Das Pflichtteilsrecht – die fünf populärsten Irrtümer

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Im deutschen Recht ist das Recht eines Verwandten auf seinen Pflichtteil in aller Munde. Aber was steckt genau dahinter und welche Feinheiten gibt es? Wer ist überhaupt pflichtteilsberechtigt? Wie unterscheidet sich das Erbe vom Pflichtteil? Welche Fristen gibt es? Über die häufigsten Problemkreise soll dieser Artikel kurz und kompakt Auskunft geben.

1. Keine Sorge, die Kinder sind enterbt – und kriegen leider trotzdem Geld

Man hört es oft in Familienkreisen: Wenn du dich nicht mit mir verstehst, dann enterbe ich dich! Sofern man einer der durch Gesetz festgelegten Pflichtteilsberechtigten ist, könnte man dann locker entgegnen: Dann mache ich eben meinen Pflichtteil geltend! Eine klassische Enterbung im Sinne von „Du kriegst nichts!“ ist im deutschen Recht faktisch nicht durchsetzbar, solange es noch Pflichtteilsberechtigte gibt. Über den damit einhergehenden Irrtum sind bereits viele Erben gestolpert.

Beispiel:

Die ältere Dame Luzie hat nur noch zwei Enkel, zu denen sie keinen Kontakt mehr hat. Ihr Sohn – Vater der Enkel – ist bereits vor etlichen Jahren verstorben. Weitere Kinder oder andere Verwandte hat sie nicht. Sie will alles, was sie hat, der jungen Claudia vererben, die zwar nicht mit ihr verwandt ist, sich aber in den letzten Jahren rührend um sie gekümmert hat. Luzie hinterlässt nach ihrem Tod ein Geldvermögen in Höhe von 70.000 EUR. Plötzlich machen ihre Enkel den Pflichtteil von jeweils einem Viertel der Erbschaft geltend, so dass beide insgesamt 35.000 EUR erhalten (1/4 + 1/4 = 1/2). Das heißt, obwohl Claudia theoretisch Alleinerbin ist, erhält sie am Ende nur die Hälfte des Geldvermögens. Dieses für Laien absurde Ergebnis ist das – höchst legale – Resultat des Pflichtteilsrechts.

2. Der Bruder fordert seinen Pflichtteil – oder etwa nicht?

Einen Anspruch auf die die Geltendmachung eines Pflichtteils hat nur ein ganz besonderer Kreis von Verwandten des Erblassers, sofern diese durch seine letztwillige Verfügung („Testament“) vom Erbe ausgeschlossen wurden. Dazu gehören folgende Personen:

  • die Abkömmlinge (Kinder, Enkel und Urenkel)
  • der Ehegatte
  • die Eltern des Verstorbenen, sofern keine Abkömmlinge vorhanden sind (§ 2309 BGB)
  • Vorsicht: Geschwister haben kein Pflichtteilsrecht!

Ganz wichtig: Sofern ein vorrangig Pflichtteilsberechtigter vorhanden ist, kann der nachrangig Berechtigte seinen Pflichtteil nicht fordern.

Beispiel:

Erblasser Don hat seinen Sohn Emil und dessen Kinder Franz und Gustav durch Testament enterbt und seinen langjährigen Freund Xaver zum Alleinerben bestimmt. Hier wären sowohl Emil als auch Franz und Gustav theoretisch berechtigt, ihren Pflichtteil zu fordern. Da Emil aber näher mit Don verwandt ist, sind seine Abkömmlinge Franz und Gustav von ihrem Pflichtteil ausgeschlossen. Es wäre anders, wenn Emil schon vorverstorben wäre, denn dann könnten Franz und Gustav als „Stammesabkömmlinge“ des Emil ihren Pflichtteil gegen den Erben Xaver geltend machen.

3. Ich will die alte Vase von Mutter haben – was kann ein Pflichtteilsberechtigter?

Ganz wichtig zu wissen ist, dass der Pflichtteil nichts mit der Stellung eines Erben zu tun hat. Während der Erbe grundsätzlich frei über den Nachlass und alle vererbten Gegenstände (und Gelder) verfügen kann (von der komplizierten Konstellation in einer Erbengemeinschaft einmal abgesehen), ist der Pflichtteil ein reiner Geldanspruch eines Enterbten gegenüber den Erben. Das bedeutet also, dass der Pflichtteilsberechtigte kein Recht hat, Gegenstände aus dem Nachlass des Verstorbenen für sich zu beanspruchen. Das einzige, was er darf, ist Geld zu fordern, und zwar in Höhe der Quote, die ihm der Gesetzgeber für seinen konkreten Einzelfall zugeteilt hat. Mit diesem Geldanspruch sind außerdem großzügige Auskunftsansprüche des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erben zur Höhe des Nachlasses verbunden. Er kann sogar vom Erben verlangen, dass er ein Nachlassverzeichnis von einem Notar erstellen lässt, wobei der Pflichtteilsberechtigte dem Notar bei dessen Arbeit genau genommen „über die Schulter“ blicken darf.

4. Wir haben ja Zeit – Fristen für den Pflichtteil

Sobald der Berechtigte vom Tod des Erblassers und seiner Enterbung erfahren hat, und zwar durch die Zusendung des eröffneten Testaments über das Nachlassgericht, beginnt die Frist zu laufen, die man für die Geltendmachung des Pflichtteils nutzen muss. Merke: Der Pflichtteilsanspruch verjährt in drei Jahren ab Kenntnis, wobei die Verjährung am Ende des entsprechenden Jahres zu laufen beginnt.

Beispiel:

Michael erfährt am 30.05.2016 vom Nachlassgericht, dass ihn sein Vater testamentarisch enterbt hat. Die Verjährung beginnt am 31.12.2016 und dauert drei Jahre, d.h. mit Ablauf des 31.12.2019 wäre der Pflichtteilsanspruch verjährt, wenn Michael bis dahin den Anspruch nicht geltend gemacht hat. Ab dem 01.01.2020 wäre dann eine Durchsetzbarkeit der Forderung gegenüber dem Erben nicht mehr möglich.

Man sollte also keinesfalls zu lange zögern, seinen Pflichtteil einzufordern, weil man sich dadurch möglicherweise seinen Anspruch komplett abschneidet. Es sollte für jeden Pflichtteilsberechtigten die Regel sein, so schnell wie möglich vom Erben ein Nachlassverzeichnis zu fordern und sich nicht monate- oder gar jahrelang vertrösten zu lassen. Sollte der Erbe uneinsichtig oder nicht informationsfreudig sein, ist anwaltliche Hilfe unbedingt geboten, um sich Pflichtteilsansprüche zu sichern.

5. Erbe oder doch nicht? – Ausschlagung und Pflichtteil

Es wäre doch zu schön: Um sich nicht um die gesamte Abwicklung des Erbfalls kümmern zu müssen und doch „kassieren“ zu können, schlägt man sein Erbe aus und verlangt einfach den Pflichtteil von demjenigen, der als Nachfolger alles erbt. Dabei man einem das Gesetz jedoch einen Strich durch die Rechnung, denn sofern man ausschlägt, verliert man grundsätzlich seinen Anspruch auf den Pflichtteil. Von diesem Prinzip macht das Gesetz nur in wenigen Fällen eine Ausnahme (siehe § 2306 BGB), z.B. dann, wenn der Erblasser ein Testament hinterlassen und den Erben, der gleichzeitig Pflichtteilsberechtigter ist, durch ein Vermächtnis oder eine Auflage beschwert hat.

Beispiel:

Yannik ist der einzige Sohn von Helmut. Bei seinem Tod hinterlässt Helmut Geldvermögen in Höhe von 300.000 EUR. Helmut hat Yannik in seinem Testament zwar als Alleinerben eingesetzt, gleichzeitig aber seiner Nichte 100.000 EUR vermacht, die Yannik an sie auszahlen müsste. Yannik kann daher das Erbe ausschlagen und seinen Pflichtteil geltend machen.

Sollten Sie eine erbrechtliche Beratung bzw. Vertretung in Ihrem konkreten Einzelfall benötigen, bin ich selbstverständlich sehr gern für Sie da! Bitte beachten Sie aber, dass jede Beratung gebührenpflichtig ist.


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