Das Jury-System im amerikanischen Strafprozess - Teil I - GER / ENG Version

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Das Jury-System im amerikanischen Strafprozess - Teil I

Im amerikanischen Strafprozess entscheidet maßgeblich nicht der Strafrichter darüber, ob der Angeklagte schuldig gesprochen wird oder nicht, sondern eine zwölfköpfige zufällig zusammengewürfelte Gruppe von Laien aus dem Volk.

Das Institut der Laien-Richter, der sog. Schöffen ist dem in Deutschland keineswegs vergleichbar. In Deutschland gibt es ca. 61.000 Schöffen - also unter 1500 Bürgern jeweils nur einen einzigen. In den meisten Fällen schließen sich die Schöffen in einem Strafverfahren der Fachmeinung und Expertise sowie Überzeugungskraft des (Vorsitzenden) Richters an, sodass es nur selten etwa zu einer Überstimmung kommen wird.

In den USA entscheidet jedoch statt dem Richter tatsächlich "das Volk". Laut Verfassung ist das eine Gruppe von "Peers", also Gleichgestellten. Dies ist wohl eine der beeindruckensten Errungenschaften Amerikas. Das Volk hat so ein letztes Einspruchsrecht bei der Anwendung von Gesetzen. Freilich wirft das eine ganze Reihe von Problemen und Irritationen auf:

So kommt es in Person von Staats- und Rechtsanwälten bzw. Verteidigern bei Gerichtsverfahren regelmäßig zu hoher emotionaler und intensiver Überzeugungsauftritten, die neben konkretem Fach- und Rechtswissen auch an das Gewissen und die Moral der Geschworenen appellieren soll. Während Richter in anderen Rechtssystemen kaum Kontrolle erfahren und dementsprechend ihren Geltungsdrang voll ausleben können, leitet ein Richter hier in den USA zwar das Verfahren, bestimmt, was an Zeugen und Beweisen zugelassen wird, muss sich aber in der Regel dem "schuldig/nicht-schuldig"-Urteil der Jury beugen. Das Strafmaß darf er dann wieder selbständig bestimmen.

Nach den einführenden Worten von Staatsanwaltschaft und Verteidigung werden der Jury die Fakten vorgeführt. Nur was während des Gerichtsverfahrens explizit von Zeugen oder Experten gesagt wird, zählt. Auch wenn der Fall beispielsweise schon in den Medien war und etwa ein Video vom Tathergang existiert, ist dies noch lange kein Beweismaterial oder führt gar zu einer Verurteilung. Entscheidet der Richter zum Beispiel auf Protest der Verteidigung hin, dass die Tatwaffe mit den Fingerabdrücken des Angeklagten nicht als Beweismaterial zählt (z.B. weil sie unter unsauberen, hier spricht man von dekontaminierten Material und damit unverwertbaren Polizeimethoden erlangt wurde), dann muss die Jury deren Existenz aus dem Gedächtnis streichen. Oder einer auf dem Zeugenstand antwortet auf die Frage: "Wo war der Angeklagte zur Tatzeit?" des Staatsanwalts mit "Bei mir zu Hause. Wir haben eine erstaunliche Waffensammlung.", dann entgegnet der Verteidiger "Objection, non-responsive!", denn Zeugen dürfen nur direkt auf Fragen des Staatsanwalts oder des Verteidigers antworten und nichts Eigenes hinzufügen. Sagt der Richter darauf "Sustained!", wird der Nachsatz mit der Waffensammlung gestrichen und die Jury vom Richter instruiert, so zu verfahren, als ob sie ihn nie gehört habe. Oder bspw. der Verteidiger fragt den Zeugen "Ist es nicht richtig, dass der Angeklagte ein Unschuldslamm ist, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann?", dann ruft der Staatsanwalt dazwischen "Objection, leading!" (der Zeuge wird "geführt", ihm also eine Antwort in den Mund gelegt) und der Richter höchstwahrscheinlich "Sustained!" und weist den Zeugen an, die Frage nicht zu beantworten und die Jury, aus der Frage keinerlei Schlüsse zu ziehen. Sagt der Richter hingegen "Overruled", wird die Frage zugelassen und der Zeuge muss antworten. Das kann ein monatelanges Verfahren mit hunderten von Einwürfen, die entweder abgeschmettert oder stattgegeben werden, ganz schön komplizieren -- besonders für einen rechtlichen Laien, also einen der das Recht nicht studiert hat und dies ist jeder Einzelne in der Jury, der sich jedoch merken muss, was zählt und was verworfen wurde.

Will die Staatsanwaltschaft oder die Verteidigung eine Behauptung beweisen, muss sie jemanden auffahren, der vor Gericht darüber aussagt. Es gilt nicht, dass ein Brief von einem staatlich anerkannten Sachverständigen vorliegt, oder etwas allgemein bekannt ist, wie dies hierzulande der Fall ist. Es muss die konkrete Person geladen und gehört werden und sich die Aussage durch diese selbst beweisen lassen.

Auch wenn ein Juror etwas aus der Zeitung weißoder erfährt oder den Täter als Kriminellen o.Ä, kennt, darf er dieses Wissen nicht zur Urteilsfindung heranziehen. Juroren dürfen nur berücksichtigen, was sie während des Verfahrens selbst erfahren. Deswegen werden sie bei medienträchtigen Schauprozessen (wie dem Fall mit dem wohl bekanntesten Football-Player der US-Geschichte und Schauspieler O.J. Simpson) regelrecht einkaserniert (sequestered jury), damit sichergestellt ist, dass sie nicht fernsehen oder Zeitung lesen, auch bei einem monatelangen Gerichtsprozess ohne jegliche Verbindung nach außen, auch zu Familie, Freunden und jeglichen Kontakt.

English Version:

The Jury System in American Criminal Trials - Part I.

In the American criminal case procedure, it is not the judge who decides whether the accused is found guilty or not but a group of twelve randomly assembled lay civil persons out of "the people".

The institute of lay judges ("Jury") is by no means comparable to the institute of "Schöffen" in Germany. In Germany there are around 61,000 lay judges - that means only one out of 1500 citizens. In most cases, the lay judges in criminal proceedings agree with the expert opinion and expertise shown in the procedure as well as the persuasiveness of the (presiding) judge, so that there will only rarely be an overrule.

In the US however, it is actually "the people" who decide instead of the judge. According to the constitution, this is a group of "peers", i.e. equals. This is arguably one of America's most impressive accomplishments. The people thus have a final right to object to the application of law. Of course, this raises a number of problems and irritations:

In the person of state attorneys (prosecutors) and lawyers or defense lawyers in court proceedings, there are regularly high levels of emotional and intense persuasion, which, in addition to specific technical and legal knowledge, is also intended to appeal to the conscience and morality of the jury. While judges in other legal systems experience little control and can therefore fully live out their urge for validity, a judge here in the US leads the process, determines what witnesses and evidence is allowed but usually has to transfer the decision of being "guilty / not guilty" bend judgment to the jury. He can then independently determine the sentence.

After the introductory words from the public prosecutor's office and defense, the facts are presented to the jury. Only what is explicitly said by witnesses or experts during the legal process counts und matters here. Even if the case has already been in the media, for example, and a video of the course of events exists, this is by no means evidence or even leads to a conviction. For example, if the judge, following a protest by the defense, decides that the murder weapon with the accused's fingerprints does not count as evidence (e.g. because it was obtained from unclean, in this case one speaks of decontaminated material and therefore unusable police methods), then the jury must ensure that it exists erase from memory. Or someone on the witness stand answers the question: "Where was the defendant at the time of the crime?" of the prosecutor with "At my house. We have an amazing collection of weapons.", then the defense attorney yells "Objection, non-responsive!", because witnesses are only allowed to answer directly to questions of the prosecutor or the defense attorney and not add anything of their own. If the judge then says "Sustained!", The ending with the weapon collection is deleted and the judge instructs the jury to proceed as if they had never heard him. Or the defense attorney asks the witness "Isn't it right that the accused is an angel who can´t even harm a fly?", Then the public prosecutor yells "Objection, leading!" (the witness is "led", so an answer is put in his mouth) and the judge most likely "Sustained!" and instructs the witness not to answer the question and the jury not to draw any conclusions from the question. However, if the judge says "Overruled", the question is allowed and the witness must answer. This can complicate months of proceedings with hundreds of objections that are either rejected or accepted - especially for a legal layperson, i.e. someone who has not studied law, but who has to remember what counts and what has been rejected.

If the prosecution or the defense wants to prove an allegation, they have to bring up someone to testify in court. It does not apply that there is a letter from a state-approved expert or that something is generally known. Testifying in person otherwise it won't work.

Even if a juror knows something from the newspaper or knows the perpetrator as a criminal even, he must not use this knowledge to reach a judgment. Jurors may only consider what they learn during the process. That is why they are literally barracked (sequestered jury) in media-laden show trials (such as the case with the most famous football player in US history and actor OJ Simpson) to ensure that they do not watch TV or read the newspaper, even in a month-long court process with no connection to the outside world, to family, friends or any other contact.


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