfsweise begehrte der Kläger Auskunft über die Berechnung des Anteils der auf den Versicherungsnehmer entfallenden Beteiligungen an dem Überschuss und an den Bewertungsreserven einschließlich ihrer Berechnungsgrundlagen sowie anschließender Auszahlung der ihm zustehenden Überschussbeteiligung.

Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass dem Kläger kein Anspruch auf Zahlung von 2.672,40 Euro zustehe. Die anwendbaren Regelungen des Lebensversicherungsreformgesetzes gemäß § 153 Abs. 3 VVG sowie § 56a Abs. 3, 4 VAG seien verfassungskonform und verstießen nicht gegen den objektiven Schutzauftrag des Gesetzgebers gemäß Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Das Berufungsgericht führte aus, dass weder ein Abwägungsfehler noch die Nichteinhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ersichtlich sei. Des Weiteren sei auch die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschritten worden. Auch ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot sei wegen der „unechten Rückwirkung“ nicht gegeben. Die Folge der Niedrigzinsphase habe zur konkreten Gefahr geführt, dass einige Lebensversicherer die vertraglich zugesagten Garantiezinsen nicht mehr erwirtschaften konnten. Weder der Haupt- noch der Hilfsantrag des Klägers hatte Erfolg.

Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass die Neuregelung zur Beteiligung von Lebensversicherungskunden an Bewertungsreserven ihrer Versicherung verfassungsgemäß ist. Der Grund für die 2014 in Kraft getretene Neuregelung war, dass nach Auffassung des Gesetzgebers ein lang anhaltendes Niedrigzinsumfeld mittel- bis langfristig die Fähigkeit der privaten Lebensversicherungsunternehmen bedrohen würde, die den Versicherten zugesagten Zinsgarantien zu erbringen.

Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zu der zwischen den Parteien streitigen Frage getroffen, ob die einfach-rechtlichen Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Bewertungsreserve wegen eines Sicherungsbedarfs der Beklagten bestanden. Deshalb hob der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

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