Chefarzt kommt nicht zur OP: 7.000 Euro

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Mit Urteil vom 06.11.2020 ist ein Universitätsklinikum verurteilt worden, an meinen Mandanten ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000 Euro zu zahlen. Die Klinik muss auch meine anwaltlichen Gebühren bezahlen. Der 1967 geborene Selbständige war privat versichert.

Wegen einer Metastasierung seiner Leber in beiden Leberlappen nach einem vorherigen Rektumkarzinom führte er umfangreiche Chemotherapien durch. Im Anschluss an die Chemotherapie stellten die Ärzte die Indikation zur Pfortaderembolisation rechts zur Hypertrophie des linken Leberlappens (Blockade der Blutversorgung eines Leberabschnitts mit dem Ziel der Vergrößerung eines anderen Leberareals). Anschließend sollte die Entfernung des rechten Leberlappens geplant werden. Die Pfortaderembolisation wurde in einem anderen Krankenhaus erfolgreich durchgeführt.

Für die Leberoperation wollte sich der Mandant bei einem Professor des Universitätsklinikums eine zweite Meinung einholen. Dieser Arzt riet dem Mandanten, die Leberoperation in seinem Hause durchführen zu lassen, weil man dort auf derartige Operationen spezialisiert sei. Er schlug einen zeitnahen Termin vor. An diesem vorgeschlagenen Operationstag befände er sich allerdings im Urlaub. Sein Chefarzt werde allerdings die Operation persönlich durchführen. Dieser sei ebenso erfahren wie er und fachlich ebenso gut. Er versprach dem Mandanten, seinen Chefarzt über die Besonderheiten des Falles zu informieren. Daraufhin entschied sich der Mandant, sich vom Chefarzt operieren zu lassen.

Direkt am Operationstag unterzeichnete der Mandant einen Vertrag über wahlärztliche Leistungen, dem in der Anlage ein Vertreterverzeichnis beigefügt war. In der Vereinbarung war unter Ziffer 3 eingetragen: Die/Der Patient(in) bzw. die/der o.g. Vertreter hatte Gelegenheit, vor Abschluss dieser Vereinbarung das Verzeichnis der ständigen Vertreter der liquidationsberechtigten Ärzte bzw. leitenden Ärzte ohne eigenes Liquidationsrecht gemäß § 4 GOÄ zur Kenntnis zu nehmen. Sie/Er ist damit einverstanden, dass diese bei unvorhersehbarer Verhinderung der Wahlärzte alle wahlärztlichen Leistungen erbringen. In dem beigefügten Vertreterverzeichnis waren als Vertreter des erstberatenden Arztes der Chefarzt und ein weiterer Professor aufgeführt.

Trotz dieser Vereinbarung führte noch am selben Tag ein Oberarzt die Operation durch. Der Chefarzt war zu keinem Zeitpunkt im Operationssaal anwesend. Der Oberarzt brach die Operation ab, ohne dass der Leberlappen oder Teile der Leber entfernt werden konnten. Nach dem Aufwachen wurde dem Mandanten mitgeteilt, die Operation sei abgebrochen worden, weil es keinen Sinn gehabt hätte, einen Leberlappen zu entfernen. Wegen neuer Metastasen käme ein operatives Vorgehen nicht mehr in Frage. Es bliebe nur noch eine palliative Chemotherapie.

Ich habe den Ärzten des Klinikums vorgeworfen, die Operation rechtswidrig durchgeführt zu haben. Absprachewidrig sei die Operation nicht vom Chefarzt, sondern von einem Oberarzt durchgeführt worden. Der Kläger habe in die Operation durch den Oberarzt nicht eingewilligt. Der Mandant habe die Operation nur aufgrund der Erfahrung der beiden Professoren im Hause der Universitätsklinik durchführen lassen. Die OP hätte auch verschoben werden können, um auf die Rückkehr des ausgewählten Arztes zu warten. Man hätte ihn jederzeit noch vor der Operation darüber informieren können, dass der Chefarzt nicht in den OP kommen werde.

Das Landgericht hat entschieden: Die Operation sei mangels wirksamer Einwilligung des Mandanten rechtswidrig gewesen. Dieser habe nur in die Durchführung der Operation durch den Chefarzt der Abteilung, nicht aber in die Operation durch den Oberarzt eingewilligt. Das ergebe sich bereits aus der zwischen den Parteien unstreitigen Absprache mit dem erstberatenden Spezialisten des Hauses. Dieser habe dem Mandanten explizit zugesichert, das sein Chef über dasselbe Maß an Erfahrung verfüge und die OP daher ebenso gut wie er selbst vornehmen könne. Eine solche Einwilligung in eine Operation, bei welcher der Patient erkennbar Wert auf die Durchführung gerade durch einen bestimmen Arzt legt, könne nicht in eine allgemeine Einwilligung zur Operation durch andere Ärzte umgedeutet werden (OLG Hamm, Urteil vom 02.09.2014, AZ: I-26 U 30/13, Rdn. 26, juris).

Das werde auch durch die unterzeichnete Wahlleistungsvereinbarung bestätigt. Die aufgrund der Wahlleistungsvereinbarung bestehende Verpflichtung zur höchstpersönlichen Leistungserbringung verlange insbesondere die persönliche Durchführung der OP, da es dem Patienten um die Person des Operateurs und nicht lediglich um die stationäre Behandlung gehe (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5. Auflage, Rdn. A41 m.w.N.).

Die Ansicht der Beklagten, aufgrund einer Verhinderung des Chefarztes habe der Kläger in die vertretungsweise Durchführung der Operation durch den Oberarzt eingewilligt, sei falsch: Diese Einwilligung ergebe sich nicht aus der Wahlleistungsvereinbarung. Die Vertreterklausel, wonach sich der Mandant damit einverstanden erklärt habe, bei unvorhersehbarer Verhinderung des Wahlarztes sich von einem anderen Arzt operieren zu lassen, stehe im eindeutigen Widerspruch zur Individualabrede. Dem Kläger sei es aufgrund der Erfahrung und besonderen Fähigkeiten gerade darauf angekommen, vom Chefarzt der Abteilung und nicht von einem beliebigen Arzt operiert zu werden. Inhalt der Individualabrede war die Zusicherung, dass die lebensnotwendige Operation vom Chefarzt persönlich durchgeführt werden sollte, einem besonders erfahrenen Operateur. Hierzu stehe die Wahlleistungsklausel in einem unauflösbaren Widerspruch. Diese sei unwirksam gemäß § 305 b BGB.

Die Einwilligung des Patienten ergebe sich auch nicht aus einem außerordentlichen Verhinderungsgrund des Chefarztes. Ist ein Arzt, welcher der Vereinbarung nach die Operation persönlich durchzuführen hat, aufgrund von zwingenden Gründen an der persönlichen Leistungserbringung gehindert, kann im Einzelfall eine außerordentliche Vertretungsbefugnis nach § 242 BGB anzunehmen sein. Zum Schutz des Patienten ist diese nur unter sehr engen Voraussetzungen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles anzunehmen.

Der Patient habe bereits vor der Operation eine lange Behandlungs- und Leidensgeschichte hinter sich. Die Krebserkrankung sei lebensbedrohlich und bedürfe einer zeitnahen und komplexen Therapie. Es seien deshalb besonders hohe Anforderungen an einen außervertraglichen Verhinderungsgrund zu stellen. Zwar habe der Chefarzt als Zeuge erklärt, er sei zu einer Revisionsoperation eines wenige Monate zuvor lebertransplantierten Kindes gerufen worden. Diese Operation hätte er übernehmen und die OP des Mandanten delegieren müssen. Man könne überhaupt nicht sagen, wie lange eine derartige Operation dauere. Er bleibe als Chef immer so lange, wie es erforderlich sei, um für die größtmöglichste Sicherheit zu sorgen. Er habe allerdings keine Erinnerung mehr, wann er die Entscheidung getroffen habe, den Kläger nicht mehr zu operieren und wann ihm klargeworden sei, dass er es nicht schaffe. Daran, die Operation zu verschieben, habe er nicht gedacht.

Es sei nicht glaubhaft, dass der Chefarzt davon ausgegangen sei, es noch rechtzeitig zur Operation meines Mandanten zu schaffen. Die Frage, auf welcher Grundlage er davon ausgegangen sei, dass er doch noch den Kläger operieren könne, konnte der Chefarzt vor Gericht nicht plausibel beantworten. Aus seiner Aussage ergab sich, dass der Chefarzt überhaupt nicht in Betracht gezogen hatte, den Mandanten noch zu operieren. Er war auch nicht erst notfallmäßig zur Operation des Kindes gerufen worden, als beim Mandanten der Schnitt bereits gesetzt war. Dass sich der Chefarzt darauf verlassen habe, dass der Oberarzt die OP des Mandanten übernehme, sei ein Verstoß gegen die eindeutige Vereinbarung. Die Entscheidung, wer die Operation durchführe, sei gerade nicht einer spontanen Entscheidung des Chefarztes überlassen. Wie wenig Bedeutung die dem Patienten gegebene Zusicherung in der Klinik hatte, werde auch dadurch belegt, dass diese überhaupt nicht zum Chefarzt durchgedrungen war.

Die Kammer hielt ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000 Euro für angemessen. Der Patient hätte unter Vollnarkose operiert werden müssen. Die Wunde sei mit 30 Klammern getackert worden. Es sei eine große Narbe entstanden. Der Kläger habe postoperativ unter Schmerzen gelitten und habe sich mehrere Wochen von diesem Eingriff erholen müssen. Das Gericht hat abschließend entschieden: Die außergerichtlichen anwaltlichen Gebühren seien nach einer 2,0-Gebühr zu erstatten.

(Landgericht Essen, Urteil vom 06.11.2020, AZ: 16 O 229/19)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht & Verkehrsrecht

Foto(s): adobe stock fotos


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