Der Versicherer erklärt die Anfechtung des Versicherungsvertrags – Was nun?

  • 4 Minuten Lesezeit

Wenn der Versicherer die Anfechtung eines Versicherungsvertrags erklärt, ist dies für den Versicherungsnehmer wie ein Schock aus heiterem Himmel. Meist passiert es lange Zeit nach Abschluss des Versicherungsvertrags. Der Anlass ist in der Regel die Anmeldung eines Versicherungsschadens. Die Konsequenzen könnten härter kaum sein:

  • der aktuelle Versicherungsschaden wird nicht reguliert
  • der Versicherungsvertrag wird nicht fortgeführt
  • obwohl der Versicherungsnehmer keinerlei Versicherungsschutz erhält, bekommt er für die Vergangenheit keine Versicherungsbeiträge zurück

Wie kann dies geschehen? Die „Anfechtung wegen arglistiger Täuschung“ ist ganz allgemein für das Zivilrecht in § 123 BGB geregelt. Gemäß § 22 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) besteht diese Möglichkeit auch für den Versicherer im Versicherungsrecht. Ein typischer Beispielfall, der immer wieder vorkommt, ergibt sich bei Versicherungen, bei denen der Versicherer vor Vertragsabschluss so genannte Gesundheitsfragen stellt, die dazu dienen, den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers im Hinblick auf Vorerkrankungen zu prüfen. Es handelt sich dabei vor allem um Krankenversicherungen, Unfallversicherungen und Berufsunfähigkeitsversicherungen. Wenn der Versicherungsnehmer bestimmte Vorerkrankungen angibt, wird der Abschluss des Versicherungsvertrags entweder ganz verweigert oder nur mit gewissen Zuschlägen beim Versicherungsbeitrag bewilligt. Gleichzeitig muss der Versicherungsnehmer zustimmen, dass der Versicherer jederzeit berechtigt ist, Erkundigungen über gesundheitlich relevante Umstände des Versicherungsnehmers einzuholen, also beispielsweise die gespeicherten Krankheitsfälle bei der Krankenkasse abzufragen. Leider erfolgt eine entsprechende Abfrage in der Regel nicht vor Vertragsschluss. Eigentlich hätte der Versicherer die Möglichkeit, die relevanten Gesundheitsfragen selbst durch Einholung entsprechender Informationen direkt vor Vertragsschluss zu überprüfen. Aus Kostengründen sehen die Versicherer in aller Regel hiervon ab. Sobald jedoch ein Versicherungsschaden gemeldet wird, erfolgt eine rückwirkende Prüfung viele Jahre in die Vergangenheit. Wenn sich dabei herausstellt, dass Gesundheitsfragen im Versicherungsantrag nicht genau so beantwortet wurden, wie es sich aus den abgefragten Gesundheitsdaten ergibt, erklärt der Versicherer die Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung. Den Versicherungsnehmer trifft dies besonders hart, wenn der Vertrag bereits seit langer Zeit besteht und gerade ein Versicherungsfall eingetreten ist. Die Versicherer nehmen hierauf jedoch keine Rücksicht.

Wer als Versicherungsnehmer von einem solchen Fall betroffen ist, sollte jedoch nicht gleich die Hoffnung aufgeben. Die rechtliche Überprüfung ergibt in vielen Fällen, dass die erklärte Anfechtung nicht wirksam erfolgen konnte, da es an bestimmten Voraussetzungen fehlt. Versicherer vergessen nämlich oftmals, sämtliche erforderlichen Voraussetzungen für eine Arglistanfechtung in Betracht zu ziehen. Auch wenn der Vorwurf der arglistigen Täuschung auf den ersten Blick nicht ganz fernliegend erscheint, können zahlreiche Gründe dazu führen, dass doch keine Anfechtung möglich ist. Folgende Voraussetzungen einer Anfechtung sollten unbedingt überprüft werden:

  1. Ausschlussfrist: Nach Ablauf von zehn Jahren nach Abschluss des Versicherungsvertrags ist die Anfechtung gemäß § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG ausgeschlossen.
  2. Täuschung: Voraussetzung für die Anfechtung ist eine Täuschung des Versicherers. Eine solche wird in der Regel damit begründet, dass Fragen, welche der Versicherer vor Vertragsschluss gestellt hat, unrichtig beantwortet wurden. Umstände, nach denen der Versicherer nicht explizit gefragt hat, müssen nach einer (jedoch umstrittenen) Rechtsauffassung in der Regel auch nicht angegeben werden. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass der Versicherungsnehmer sich in der Regel darauf verlassen kann, mit der Beantwortung der gestellten Fragen seinen Pflichten nachgekommen zu sein. Dies bedeutet also, dass zum Beispiel gesundheitliche Probleme, welche nicht zum Fragenkatalog des Versicherungsantrages gehören, auch nicht als Grund für eine Anfechtung gelten können.
  3. Arglist: Die Täuschung muss vorsätzlich  in der Absicht vorgenommen werden, den Versicherer in seiner Willensentscheidung zu beeinflussen, d.h. ihn zum Abschluss eines Vertrages zu bewegen. Vorsätzlich handelt ein Versicherungsnehmer nur, wenn er weiß, dass seine Angaben unrichtig oder unvollständig sind. An der notwendigen Kenntnis fehlt es, wenn der Versicherungsnehmer sich im Zeitpunkt des Versicherungsantrages beispielsweise an länger zurückliegende gesundheitliche Probleme nicht mehr erinnern kann oder auch wenn er eine gestellte Frage missversteht. Wenn der Versicherungsnehmer nicht erkannt hat, dass ein bestimmter Umstand gefahrerheblich war und für die Vertragsentscheidung des Versicherers erheblich war, fehlt es an der erforderlichen Absicht, den Versicherer in seiner Willensentscheidung zu beeinflussen. Wenn der Versicherer den Vertrag anficht, muss er sowohl Vorsatz als auch Absicht beweisen. Aus wissentlich falschen oder unvollständigen Angaben kann nicht ohne weiteres auf eine Täuschungsabsicht geschlossen werden. Wenn man als Versicherungsnehmer plausibel darlegen kann, warum es zu Falschangaben gekommen ist, muss der Versicherer dies widerlegen. Gelingt ihm dies nicht, scheitert die Anfechtung. Je länger ein bestimmter Umstand zurückgelegt, umso plausibler ist es, dass der Versicherungsnehmer diesen nicht vorsätzlich verschwiegen hat.
  4. Kausalität: Der Versicherer muss auch darlegen und erforderlichenfalls beweisen, dass er bei Kenntnis des wirklichen Sachverhalts den Versicherungsvertrag so nicht abgeschlossen hätte. Hierzu muss der Versicherer seine Risikoprüfungsgrundsätze offenlegen.
  5. Verhalten des Versicherungsvertreters: Wenn die Beantwortung der vom Versicherer gestellten Fragen persönlich gegenüber dem Versicherungsvertreter erfolgte, muss der Versicherer sich die Kenntnis des Vertreters zurechnen lassen. Wenn beispielsweise der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertreter mündlich über einen bestimmten Umstand informiert hat und der Versicherungsvertreter daraufhin gesagt hat, dass er diesen Umstand (aus welchen Gründen auch immer) nicht in das Formular eintragen würde, liegt keine arglistige Täuschung durch den Versicherungsnehmer vor.

Die Kanzlei TREWIUS Rechtsanwälte steht Ihnen gerne für eine kostenlose Erstberatung zur Verfügung. Weitere Informationen zum Versicherungsrecht finden Sie auf unserer Internetseite.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Armin Wahlenmaier

Beiträge zum Thema