Corona: Vertrag nicht erfüllt, Veranstaltung abgesagt – was muss ich tun? Was gilt?

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Die ersten Fragen zu Corona in meiner Kanzlei betrafen die Absagen von Veranstaltungen wie der ITB, aber auch andere Messen und Großereignisse wie Fußballspiele sowie Filmdrehs usw. Inzwischen sind aber fast sämtliche Verträge und Dauerschuldverhältnisse, wie beispielsweise

  • Lieferverträge
  • Vetriebsverträge
  • Mietverträge
  • Arbeits- und Dienstleistungsverträge
  • Lizenzverträge
  • Franchiseverträge

betroffen. Dies warf zahlreiche Fragen auf: Liegt höhere Gewalt vor? Wer haftet? Kann gekündigt werden? Muss ich den Vertag erfüllen? Wie muss ich mich jetzt verhalten, sowohl als Veranstalter als auch als Dienstleister von Veranstaltungen? Zahlt eine Versicherung?

Wie immer hilft zuerst ein Blick in die Verträge und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Ist dort eine entsprechende Klausel zu höherer Gewalt (im Fachjargon: force majeure) vereinbart, muss diese angewendet werden. 

Die Klausel muss wirksam sein und darf den Vertragspartner nicht unangemessen benachteiligen. Häufig gilt dann auch ein Zusammenspiel mit anderen Klauseln, z. B. zu Stornokosten, Kündigungen u. ä. Es kann z. B. sein, dass in der Klausel ein Schadenersatz ausgeschlossen ist, aber das hängt vom Einzelfall ab.

Gibt es eine Klausel zu höherer Gewalt?

Gibt es eine solche Klausel nicht, gilt das Gesetz. Das kann das deutsche Recht sein, aber auch das UN-Kaufrecht (CISG). Dem CISG sind derzeit 93 Staaten beigetreten, u. a. deutschsprachige Länder wie Österreich, Liechtenstein und die Schweiz, aber auch viele europäische Länder und Nachbarländer von Deutschland wie Frankreich, Polen, die Niederlande, Dänemark, Tschechien, Schweden, Finnland usw., aber auch wichtige nichteuropäische Wirtschaftsnationen wie die USA, Canada, Russland, Australien, Japan oder China. 

Eine detaillierte Übersicht finden Sie hier: https://uncitral.un.org/en/texts/salegoods/conventions/sale_of_goods/cisg/status

Im CISG ist beispielsweise in Art. 79 geregelt:

„1) Eine Partei hat für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und dass von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.

(2) Beruht die Nichterfüllung einer Partei auf der Nichterfüllung durch einen Dritten, dessen sie sich zur völligen oder teilweisen Vertragserfüllung bedient, so ist diese Partei von der Haftung nur befreit,

a) wenn sie nach Absatz 1 befreit ist und

b) wenn der Dritte selbst ebenfalls nach Absatz 1 befreit wäre, sofern Absatz 1 auf ihn Anwendung fände

(3) Die in diesem Artikel vorgesehene Befreiung gilt für die Zeit, während der der Hinderungsgrund besteht.

(4) Die Partei, die nicht erfüllt, hat den Hinderungsgrund und seine Auswirkung auf ihre Fähigkeit zu erfüllen der anderen Partei mitzuteilen. Erhält die andere Partei die Mitteilung nicht innerhalb einer angemessenen Frist, nachdem die nicht erfüllende Partei den Hinderungsgrund kannte oder kennen mußte, so haftet sie für den aus diesem Nichterhalt entstehenden Schaden.

(5) Dieser Artikel hindert die Parteien nicht, ein anderes als das Recht auszuüben, Schadenersatz nach diesem Übereinkommen zu verlangen. 

Gilt das CISG muss es also Mitteilungen geben, und zwar innerhalb angemessener Fristen, vgl. Absatz 4. Schadenersatzansprüche können bereits entstehen, wenn eine solche Mitteilung nicht erfolgt. Sie sind aber, vgl. Absatz 5, ohnehin nicht ausgeschlossen.

Anpassung oder Auflösung des Vertrags?

Im deutschen Recht gibt es eine solche Bestimmung nicht. Hier kommen die Regelungen zur Unmöglichkeit zur Anwendung, dass kann beispielsweise eine vorübergehende Unmöglichkeit sein, aber auch eine rechtliche Unmöglichkeit. Es kann also sein, dass Veträge dann nicht erfüllt werden müssen – das hängt vom Einzelfall ab. Die sonstigen Folgen sollten dann geprüft werden.

Denkbar ist auch ein Anspruch auf Vertragsanpassung aufgrund des so genannten Wegfalls der Geschäftsgrundlage. In dem entsprechenden Paragrafen (§ 313 BGB) ist u. a. geregelt, dass ein Rücktritt vom Vertrag erst möglich sei, wenn eine Anpassung des Vertrags nicht erfolgen kann. 

Besteht der Anspruch auf Anpassung, kann dieser „Vertragsanpassungsanspruch“ auch verlangt und durchgesetzt werden, d. h. es muss verhandelt werden! Typische Folgen wären dann z. B. Herabsetzung oder Aufhebung einer Verbindlichkeit, Verschiebung eines Termins, Aufwendungsersatz für zwecklose gewordene Leistungen, Ersatzpflicht für einen Teil des Gewinns bei Vertragsaufhebung, Stundungen, Teilzahlungen, hälftige Teilung des Risikos u. ä. Zu Corona-Fällen gibt es derzeit noch keine Rechtsprechung. Richtig handeln sollten Betroffene trotzdem.

Es kommt auf die konkreten Umstände an

Vieles hängt im Ergebnis von den konkreten Umständen ab, welche umfassend aufzuklären und zu dokumentieren sind. Ist die Durchführung des Vertrags beispielsweise aufgrund einer öffentlichen Anordnung nicht möglich oder war es eine eigene Entscheidung des Vertragspartners? Wurde der Vertrag gekündigt oder wurde seitens des Veranstalters erst einmal nur informiert? 

Wurde die Leistung weiter angeboten? Kann beispielsweise später geleistet werden, z. B. kann die Veranstaltung verschoben werden? Gibt es Lieferketten, wo liegt die Leistungsstörung? Diese und viele weitere Fragen sind für eine abschließende Beurteilung zu klären. Zu klären ist auch, welche sonstigen Möglichkeiten es gibt, das Problem zu lösen. Hier kann ich bei Vertragsverhandlungen unterstützen oder diese für meine Mandanten führen. In jedem Fall sollte mit Fristen und in Bezug auf die aktuellen Entwicklungen agiert und informiert werden.

Sollte im Ergebnis eine Kündigung bzw. ein Rücktritt oder sonst eine Möglichkeit vorhanden sein, sich von dem Vertrag zu lösen, sind in jedem Fall Ansprüche auf so genannten Aufwendungsersatz zu prüfen. Wenn beispielsweise im Vorfeld der Veranstaltungen oder im Vertrauen auf den Vertrag bereits investiert wurde, muss und sollte über diese Beträge gesprochen werden.

Trotz Rücktritt: Aufwendungsersatz und Schadenersatz 

Auch die vertraglichen Nebenpflichten, die gern übersehen werden, können sich in Corona-Fällen auswirken und beispielsweise trotz aller anderen Fragen zu eigenständigen Schadenersatzansprüchen führen. Denn im Rahmen eines Schuldverhältnisses kann im deutschen Recht grundsätzlich jede Partei zur gegenseitigen Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils Anderen verpflichtet sein, d. h. schließt beispielsweise ein, dass rechtzeitig, richtig und vollständig informiert werden sollte. 

So sollten beispielsweise konkrete behördliche Anordnungen mitübersendet oder auf Anfordern der Vertragspartei zur Verfügung gestellt werden.

Auch die Frage nach dem Bestehen einer Versicherung sollte beantwortet werden, es gibt sogar Fälle, wo die Gerichte entschieden haben, dass eine Person im Rahmen ihrer vertraglichen Schutzpflichten für Versicherungsschutz sorgen muss. Tut sie das nicht, kann sie auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden. 

So muss ein Juwelier beispielsweise eine Versicherung gegen Einbruch und Beraubung haben, ein Reitverein muss eine Haftpflichtversicherung haben u. ä. Bekannt sind auch Fälle, wo eine Haftung bereits dadurch entstand, dass auf eine fehlende Versicherung nicht hingewiesen wurde, wie z. B. bei einem Privatflug, wo es keine Insassenunfallversicherung gab. All dies ist auch in Corona-Fällen denkbar. Am Ende kommt es wohl – wie so oft im Recht – auf den Einzelfall an.

Fazit: Trotz Corona sollten Sie sich also dringend um Ihre Verträge und Ihre Vertragspartner kümmern! Kündigungen und Rücktritte sollten ausgesprochen bzw. genau geprüft werden. Etwaige Handlungspflichten sollten geprüft und umgesetzt werden, um weitere Schäden zu verhindern. Eventuell muss der Vertrag nachverhandelt oder angepasst werden. Zusätzliche Ansprüche, z. B. auf Schadenersatz und Aufwendungsersatz, sind in jedem Fall zu durchdenken.

Gern stehe ich im Rahmen einer Erstberatung für Ihre Fragen zur Verfügung. Die Kosten belaufen sich auf 250,00 Euro netto zzgl. Mehrwertsteuer.

Update 2.4.2020: Bundestag hat Corona-Leistungsverweigerungsrecht beschlossen

Der Bundestag hat ein sogenanntes „Leistungsverweigerungsrecht“ beschlossen. Danach kann eine Leistung, z. B. eine Geldzahlung vorübergehend „verweigert“ werden, wenn die Leistungsunfähigkeit auf der Corona-Krise beruht. Geregelt ist das in Art. 240 § 1 EGBGB.

Die Sondervorschrift ist befristet bis 30. Juni 2020, kann aber durch Rechtsverordnung bis zum 30. September 2020 verlängert werden. Das Corona- Leistungsverweigerungsrecht gilt nur für Verträge, die als Dauerschuldverhältnisse gelten und bereits vor dem 8. März 2020 bestanden haben. Es gilt für Kleinstunternehmen (mit bis zu 9 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von bis zu 2 Millionen Euro) und für Verbraucher. Das Recht muss aktiv ausgeübt und dem Vertragspartner als Einrede entgegengehalten werden.

Das Problem: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wer das Recht ausübt, kann zwar seine Verbindlichkeiten vorerst aussetzen. Nach dem 30. Juni 2020 (oder später im Fall einer Verlängerung) werden Schuldner aber alle Zahlungen trotzdem zu leisten haben.

Falls Sie Untertsützung bei der Einreichung von Anträgen auf Coronahilfe benötigen, können Sie mich gern ansprechen.



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