Das ungeschriebene Gesetz der Altersdiskriminierung

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Die Generation der Boomer kommt so langsam ins Rentenalter. Leider erhalten nicht wenige von ihnen, wie man als Anwalt für Arbeitsrecht immer wieder mitbekommt, fünf oder zehn Jahre vor dem Eintritt ins Rentenalter eine Kündigung von ihrem Arbeitgeber. Das läuft dann zwar in aller Regel auf eine mehr oder weniger großzügige Abfindung hinaus, aber der Job ist halt trotzdem weg.


Um dieses Problem geht es mir vorliegend nicht.


Was viele der Betroffenen berichten, ist, wie schwer es ihnen fällt, im Alter von Mitte oder Ende 50 eine adäquate Anschlussbeschäftigung zu finden. Das liegt meines Erachtens an einer Reihe von Vorurteilen, die nach wie vor gegenüber älteren Arbeitnehmern bzw Bewerbern bestehen und denen auch mit Hilfe des AGG nicht wirklich beizukommen ist.


Diese Vorurteile sollen Gegenstand des vorliegenden Beitrags sein.


Was also spricht – vermeintlich - gegen die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer? Gehen wir die diversen Einwendungen doch einmal im Dialogstil durch.


1. Ältere Arbeitnehmer haben zu hohe Gehaltserwartungen


a) Wer 20 oder 30 Jahre lang auf seinem Sessel sitzt, hat sich häufig ein ordentliches Polster an Privilegien erarbeitet. Nicht zuletzt eine in der Regel ordentliche Vergütung, da über die Jahre ja doch einige Lohnerhöhungen zusammengekommen sind. Diese hohe Vergütung und die entsprechenden Privilegien erwarten ältere Bewerber auch im neuen Job.


b) Aber das stimmt doch nicht. Wer sich auf einen Job bewirbt, weiß ganz genau,  welche Konditionen der Arbeitgeber anbietet. Wenn ein Gehalt von beispielsweise 60.000 € ausgeschrieben ist, kann (und wird) der ältere Bewerber nicht erwarten, dass man ihm allein aufgrund seines Alters 90.000 € bezahlt. Das tut auch in der Regel niemand. Denn es ist der Arbeitgeber, der die Rahmenbedingungen einer ausgeschriebenen Stelle festlegt.  


Gehalt und sonstige Privilegien, die mit einer Position verbunden sind, werden vom Arbeitgeber vorgegeben. Wer sich als älterer Arbeitnehmer auf eine solche Stelle bewirbt, weiß, dass er nicht mehr erwarten kann und erwartet auch in der Regel nicht mehr.


2. Ältere Arbeitnehmer sind nicht hinreichend belastbar und einsatzbereit 


a) Nach langjähriger Berufstätigkeit fehlt ihnen einfach der Biss. Sie halten keinen 10 Stunden Arbeitstag mehr aus und sind auch nicht bereit, sich voll einzusetzen.


b) Langsam, langsam. Diese ganze Thematik von Work/Life Balance und so weiter ist eher ein Thema der jüngeren Generation. Boomer dagegen wurden noch mit der Vorstellung groß, dass die Arbeit an erster Stelle steht.


Im Übrigen setzt das Arbeitszeitgesetz auch der Beschäftigung jüngerer Mitarbeiter zeitliche Grenzen. Und was man so mitbekommt, sind es auch eher die jüngeren Mitarbeiter, die diese Grenzen im Sinne einer Work/Life Balance  tatsächlich einfordern.


3. Ältere Mitarbeiter sind nicht teamfähig 


a) Ein 60-jähriger ist in der Regel nicht bereit, sich einem deutlich jüngeren Vorgesetzten unterzuordnen bzw „in ein Team einzugliedern“, wie das heißt.


b) Ich glaube nicht, dass das eine Frage des Alters ist. Es gibt Menschen, die kein Problem damit haben, Vorgesetzte zu akzeptieren. Und es gibt solche, die das eher nicht können oder wollen. Das ist keine Frage des Alters, sondern eher eine Frage des Typs.


Vielleicht auch der Vorbeschäftigung. Wer die letzten zehn Jahre lang Chef war, tut sich natürlich eher schwer, künftig eine untergeordnete Position zu bekleiden. Dafür hat er Erfahrung in der Führung von Mitarbeitern.


Aber nicht jeder ältere Arbeitnehmer  war früher Geschäftsführer oder in einer leitenden Position tätig. Und wer seit 20 Jahren als Arbeitnehmer in einen Betrieb eingegliedert ist, stellt das Direktionsrecht des Arbeitgebers in der Regel nicht in Frage. Vielleicht sogar weniger als jemand, der frisch von der Uni kommt und noch Idealvorstellungen von der Freiheit im Arbeitsleben hegt.


4. Mit älteren Mitarbeitern kann man nicht langfristig planen 


a) Die gehen ja nach spätestens zehn Jahren ohnehin in Rente, und dann sind sie weg.


b) Ich glaube, dass die Arbeitswelt heutzutage so flexibel und schnelllebig ist, dass man auch mit jüngeren Arbeitnehmern nicht zwangsläufig langfristig planen kann.  Wer neu im Job ist, stellt vielleicht nach zwei Jahren fest, dass ihm die Branche überhaupt nicht liegt und dass er gerne etwas anderes ausprobieren möchte.


Wer jung und erfolgreich ist, für den steht die Betriebstreue häufig auch nicht an erster Stelle, sondern vielmehr der Aufstieg auf der individuellen Karriereleiter. Das kann dann ein anderer Arbeitgeber, eine andere Branche oder ein anderer Arbeitsort sein. Ich würde sogar sagen, dass der Mitarbeiter Mitte 50 eher an einem Job festhält, mit dem er zufrieden ist, als der junge, aufstrebende Mitarbeiter Anfang 30, der sich ständig danach umschaut, ob es nicht vielleicht irgendwo anders noch etwas besseres gibt.


5. Ältere Mitarbeiter kommen doch mit der neuen Technik gar nicht mehr zurecht 


a) Mit neuer Technik  sind die doch völlig überfordert.


b) Das ist meines Erachtens eine Frage des Einzelfalls. Wer 20 Jahre lang immer mit der neuesten Technik gearbeitet hat, der ist in der Regel auch durchaus fit darin. Für wen Technik dagegen eher eine untergeordnete Rolle gespielt hat, der wird sich vermutlich auch jetzt eher einen weniger technikaffinen neuen Job suchen. Im übrigen ist die neuere Technik häufig durchaus anwenderfreundlich, und mit ein bisschen Einarbeitung sollte es auch dem älteren Mitarbeiter gelingen, die für seine Stelle notwendige neue Technik zu beherrschen.


6. Ältere Mitarbeiter sind nicht mehr lernfähig oder lernwillig 


a) Die wollen nur noch das machen, was sie schon immer getan haben.


b) Das halte ich für ein unbegründetes Vorurteil. Ältere Menschen sind häufig durchaus interessiert, etwas Neues zu lernen. Schauen Sie sich doch einmal an,  was für Leute in den verschiedenen Kursen an der Volkshochschule sitzen. In der Regel sind es ältere Menschen, weil die eben auf ihre alten Tage noch eine neue Sprache lernen wollen und so weiter.


Manche wollen auch im Job etwas Neues ausprobieren. In der Regel können ältere Mitarbeiter sogar besser als jüngere einschätzen, was ihnen liegt und für welche Tätigkeiten sie geeignet sind.


Hinzu kommt die berufliche Erfahrung. Etwas Neues zu lernen, fällt häufig demjenigen leichter, der schon auf etwas aufbauen kann. Neue Entwicklungen auf einem bestimmten Fachgebiet versteht man häufig besser, wenn man den vorherigen Stand kennt und beherrscht. Da sind die älteren den jüngeren durchaus einen Schritt voraus.


7. So ein älterer Mitarbeiter braucht das Geld doch gar nicht mehr


a) Der hat doch schon so viele Rücklagen gebildet, dass er auf den neuen Job gar nicht angewiesen ist.


Deshalb lässt er sich auch nicht mehr so viel gefallen wie ein junger Mensch, für den es auf jeden Euro ankommt.


b) Das mag in manchen Fällen zutreffen. In der Regel aber ist auch der ältere Mitarbeiter, der sich auf einen neuen Job bewirbt, auf die Einnahmen angewiesen und stürzt sich nicht aus Langeweile weiterhin ins Arbeitsleben.


Lässt sich ein älterer Mitarbeiter weniger gefallen als ein jüngerer? Das ist meines Erachtens eher eine Typfrage. Nach meiner Erfahrung sind ältere Mitarbeiter eher auf Ausgleich und Konsens bedacht als auf Auseinandersetzung und Streit. Nach 20 Jahren Berufstätigkeit weiß man, dass man nicht jedes Wort eines Vorgesetzten oder Kollegen auf die Goldwaage legen darf.


Und dass sich ein (älterer oder jüngerer) Mitarbeiter gegen Ausbeutung und Missstände im Arbeitsleben zur Wehr setzt, ist sein gutes Recht. Es zeugt, unabhängig vom Alter, nicht von Charakter, wenn man sich Dinge gefallen lässt, die einfach nicht in Ordnung sind. Eher jüngere Leute einzustellen, weil man die leichter „schikanieren“ kann als ältere, ist kein legitimes Argument . Mit jemandem, der so denkt, kann man ohnehin nicht vernünftig argumentieren.


8. Fazit 


Es gibt meines Erachtens kein vernünftiges Argument für Vorbehalte gegen ältere Bewerber aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters. Dass Altersdiskriminierung aufgrund des AGG unzulässig ist, bedarf keiner weiteren Erwähnung.


Die Benachteiligung älterer Bewerber macht aber auch unabhängig von der gesetzlichen Regelung keinen Sinn, da sie häufig auf Vorurteilen fußt, die sich nicht verifizieren lassen.


Mein Appell als Arbeitsrechtler: Nicht auf das Alter eines Bewerbers schauen, sondern auf seine Einstellung und Qualifikation. So will es das AGG, und so ist es auch von der Sache her richtig.



Dr. Wolfgang Gottwald

Rechtsanwalt


Foto(s): wogo

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