Der Verkehrsunfall und seine Rechtsfolgen

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Verkehrsunfälle kommen tagtäglich vor. Der Artikel beschreibt die rechtlichen Folgen, die ein Verkehrsunfall nach sich ziehen kann, welche Ansprüche entstanden sein können und wie das Unfallopfer am besten vorgehen sollte.

Die alleinerziehende Frau Y. erlitt am Ende eines Staus stehend einen Unfall durch ein auffahrendes Fahrzeug, bei dem sie schwer verletzt wurde. Die Ärzte prognostizierten einen positiven Heilungsverlauf, der aber nicht eintrat. Die Versicherung zahlte aufgrund dieser Aussagen nur geringe Vorschüsse und stellte dann die Zahlungen ein.

Herrn Ö. wurde beim Fahren über eine Kreuzung die Vorfahrt genommen, wobei er zunächst nur leicht verletzt wurde. Daher ging er als die Schmerzen immer schlimmer wurden, erst drei Tage später zum Arzt. Dieser stellte eine HWS-Distorsion und einen Hartspann fest. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung musste laufend verlängert werden. Herr Ö. leidet seitdem unter ständigen starken Rückenschmerzen. Die Versicherung zahlte nur den reinen Blechschaden und verweigerte jede sonstigen Zahlungen, weil Herr Ö. eine Vorerkrankung am Rücken hätte.

Die Schwangere S. erlitt einen unverschuldeten Verkehrsunfall, bei dem das Ungeborene erheblich verletzt wurde und lebenslang gepflegt werden musste. Die Versicherung zahlte anfänglich hohe Summen für Schmerzensgeld und Pflege, ohne einen Anwalt einzuschalten. Als das Kind erwachsen wurde, kamen besondere Probleme hinzu. Die Versicherung meinte, schon genug gezahlt zu haben und verweigerte die weiteren Zahlungen.

Hier handelt es sich um klassische Folgen von Verkehrsunfällen, die in ähnlicher Art ständig stattfinden. Die Betroffenen leiden in der Regel nicht nur unter den unmittelbaren körperlichen Folgen. Es entstehen bei schweren Unfällen auch oft psychische Probleme wie Einschlafstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen. Oft geraten die Geschädigten in finanzielle Not, weil die Versicherung nur teilweise Zahlungen leistet. Durch den Unfall bestehen folgende Ansprüche gegenüber der gegnerischen Haftpflichtversicherung.

1. Schmerzensgeld

Für jede schuldhafte Körperverletzung hat der Verletzte einen Anspruch auf Schmerzensgeld. Die Höhe richtet sich nach der Art, Intensität und Dauer der Verletzungen und deren Folgen und ist im Einzelfall zu ermitteln. Sie ist angelehnt an die geltende Rechtsprechung. Insofern sind die Verletzungen und die Folgen mit solchen Fällen zu vergleichen, die bereits durch Urteil entschieden worden sind.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung ergeben sich folgende Schmerzensgeldbeträge:

100-1.000 Euro Prellungen, Schürfwunden, leichte HWS-Distorsion, AU bis zu sieben Tagen

800-1.500 Euro Verletzungen, die mehrere Untersuchungstermine notwendig machen, AU bis 14 Tage, mittelmäßige Schmerzen, keine Frakturen oder Rippenfraktur ohne notwendige OP.

1.500,00 – 5.000,00 Fraktur, die eine ambulante Operation notwendig machte. Erhebliches Distorsionstrauma, Gehirnerschütterung 1. Grades

5.000,00 – 10.000,00 Euro Operation mit Krankenhausaufenthalt notwendig, in der Regel wegen Knochenbrüche oder Verletzung innerer Organe; Wunde, die sich infiziert hat und längere Behandlungen notwendig macht. Sonstige Verletzungen mit Behandlungsdauer bzw. AU bis zu sechs Wochen.

10.000,00 – 15.000,00 Euro Langwieriger Heilungsprozess über mehr als sechs Monate, entstellende Narbe/n, dauerhafte leichte Beeinträchtigungen. Lebensgefahr, leichte psychische Folgen, mehrere Operationen notwendig.

15.000-25.000 Euro Unfallverletzung, die dauerhafte Behinderungen nach sich ziehen, ggf. mehrere Operationen und komplikationsreichem Verlauf, GdB 20-40 oder schwere psychische Beeinträchtigungen, die behandelbar sind.

25.000-50.000 Euro wie vorher, zusätzlich schwere dauerhafte Behinderung, bleibende psychische Beeinträchtigung, Arbeitsplatzwechsel erforderlich, Probleme mit der Erledigung alltäglicher Dinge, Pflegegrad 1

50.000-100.000 Euro zusätzlich Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2-3, Amputation einer Gliedmaße, GdB 50-80, auf Hilfe Dritter angewiesen; Verlust der Arbeitsfähigkeit, erhebliche Schmerzen und Bewegungsbeeinträchtigungen

100.000-200.000 Euro erhebliche Dauerschmerzen mit erheblichen Bewegungsbeeinträchtigungen, ständige Hilfsbedürftigkeit, GdB 60-100, Pflegegrad 3-5, mögliche Rollstuhlpflichtigkeit, Bettlägerigkeit

über 200.000 Euro Hilflosigkeit, ständige Pflegebedürftigkeit, schlimmste Dauerschäden bis zum Lebensende

Diese Angaben dienen nur für eine erste grobe Einschätzung der Höhe des Schmerzensgeldes. Bei schweren Unfällen mit multiplen Verletzungen und Polytraumata, insbesondere bei Kindern ist die gerichtsfeste Ermittlung des Schmerzensgeldes besonders schwierig. Hier muss auf den Einzelfall abgestellt werden. Die körperlichen und seelischen Verletzungen sind meist so individuell, dass Angaben aus Schmerzensgeldtabellen nicht weiterhelfen.

Weitere Details zur Berechnung des Schmerzensgeldes erhalten Sie unter: https://www.anwalt.de/rechtstipps/das-schmerzensgeld-und-die-ermittlung-der-angemessenen-hoehe_115544.html

2. Entgeltschaden

Wenn die Verletzungen zu einer Arbeitsunfähigkeit führen, die länger als sechs Wochen andauert, entsteht ein Entgeltschaden, den die Gegenseite zu ersetzen hat. Hierbei handelt es sich um die Differenz zwischen dem üblicherweise verdienten Entgelt und dem Krankengeld, das von der Krankenkasse bezahlt wird. Bei Selbstständigen ist die Berechnung nicht ganz so einfach.

3. Haushaltsführungsschaden

Wenn der Verletzte den Haushalt geführt hat, entsteht ein Haushaltsführungsschaden, wenn er diesen Haushalt aufgrund der Unfallfolgen nicht mehr durchführen kann. Wenn eine Haushaltshilfe angestellt wird, können die tatsächlichen Kosten hierzu als Schaden geltend gemacht werden. Üblicherweise wird der Haushalt von Freunden oder Verwandten kostenfrei übernommen. Dann entsteht ein fiktiver Haushaltsführungsschaden, den die Gegenseite auch zu erstatten hat. Hier wird so getan, als ob der Freund oder Verwandte für seine Tätigkeit nach Tarif bezahlt wird. Diesen fiktiv zu berechnenden Betrag muss die gegnerische Versicherung erstatten. Details hierzu unter: https://www.anwalt.de/rechtstipps/haushaltsfuehrungsschaden_055946.html

4. Pflegeschaden

Wenn die Verletzungen so schlimm sind, dass das Opfer beim Essen, beim Waschen oder beim An- und Ausziehen Hilfe benötigt, entsteht ein Pflegeschaden, der ähnlich wie der Haushaltsführungsschaden anhand der tatsächlichen Kosten oder fiktiv berechnet werden kann.

5. Betreuungsschaden

Ein Betreuungsschaden fällt immer dann an, wenn das Unfallopfer andere Personen gepflegt oder betreut hat. In der Regel sind das die eigenen Kinder, wie beim Fall der Frau Y. Hier können dann die Kosten einer Betreuerin oder Schülerhilfe verlangt werden. Üblich übernehmen Verwandte eine solche Betreuung, was aber nicht dazu führt, dass dies der Versicherung zugutekäme. Hier fällt ein fiktiver Betreuungsschaden an.

Die Einzelheiten zur Berechnung des Haushaltsführungs-, des Entgelt- (insbesondere bei Selbstständigen) und des Pflege- oder Betreuungsschadens können Sie auf meiner Webseite entnehmen.

6. Sonstiger Schadensersatz

Außerdem können alle sonstigen Schäden ersetzt werden, die kausal auf den Verkehrsunfall zurückzuführen sind. Hierbei handelt es sich um Sachschäden (meist am Fahrzeug), Sachverständigenkosten, Kosten für Hilfs- und Heilmittel (Medikamente, Unterarmgehstützen) bzw. Zuzahlungen hierzu. Ferner können alle Fahrtkosten zu Ärzten und Krankenhäusern erstattet werden. Bei stationärem Aufenthalt auch die Fahrtkosten einer Besuchsperson.

7. Kosten des Rechtsanwaltes

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die notwendigen Rechtsverfolgungskosten ebenfalls von der Gegenseite bezahlt werden müssen. Das heißt, dass die wesentlichen Kosten eines Rechtsanwaltes als Schaden geltend gemacht werden können, so dass man als Unfallopfer in der Regel keine eigenen Rechtsanwaltskosten hat. Dies gilt aber nur für die Beauftragung eines Rechtsanwaltes. Für den Fall, dass zu viel Schmerzensgeld verlangt worden ist, das nicht mehr angemessen war, verbleiben Kosten für den Mandanten. Aus diesem Grund sollte das Schmerzensgeld genau beziffert werden und ein Rechtsanwalt aufgesucht werden, der sich mit der Ermittlung der Höhe des Schmerzensgeldes auskennt und die sonstigen Schadensersatzpositionen ermitteln kann.

Bei einem Verkehrsunfall sollte man also folgendermaßen vorgehen:

  1. Die Polizei sollte man bereits unmittelbar eingeschaltet haben, damit der Unfall aktenkundig wird und Ermittlungen zum Geschehen, zu den Zeugen und zum Schadensumfang eingeleitet werden.
  2. Selbstverständlich und kaum erwähnenswert ist das sofortige Aufsuchen eines Arztes.
  3. Bei geringfügigen Verletzungen kann man auch ohne Anwalt die Ansprüche bei der Kfz-Haftpflichtversicherung anmelden, auch wenn das nicht immer zu empfehlen ist. Nützliche Tipps erhalten Sie hierzu auf meiner Webseite.
  4. Bei erheblichen Verletzungen sollte man einen Rechtsanwalt einschalten, der sich mit Personenschäden schwerpunktmäßig befasst. Dort lassen Sie die einzelnen Schadenspositionen ermitteln und den Anspruch durchsetzen. Weiterführende Informationen erhalten Sie hier: https://www.anwalt.de/rechtstipps/durchsetzung-von-versicherungsleistungen-fuer-schwerverletzte-nach-unverschuldetem-verkehrsunfall_052034.html
  5. Falls auffällt, dass der Anwalt die Ansprüche nicht beziffern kann oder sonst überfordert erscheint, sollte man zunächst ein Gespräch mit ihm suchen. Wenn keine Klärung des weiteren Vorgehens erfolgt, sollte man über einen Wechsel des Anwaltes nachdenken. Aufgrund der entstehenden Kosten sollte man vor einem Wechsel Rücksprache mit der Rechtsschutzversicherung, dem bisherigen und dem zukünftigen Rechtsanwalt halten.
  6. Bezahlt die Gegenseite nicht die Forderungen und kann auch kein außergerichtlicher Vergleich abgeschlossen werden, bleibt Ihnen nichts Anderes übrig als die Klage vor Gericht zu erheben. Hier muss die Kfz-Haftpflichtversicherung verklagt werden. Manchmal ist es notwendig auch den Halter mit zu verklagen.

Bei Frau Y. war die Einschätzung der Höhe des Schmerzensgeldes besonders schwierig, da die Ärzte eigentlich einen positiven Heilungsverlauf prognostizierten, der dann aber nicht eintrat. Die Folgen waren im Gegenteil besonders gravierend, so dass ein erhebliches Schmerzensgeld gefordert wurde, was die Versicherung dazu veranlasste, es auf eine Klage ankommen zu lassen. Im Rahmen dieses Verfahrens wurden die Unfallfolgen vollständig bestätigt und die Versicherung zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 120.000,00 Euro verurteilt sowie zur Zahlung aller Folgekosten.

Bei Herrn Ö. lag ein besonderes Beweisproblem vor. Da das erstinstanzliche Gericht von einer nur ganz geringen Aufprallgeschwindigkeit ausging, meinte es, dass nach eigener richterlicher Erfahrung von einem erheblichen unfallbedingten Dauerschaden nicht auszugehen sei. In der Berufung wurde dann ein technisch-medizinisches Gutachten erstellt. Im Falle von normalen Auffahrunfällen hätte das Gericht Recht gehabt, jedoch lag ein Seitwärtsaufprall vor, wodurch besondere körperliche Schäden jedenfalls nicht ausgeschlossen seien. Ferner hatte Herr Ö. bereits Vorschäden an der Wirbelsäule, die ohne Unfall möglicherweise nie aufgefallen wären, so dass feststand, dass die erlittenen Schmerzen vollständig unfallbedingt waren. Entsprechend wurden Herrn Ö. die Forderungen zugesprochen.

Bei dem Kind der Frau S. hatte die Versicherung bereits über 500.000,00 Euro bezahlt. Damit wurde ein behindertengerechter Umbau des Hauses, der externe Pflegedienst und ein Teil des Schmerzensgeldes bezahlt. Tatsächlich waren die bislang angefallenen Ansprüche doppelt so hoch, weil Frau S. die eigenen Leistungen im Haushalt und der Pflege nicht angesetzt hat. Zusätzlich der zukünftigen Ansprüche in der Zukunft wie Haushaltsführungsschaden und Entgeltschaden, der bislang vergessen wurde, lag die Gesamtsumme der Forderungen bei 4,5 Millionen Euro, die bis zu seinem Lebensende zu erwarten wären. Nach Beauftragung unserer Kanzlei wurde ein weiterer hoher fünfstelliger Vorschuss bezahlt. Im Übrigen musste die Klage erhoben werden, dessen Ergebnis noch aussteht.

Informationen zum Autor:

Rechtsanwalt Lattorf beschäftigt sich ausschließlich mit schweren Personenschäden im Bereich der Verkehrsunfälle, Arzthaftung und Tierbissverletzungen und steht Ihnen für solche Rechtsfälle gerne zur Verfügung.


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