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125.000 € Schmerzensgeld für Querschnittslähmung hüftabwärts nach chemotherapeutischer Behandlung

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Das OLG München sprach dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 125.000 € wegen einer kompletten Querschnittslähmung hüftabwärts nach erfolgter chemotherapeutischer Behandlung im Rahmen eines Studienprogramms zu.

Sachverhalt:

Bei dem Kläger wurde Lymphdrüsenkrebs festgestellt. Daraufhin unterzog sich der Kläger im Krankenhaus der Beklagten einer chemotherapeutischen Behandlung im Rahmen eines Studienprogramms, der sog. Flyer-Studie. Diese Studie bestand beim Kläger aus einer in gewissen zeitlichen Abständen durchzuführenden sechsmaligen intravenösen Chemotherapie und zusätzlich einer viermaligen Injektion des Chemotherapeutikums Methotrexat in den Wirbelkanal (= intrathekale MTX-Injektion). Unmittelbar nach der ersten MTX-Injektion stellten sich beim Kläger Harnverhalt, Stuhlinkontinenz sowie eine beginnende Parese der Beine ein. Mittlerweile ist der Kläger hüftabwärts komplett querschnittsgelähmt und hat einen Grad der Behinderung von 100.

Der Kläger drang mit seinem Klagebegehren durch. Er hat plausibel einen ernsthaften Entscheidungskonflikt bei ordnungsgemäßer Aufklärung dargelegt. Wegen der fehlenden Aufklärung über das seltene aber typische Risiko eine Querschnittslähmung konnte nicht mehr von einer hypothetischen Einwilligung ausgegangen werden.

Wann ist eine Aufklärung ordnungsgemäß?

Bei diesem Sachverhalt musste zunächst geklärt werden, ob eine Aufklärungspflicht des Beklagten verletzt wurde und ob genau diese Verletzung den Kläger in einen ernsthaften Entscheidungskonflikt gebracht hat. Einen solchen Konflikt muss der Kläger im Gerichtsprozess nachvollziehbar darlegen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Patient im Großen und Ganzen über die Chancen und Risiken des Eingriffs aufgeklärt werden. Dem Patienten muss die Art des Eingriffs klargemacht werden. Zudem muss der Patient auf die nicht ganz außer Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken des Eingriffs hingewiesen werden. Jedoch nur insoweit sich diese Risiken für den Patienten als medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für seine Entschließung von Bedeutung sein können. Auch über seltene, schwerwiegende Risiken, die mit einer Operation verbunden sind, ist grundsätzlich aufzuklären. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet. Bei der Aufklärung über die Wahrscheinlichkeit des Eintritts bestimmter Komplikationen muss nicht – wie im Beipackzettel – differenziert werden, ob ein Risiko „selten“, (bis zu 1 von 1.000 Patienten) oder „sehr selten“ (bis zu 1 von 10.000 Patienten) ist. Vielmehr muss lediglich eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiko vermittelt werden.

Der Arzt muss das Aufklärungsgespräch, in dem er über die oben erläuterten Risiken aufgeklärt hat, nachweisen. Ein vom Patienten unterzeichneter Aufklärungsbogen, in dem das betreffende Risiko genannt ist und der zudem handschriftliche Skizzen bzw. Anmerkungen des aufklärenden Arztes enthält, indiziert die Durchführung eines Aufklärungsgespräches.

Um einen Schadensersatzanspruch zu haben, kann eine nicht ordnungsgemäße Aufklärung nur ausreichen, wenn auch keine hypothetische Einwilligung gegeben ist. Die hypothetische Einwilligung für das unaufgeklärte Risiko muss vorliegen. Ein Arzt kann sich darauf berufen, der Patient hätte auch bei ausreichender Aufklärung die Einwilligung zur Durchführung des konkreten Eingriffs erteilt, beispielsweise weil die Ablehnung der Behandlung medizinisch unvernünftig gewesen wäre (hypothetische Einwilligung, vgl. § 630h Abs. 2 S.2 BGB). Diesen Einwand kann der Patient dadurch entkräften, dass er dem Gericht plausibel macht, er hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden. Für die Darlegung eines solchen Konflikts durch den Patienten sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Das Vorbringen des Patienten muss aber ergeben, in welcher persönlichen Entscheidungssituation er sich bei vollständiger und ordnungsgemäßer Aufklärung über das Für und Wider des Eingriffs befunden hätte. Dabei muss dargestellt werden, ob die Aufklärung ihn ernsthaft vor die Frage gestellt hätte, seine Einwilligung zu erteilen oder nicht.

Warum ist das Schmerzensgeld so hoch?

Das Schmerzensgeld hat eine doppelte Funktion. In erster Linie soll das Schmerzensgeld einen angemessenen Ausgleich für die erlittenen Schmerzen und die entgangene Lebensfreude des Geschädigten bieten. Zum anderen hat das Schmerzensgeld aber auch eine „Genugtuungsfunktion“. Maßgeblich ist die Lebensbeeinträchtigung. Insbesondere kommt es auf Art, Umfang, Schwere der Verletzungen, Dauer des Krankenhausaufenthalts, Anzahl der Operationen, Dauer und Umfang der erlittenen Schmerzen und Umfang der verbleibenden Behinderung an. Ebenfalls sind die Beeinträchtigungen der Erwerbstätigkeit und des seelischen Wohlbefindens grundlegend. Der Kläger lebte in einer Eigentumswohnung im ersten Stock. In dem Gebäude befand sich kein Aufzug, so dass er auf die Hilfe Dritter, z. B. des Schwiegersohns, angewiesen war. Die Ehefrau des Klägers konnte den Kläger die Treppen nicht hoch- und heruntertragen. Folglich kam es zur Isolation in den eigenen vier Wänden. Seine sozialen Kontakte brachen weg. Daher hielt das OLG München eine Schmerzensgeldsumme in Höhe von 125.000 € für gerechtfertigt.

Fazit:

Bei der Aufklärung über Risiken von Eingriffen muss der Patient die Bedeutung der Risiken verstehen und in Kenntnis dieser einwilligen. Andernfalls liegt keine ordnungsgemäße Einwilligung vor.

Eine verletzte Aufklärungspflicht führt jedoch nicht unbedingt zu einem Schadensersatzanspruch. Gelingt es dem Arzt eine hypothetische Einwilligung darzulegen und zu beweisen, so muss dann der Patient den Entscheidungskonflikt, in dem er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Risiken befunden hätte, plausibel darlegen.

Welche Vorgehensweise die richtige ist, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Daher sollte sich der Patient bei dem Verdacht eines Behandlungsfehlers von einem Anwalt mit Schwerpunkt im Medizinrecht beraten lassen.

Wir beraten unsere Mandanten gerne passend zu ihren jeweiligen individuellen Fällen und Bedürfnissen. Zu einem unserer Schwerpunkte zählt die Beratung von Patienten im Medizinrecht. In einem eingehenden Beratungsgespräch klären wir Sie gerne über Ihre Möglichkeiten auf und helfen Ihnen bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche. Auch während der Schadensregulierung stehen wir Ihnen für Rückfragen stets gerne zur Verfügung und informieren Sie über sämtliche Korrespondenz. MSH Rechtsanwälte ist bundesweit für die Mandanten tätig.



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