Clearingverfahren und außerordentliche betriebsbedingte Kündigung

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Wenn Arbeitnehmern eine betriebsbedingte Kündigung droht, führt der Arbeitgeber in der Praxis häufig interne Stellenbesetzungsverfahren, sog. Clearingverfahren, durch. Ziel dieses Verfahrens ist, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, und damit die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Unternehmen.

Zur Frage, ob ein erfolgloses Clearingverfahren für eine außerordentliche Kündigung ausreicht, nahm das Bundesarbeitsgericht Stellung (BAG, Urteil v. 27.06.2019, Az.: 2 AZR 50/19).

Kündigung im Arbeitsrecht: Wie ist die Rechtslage?

Im Arbeitsrecht unterscheidet man zwischen einer ordentlichen Kündigung und einer außerordentlichen Kündigung.

Nach § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist eine außerordentliche Kündigung nur zulässig, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Zusätzlich darf dem Arbeitgeber kein milderes Mittel als die Kündigung zur Verfügung stehen („ultima ratio-Prinzip“). Wenn die Kündigung betriebsbedingt erfolgen soll – d. h., die Kündigung des Arbeitnehmers ist wegen betrieblicher Erfordernisse unvermeidbar –, muss der Arbeitgeber im Rahmen einer ordentlichen Kündigung eine Sozialauswahl durchführen. Dabei sind die sozialen Umstände des Arbeitnehmers, wie Dauer der Betriebszugehörigkeit, Belastung durch Unterhaltspflichten oder eine Schwerbehinderung, zu berücksichtigen. Kommen mehrere Arbeitnehmer in Betracht, soll der Arbeitgeber grundsätzlich dem Arbeitnehmer kündigen, der auf das Arbeitsverhältnis am wenigsten angewiesen ist.

Im Falle einer außerordentlichen Kündigung sind die Vorschriften über die Sozialauswahl nicht direkt anwendbar. Dennoch hat der Arbeitgeber zumindest die Schranken zu beachten, die den Arbeitnehmer im Falle einer ordentlichen Kündigung schützen sollen.

Der Fall: Kündigung nach Verlegung der Abteilung

Der schwerbehinderte Arbeitnehmer war laut Tarifvertrag ordentlich unkündbar. Nachdem man seine Abteilung in eine andere Stadt verlegt hatte, führte der Arbeitgeber ein dreijähriges Clearingverfahren durch. Der Arbeitnehmer erhielt im Rahmen dieser Maßnahme zahlreiche Weiterbildungen wie Sprachkurse oder Seminare mit dem Ziel, ihn anderweitig im Unternehmen weiter beschäftigen zu können. Alle internen Bewerbungen scheiterten jedoch, weil ihn sämtliche Fachbereiche ablehnten.

Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist. Der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung widersprachen der Kündigung. Nur der Integrationsrat stimmte der Kündigung zu.

Gegen diese Kündigung erhob der Arbeitnehmer, der beim Arbeitgeberunternehmen 30 Jahre lang beschäftigt war, Kündigungsschutzklage. Sein Ziel: die Weiterbeschäftigung im Unternehmen. Vor Gericht brachte er vor, dass es für eine außerordentliche Kündigung an einem wichtigen Grund fehle. Der Arbeitgeber argumentierte hingegen, dass trotz des mehrjährigen Clearingverfahrens keine geeignete Stelle für den Arbeitnehmer zu finden gewesen sei. Eine Sozialauswahl sei wegen eines Tarifvertrags nicht nötig gewesen.

BAG entscheidet: Clearingverfahren ersetzt keine Sozialauswahl

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main und das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen gaben dem Arbeitnehmer Recht. Und auch das Bundesarbeitsgericht schloss sich in seiner Entscheidung den Vorinstanzen an: Die außerordentliche Kündigung ist unzulässig, weil es an einem wichtigen Grund fehlt. Eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung scheitert aufgrund der tarifvertraglichen Vereinbarungen.

Die Richter argumentierten, dass das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit grundsätzlich einen wichtigen Grund darstellen kann. Allerdings trifft den Arbeitgeber in diesem Fall eine besondere Pflicht, die Kündigung durch geeignete Maßnahmen abzuwenden. Das Bundesarbeitsgericht war der Ansicht, dass das Arbeitgeberunternehmen nicht alle Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung ausgeschöpft hatte. Der bloße Verweis auf ein durchgeführtes Clearingverfahren reiche nicht. 

Auch habe der Arbeitgeber die notwendige Sozialauswahl nicht durchgeführt. Die Richter stellten klar, dass das Clearingverfahren keine Sozialauswahl darstellt und eine solche auch nicht ersetzen kann. Ein Clearingverfahren befasst sich nur mit alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten, die bei einer Betriebsänderung in Betracht kommen. Erst wenn alternative Beschäftigungsmöglichkeiten fehlen, ist eine Sozialauswahl durchzuführen.

Zusammenfassung 

Eine betriebsbedingte Kündigung setzt die Durchführung einer Sozialauswahl voraus. Das in der Praxis häufig durchgeführte Clearingverfahren stellt keine Sozialauswahl dar und kann eine solche auch nicht ersetzen.

Streiten Sie mit Ihrem Arbeitgeber über die Zulässigkeit einer Kündigung? Haben Sie Fragen zum Clearingverfahren? Ich unterstütze Sie gerne! Sie erreichen mich telefonisch oder über das anwalt.de-Kontaktformular.


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