Der Strafbefehl - die Zustellung in der Europäischen Union oder an Ausländer ohne ausreichende Deutschkenntnisse

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In Deutschland wird eine beträchtliche Anzahl von Strafverfahren im Strafbefehlsverfahren erledigt. 

Siehe ergänzend zum Thema „Strafbefehl” meine Beiträge auf anwalt.de:

http://www.anwalt.de/rechtstipps/wann-ist-der-einspruch-gegen-den-strafbefehl-sinnvoll_070916.html

http://www.anwalt.de/rechtstipps/strafbefehl-gegen-limburger-bischof_050969.html

Von den ungefähr 727 000 Neuzugängen bei den Amtsgerichten im Jahre 2012 wurden ca. 542 000 Verfahren durch die Erhebung einer Anklage eingeleitet und ca. 154 000 Verfahren kamen durch einen Einspruch gegen den Strafbefehl Zustande. (Quelle: Statistisches Bundesamt)

Die zweiwöchige Einspruchsfrist beginnt erst mit der Zustellung an den Angeklagten. 

In der Regel bearbeitet der Rechtspfleger oder die Rechtspflegerin in der Geschäftsstelle des Amtsgerichts die Probleme im Zusammenhang mit der Zustellung. 

Beginn der Einspruchsfrist mit der Zustellung der Übersetzung des Strafbefehls

Bei ausländischen Beschuldigten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, unterläuft dem Rechtspfleger / dem Strafrichter häufig der Fehler, dass der Strafbefehl nicht in die Muttersprache des Angeklagten übersetzt wird. 

Wenn sich aus der Akte ergibt, dass die Person der deutschen Sprache nicht mächtig ist, dann ist selbstverständlich eine Übersetzung des Strafbefehls beizufügen. Das gilt auch für Strafbefehle, die in der EU zugestellt werden müssen.

Bei einer selten gesprochenen Sprache gibt es keinen qualifizierten Dolmetscher, der adäquat übersetzen kann. Allein in Nigeria werden über 500 Sprachen gesprochen (vor allem Yoruba, Haussa, Igbo, Fulfulde, Kanuri etc.). Durch die Migration vieler Menschen nach Europa werden Dolmetscher mit diesen speziellen Sprachkenntnissen immer wichtiger. Ihre Zahl ist jedoch gering. 

Übersetzung in der Zweitsprache

Das Hanseatische Oberlandesgericht behilft sich damit, dass es sagt, es reiche die Übersetzung in einer Zweitsprache der Heimatstaat des Angeklagten aus. In Afrika ist dies die Sprache der ehemaligen Kolonialstaaten Frankreich oder England etc. Ist jemand aus Eritrea, so würde wohl nach der Rechtsprechung des Senats des Hans. OLG eine Übersetzung in Arabisch ausreichen, wenn der Angeklagte ausreichend Sprachunterricht in der Schule hatte. Ich lehne diese Rechtsprechung ab. Sie ist contra legem, vgl. § 187 Absatz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Die Übersetzung muss in einer dem Angeklagten „verständlichen Sprache” vorliegen. vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss v. 1.10.2008, Az. 2 Ws 165/08 - in Volltext unter dem Link http://www.strafverteidiger-hamburg.net/entscheidungssammlung.html

Der Beginn der Einspruchsfrist wird erst mit der Zustellung der schriftlichen Übersetzung in Gang gesetzt, so kürzlich das Landgericht Gießen, Az. LG Gießen, Beschluss vom 29.04.2015 – 7 Qs 48/15

Gemäß § 37 Abs. 3 StPO ist einem Prozessbeteiligten das Urteil zusammen mit der Übersetzung zuzustellen, wenn ihm nach § 187 Abs. 1 und 2 GVG eine Übersetzung des Urteils zur Verfügung zu stellen ist. In diesem Falle beginnt nach § 37 Abs. 3 StPO die Rechtsmittelfrist nicht vor Zustellung der schriftlichen Übersetzung zu laufen; eine Zustellung ohne schriftliche Übersetzung ist unwirksam (vgl. LG Stuttgart NStZ-RR 2014, 216 zitiert aus LG Gießen).

Zwar ist der Strafbefehl kein Urteil, wenn die Einspruchsfrist läuft. Das Gericht wendet § 37 Abs. 3 StPO entsprechend an, so dass auch hier wie bei § 187 Abs. 2 S. 1 Gerichtsverfassungsgesetz eine Übersetzung zu erfolgen hat.

Erforderlich zur Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, ist in der Regel die schriftliche Übersetzung von freiheitsentziehenden Anordnungen sowie von Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen Urteilen, so das GVG.

„Nur so kann der durch europäisches Recht (Art. 3 RL 2010/64/EU) vorgegebene gesetzgeberische Wille entsprochen werden” (LG Gießen a.a.O)

dazu mein Beitrag auf anwalt.de:

http://www.anwalt.de/rechtstipps/recht-auf-ein-faires-verfahren-im-schengen-raum-insbesondere-beim-erlass-eines-strafbefehls_070777.html

Im Prinzip können nach dieser Rechtsprechung Urteile, die über viele Monate vermeintlich rechtskräftig geworden sind, wieder in Gang gesetzt werden.

Ich berate Sie dazu gerne, wie Sie vorgehen können. 

Der Autor ist Rechtsanwalt Dr. Ebrahim-Nesbat

Strafverteidiger aus Hamburg

Stand 01.09.2015


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