Das Thermofenster - oder Dieselskandal 2.0

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Wegweisendes Urteil vom EuGH aus Luxemburg:

 

Das „Thermofenster“ ist eine unzulässige Abschalteinrichtung

Verbraucher erhalten also erneut Rückenwind im Hinblick auf ein Vorgehen gegenüber den Herstellern der Diesel-PKW VW, Daimler, BMW.

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Erneut stärkt der EuGH dem Verbraucher den Rücken. Mit Urteil vom 17.12.2020 spricht das oberste Rechtsprechungsorgan der Europäischen Union den zahlreichen Dieselkäufern Schadensersatz- und Rückabwicklungsansprüche zu.

Nach der heutigen Entscheidung steht uns eine neue Rückruf- und Klagewelle in milliardenschwerem Ausmaß bevor.

 

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Fahrzeughersteller Volkswagen vertreibt weltweit Kraftfahrzeuge. Zahlreiche Fahrzeuge mit Dieselmotoren sind mit einer Software auf den Markt gebracht worden, die geeignet ist, die Emissionswerte während der Zulassungstests zu verfälschen. Elementares System dieser Abschalteinrichtung ist das sogenannte Abgasrückführungs-Ventil (AGR-Ventil), das zur Kontrolle und Verringerung der endgültigen Schadstoffemissionen verwendet wird. Ein technisches Gutachten im Ermittlungsverfahren kam zum Ergebnis, dass die Fahrzeuge über eine Einrichtung verfügen, die es ermöglicht, die Phasen der Zulassungstests des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) zu erkennen und infolgedessen die Funktion des AGR-Systems so anzupassen, dass die vorgeschriebene Emissionsobergrenze eingehalten wird. Umgekehrt reagiert die Einrichtung außerhalb der Zulassungstests, mithin im normalen Straßenbetrieb, mit der Deaktivierung des AGR-Systems. Dies führt zu einer Erhöhung der Stickoxidemissionen.

 

Die Staatsanwaltschaft Paris leitete infolge der medialen Enthüllung das Strafverfahren ein. Im Rahmen eines gegen das Unternehmen eingeleiteten Strafverfahrens legte die erste Instanz, das Tribunal de Grande Instance de Paris, dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art.267 AUEV die Frage vor, ob die eingebaute Software eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art.5 Abs.2 VO (EG) Nr. 715/2007 sei. Die Verordnung verbietet grundsätzlich Abschalteinrichtungen, lässt diese jedoch nur in den gesetzlichen Ausnahmefällen zu.

 

Der Europäische Gerichtshof hat folgendes entschieden:

 

1. Die von der Volkswagen eingebaute Software ist eine unzulässige         Abschalteinrichtung gem. Art.5 Abs.2 VO 715/2007.

 

2. Der unzulässige Einbau der Abschalteinrichtung ist auch nicht gerechtfertigt. 

 

 

Die Verordnung Nr.715/2007 verbietet in Artikel 5 Abs.2. ausdrücklich die Verwendung von Abschalteinrichtungen:

 

Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. 

 

Artikel 3 Nr.10 der Verordnung definiert die Abschalteinrichtung als ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelelgten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

Bei der rechtlichen Würdigung hält sich der EuGH am Wortlaut der Norm. Die eingebaute Software, die die Funktionsfähigkeit des AGR-Ventils steuert, ist „ein Konstruktionsteil“ im Sinne der Vorschrift, da sie als hergestellter Gegenstand Teil einer funktionalen Einheit ist.

 

Das maßgebliche AGR-System ist darüber hinaus auch ein Emissionskontrollsystem. Der EuGH stellt fest, dass die fragliche Software, die die unterschiedlichen Fahrzyklen erkennen kann und dementsprechend die Höhe der Fahrzeugemissionen anpassen kann, um eine Einhaltung der Emissionsgrenzwerte zu erreichen, ein solches Emissionskontrollsystem ist.

 

Dass die Abschalteinrichtung dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern, rechtfertigt ihren Einsatz nicht, so der EuGH. Die Verordnung sieht einen gesetzlichen Ausnahmefall nur dann vor, wenn die Einrichtung den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden schützen soll. Die streitgegenständliche Abschalteinrichtung fällt nicht jedenfalls nicht darunter.

 

Auch wenn es in dem Urteil nicht konkret um das Thermofenster geht, so ist dennoch – da es sich um eine temperaturabhängige Abschalteinrichtung handelt – ein Emissionskontrollsystem und somit eine unzulässige Abschalteinrichtung. Das Thermofenster ist nämlich fester Bestandteil der EA 189-Softwareupdates.

Dieses Urteil hat auch demnach auch Auswirkungen auf die Klagen, die den Dieselmotor EA288 betreffen.

 

Was heißt das Urteil nun für die deutschen Gerichte?

Zwar wirkt das Urteil des EuGH zunächst inter partes, das heißt, es entfaltet eine unmittelbare Bindungswirkung gegenüber dem nationalen Gericht, dass die Rechtsfrage zur Auslegung vorgelegt hat.

Das heißt jedoch nicht, dass es keinerlei Wirkung auf die deutsche Rechtsprechung haben wird. Vielmehr sind aufgrund des Loyalitätsgebots gem. Art. 4 EUV alle Mitgliedstaaten zur entsprechenden Umsetzung bzw. Auslegung verpflichtet, denn nur so kann einheitliches Unionsrecht erzielt werden. (effet utile).

 

 


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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