Der „Allein-Raser“ und „das Rennen gegen sich selbst“ – ist § 315d I Nr.3 StGB verfassungswidrig?

  • 4 Minuten Lesezeit

Seit der 2017 erfolgten Einführung des „Renn-Paragraphen“ im Strafgesetzbuch kommt es zu einer massiven Anhäufung von Ermittlungsverfahren, bei denen Beschuldigten vorgeworfen wird, ein sogenanntes „Rennen gegen sich selbst“ ausgetragen zu haben. Daraus, dass sie mit häufig tatsächlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren sind, und aus manchen zusätzlich vorgeworfenen Verhaltensweisen beim Führen eines Kraftfahrzeuges wird ihnen letztlich angelastet, als sogenannte „Allein- oder Einzel-Raser“ unterwegs gewesen zu sein und dadurch den Straftatbestand des § 315d Abs.1 Nr.3 StGB erfüllt zu haben. Neben erheblichen Geld- oder Freiheitsstrafen steht dann regelmäßig die Entziehung der Fahrerlaubnis und nicht selten zusätzlich die Einziehung des Tat-Fahrzeugs zur Debatte. Doch gerade die besagte Vorschrift wirft zahlreiche ungeklärte Rechtsfragen sowie (zugunsten der Beschuldigten!) Beweisprobleme auf. Bei fachkundiger Verteidigung durch einen spezialisierten Anwalt bestehen daher oftmals recht gute Chancen auf einen Verfahrenserfolg.

Aus Platzgründen darf in grundsätzlicher Hinsicht auf unsere gesonderten Beiträge

verwiesen werden.

Hier soll es nur um die spezielle Frage gehen, ob – losgelöst von allen Tatbestandsmerkmalen und Beweisproblemen – die Verbotsvorschrift des § 315d Abs.1 Nr.3 StGB verfassungskonform oder vielmehr verfassungswidrig ist. Ich vertrete Letzteres.


1.) Was bedeutet die erforderliche Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen?

In der derzeitigen Gesetzesfassung sieht der Paragraph vor, dass sich jener Kraftfahrzeugführer strafbar macht, der sich mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos im Straßenverkehr fortbewegt, „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“.

Was aber ist darunter genau zu verstehen? Ist damit die vom Fahrzeug erreichbare, technisch bedingte Höchstgeschwindigkeit angesprochen? Oder geht es vielmehr in relativer Hinsicht um die Geschwindigkeit, die mit dem Fahrzeug unter Berücksichtigung der Straßen-, Verkehrs- und Witterungsbedingungen maximal möglich erscheint?


2.) Relevanz der Bestimmtheit des Tatbestandes für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift

Eben diese Fragen sind von ganz erheblicher Bedeutung und dringend klärungsbedürftig. Denn nach dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (Art. 103 Abs.2 GG). Ist ein Straftatbestand hingegen nicht ausreichend bestimmt, so ist er in der Regel für nichtig zu erklären und natürlich darf dann auch niemand deswegen bestraft werden.

Zusammen mit zahlreichen anderen spezialisierten Strafverteidigern vertrete auch ich die Auffassung, dass § 315d Abs.1 Nr.3 StGB den strengen Anforderungen im Grundgesetz nicht genügt und deswegen verfassungswidrig ist. Der Gesetzgeber ist schließlich verpflichtet die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände für den Normadressaten schon aus dem Gesetz selbst zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010, Az. 2 BvR 2559/08).

Ein Verkehrsteilnehmer hat aber bei den oben aufgeworfenen Fragen keine Möglichkeit, vor Fahrtantritt exakt herauszufinden, was er tun darf und was er umgekehrt zu unterlassen hat, um sich nicht strafbar zu machen.


3.) Das Bundesverfassungsgericht hat nun zu entscheiden: Ist der Tatbestand des "Einzel-Rasens" verfassungswidrig oder nicht? 

Abzuwarten bleibt, ob auch das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung teilt. Dort ist bereits ein Verfahren zu der maßgeblichen Rechtsfrage anhängig. Den Auslöser hierfür gab das Amtsgericht Villingen-Schwenningen, welches die Frage der Verfassungsmäßigkeit per Beschluss vom 16.01.2020 (Az. 6 Ds 66 Js 980/19) im Wege einer sogenannten Normenkontrolle (Art. 100 Abs.1 GG) dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt hat, bevor es selbst in der Strafsache entscheiden kann. Ausdrücklich heißt es in dem Beschluss des Amtsgerichts: 

Es [das Gericht] ist davon überzeugt, dass § 315d Abs.1 Nr.3 StGB verfassungswidrig unbestimmt im Sinne des Art. 103 Abs.2 GG […] ist. […] Die Vorschrift verstößt gegen den Verfassungsgrundsatz nullum crimen sine lege certa, der in Art. 103 Abs.2 GG verankert ist. 


4.) Auswirkungen des Verfassungsgerichtsstreits auf laufende Verfahren wegen "illegaler Rennen" und Verteidigungsansätze

Ebenso sollte es in sonstigen Verfahren vor anderen Gerichten möglich sein, mit Blick auf die erwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wenigstens eine Aussetzung zu erzielen

Der anwaltliche Verteidiger wird zugleich versuchen, die Herausgabe beschlagnahmter Führerscheine bzw. die Aufhebung einer etwaigen vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis sowie der Beschlagnahme des Fahrzeugs zu bewirken.

Natürlich wird neben der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Fachanwalt für Verkehrsrecht auch etwaige sonstige Verteidigungsansätze für den/die Beschuldigte(n) nutzen.  

Auch einige andere Gerichte haben bereits mehr oder weniger deutliche Bedenken an der Bestimmtheit des hier angesprochenen Straftatbestandes geäußert.

Vor dem Hintergrund heftigster drohender Rechtsfolgen (Geld- oder Freiheitsstrafe; Entziehung der Fahrerlaubnis mit langer Sperrfrist für die Wiedererteilung; drohende MPU; Einziehung des Fahrzeugs!) sollte aktuell niemand den Tatvorwurf des „Einzel-Rasens“ hinnehmen, ohne ihn von einem versierten Fachanwalt für Verkehrsrecht prüfen zu lassen.

 

Dr. Sven Hufnagel
Rechtsanwalt

Dr. jur. Sven Hufnagel ist Fachanwalt für Verkehrsrecht und zusätzlich auf die Vertretung Beschuldigter in Verkehrsstrafsachen spezialisiert. Er weist Erfahrungen aus 17-jähriger Berufstätigkeit auf diesem Rechtsgebiet auf und hat bereits mehrere Strafverfahren wegen „illegaler Rennen“ geführt.

Von 2015 bis 2020 wurde er durchgehend in der „FOCUS-Anwaltsliste“ als „Top-Anwalt für Verkehrsrecht“ aufgeführt. Seine Kanzlei wurde zudem im STERN-Magazin als eine der „Besten Verkehrsrechts-Kanzleien Deutschlands“ erwähnt.

Weitere Informationen auf unserer Homepage unter www.anwalt-strafrecht.com .


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. jur. Sven Hufnagel

Beiträge zum Thema