"Das muss man als Kinderarzt doch wissen" - 200.000 € Schmerzensgeld wegen grob fehlerhafter Behandlung
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Die Arzthaftungskammer des Landgerichts Freiburg hat die Ärzte einer Kinderarztpraxis verurteilt, wegen grober Behandlungsfehler ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 € an ein heute 10jähriges Mädchen zu zahlen. Außerdem müssen die Praxisärzte auch alle künftigen Schäden des Kindes ersetzen (LG Freiburg, Urteil vom 26.10.2023). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Was war passiert?
Die Mutter stellte die damals 5jährige Klägerin am 01.10.2018 in der Kinderarztpraxis vor und berichtete, ihre Tochter könne seit 3 Tagen nichts mehr bei sich behalten, sie erbreche nur noch grünlichen Speichel. Der diensthabende Arzt nahm keine Überprüfung des Flüssigkeitshaushalts vor und vereinbarte auch keinen Kontrolltermin für den Folgetag. Er verschrieb lediglich Zäpfchen und schickte Mutter und Kind nach Hause.
Am 04.10.2018 kam die Mutter in die Praxis und erklärte, ihrer Tochter ginge es nicht besser, der Zustand sei unverändert. Es wurde keine sofortige Vorstellung des Kindes vereinbart, sondern ein Termin für den Folgetag. An jenem 05.10.2018 wurde die Klägerin von einer anderen Ärztin der Praxis untersucht und trotz der seit einer Woche anhaltenden Dehydrierung erneut mit dem Hinweis nach Hause geschickt, wenn es nicht besser werde, sollte sie sich am besten in einem Krankenhaus vorstellen.
Das tat die Mutter am 06.10.2018 mit ihrer Tochter auch. Die Untersuchung in der Uni-Klinik Freiburg ergab ein bereits eingetretenes Nierenversagen. Die Klägerin wurde sofort intravenös mit Flüssigkeit und Elektrolytersatz versorgt und damit letztlich ihr Leben gerettet.
Das Mädchen hat seitdem strikte Diät zu halten, sie ist in ihrer kognitiven und motorischen Entwicklung gegenüber Gleichaltrigen erheblich eingeschränkt und leidet auch psychisch unter ihren Beeinträchtigungen.
Was sagt die Sachverständige?
Dies alles sei Folge des im Oktober 2018 eingetretenen Nierenschadens, so die vom Gericht als Sachverständige beauftrage Kinderärztin und Nephrologin, die in der knapp 6stündigen Verhandlung am 15.06.2023 angehört wurde.
Die streitige Frage, ob den Praxisärzten Fehler bei der Behandlung des Kindes unterlaufen seien, beantwortete die Sachverständige sehr eindeutig:
Den Flüssigkeitshaushalt zu überprüfen, sei das A und O bei einer kindlichen Gastroenteritis, das lernten alle Ärzte und das müssten alle Kinderärzte wissen und danach handeln. Dies am 01.10.2018 unterlassen zu haben und die Klägerin nicht direkt am Folgetag zur Kontrolle wieder einbestellt zu haben, sei ein grober Befunderhebungsfehler. Grob behandlungsfehlerhaft sei weiterhin, dass die Ärztin selbst am 05.10.2018 keine unverzüglichen Krankenhauseinweisung des Kindes veranlasste.
Mit jedem Tag, an dem das Kind früher eine stationäre Behandlung der Dehydrierung erfahren hätte, wäre das Risiko eines Dauerschadens erheblich verringert worden, so die Sachverständige weiter. Hätte man am 02.10.2018 eine Einweisung vorgenommen, wären die Nieren des Kindes aus ihrer Sicht vollständig intakt geblieben und es wäre nicht zu den derzeitigen und vor allem künftig drohenden Folgen für das Mädchen gekommen.
Da die Funktion der Organe schon jetzt spürbar reduziert sei, werde das Mädchen auf Dauer um eine Dialyse und eine Transplantation nicht umhinkommen, so die Gutachterin weiter. Ihre Lebenserwartung sei deshalb deutlich eingeschränkt.
Die Entscheidung des Gerichts
Der Anwalt der Kinderärzte versuchte vergeblich, die Sachverständige zu diskreditieren und ein weiteres Gutachten anzuregen. Das Landgericht Freiburg hielt den Fall für entscheidungsreif und verkündete am 26.10.2023 ein Urteil. Es folgte in der Sache den fachlich höchst fundierten und damit überzeugenden Ausführungen der Gutachterin.
Die Höhe des Schmerzensgeldes, das die beklagten Ärzte der Klägerin allein für die Zeit von 2018 bis heute zu zahlen haben, setzte die Arzthaftungskammer auf 200.000 € fest.
Zudem urteilte das Landgericht, dass die Ärzte auch für die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auftretenden Schäden – Behandlungskosten, Verdienstausfall, weiteres Schmerzensgeld für anstehende stationäre Eingriffe etc. – aufzukommen haben. Dies dürfte ihres erwartbar lebenslangen Leidens und der erwartbaren medizinischen Maßnahmen für die Klägerin ein noch wichtigerer Aspekt des Urteils sein als das bisherige Schmerzensgeld.
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