Deutsche Unternehmen spüren Auswirkungen der Ukraine-Krise - Beitragsreihe Teil 1
- 9 Minuten Lesezeit
Diese rechtlichen Fragen müssen sich Unternehmer jetzt stellen:
Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht Dr. Ulrich Rösch
Bereits durch die Corona Pandemie wurden die globalen Lieferketten einem Stresstest unterzogen. Nun werden diese durch den seit 24.02.2022 anhaltenden Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine erneut vor ungeahnte Herausforderungen gestellt.
Deutsche Unternehmen spüren die angespannte Situation an den Märkten insbesondere deshalb, weil sie häufig eine Doppelrolle einnehmen. Für die eigene Produktion werden zahlreiche Rohstoffe, Bauteile und sonstige Einzelteile importiert. Nach der Herstellung der fertigen Endprodukte werden diese sodann auf den Weltmärkten angeboten. Eine Vielzahl von Unternehmen in Deutschland ist damit sowohl Kunde als auch Lieferant und sieht sich auf Anbieter- und Nachfragerseite mit neuen rechtlichen Fragestellungen konfrontiert:
Welchen Ansprüchen sind Unternehmen seitens ihrer Abnehmer ausgesetzt?
Welche Forderungen können Unternehmen gegenüber ihren eigenen Lieferanten geltend machen?
Viele Geschäftsführer holen deswegen die Lieferverträge aus den Schubladen und prüfen die rechtlichen Möglichkeiten. In einer komfortablen Situation ist jetzt derjenige, der durch vorausschauende Vertragsgestaltung Vorsorge für den Krisenfall getroffen hat.
Welche Handlungsoptionen Unternehmen nun haben, zeigen unser Partner Dr. Ulrich Rösch im Rahmen von zwei Artikeln, welche sowohl die Sicht des Lieferanten als auch die des Kunden betrachtet.
Teil 1: Aktuelle Handlungsempfehlungen für Lieferanten in der Ukraine-Krise
Die Stabilität der Lieferketten ist zentrale Voraussetzung für einen funktionierenden Wirtschaftskreislauf. Lieferanten müssen hierzu ihren jeweiligen Abnehmern die bestellte Ware in der vereinbarten Menge zum vereinbarten Zeitpunkt zum vereinbarten Preis liefern. Häufig wird dies durch langfristige Liefer- und Bezugsverträge zwischen Lieferant und Abnehmer sichergestellt. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ukraine-Krise werden diese Verträge vor erhebliche Herausforderungen gestellt und Lieferanten sehen sich mit zahlreichen rechtlichen Fragen konfrontiert, die es zu klären gilt:
Können wir Kostensteigerungen an unsere Kunden weitergeben?
Es stellt sich die Frage, wie innerhalb bestehender Lieferverträge Preissteigerungen, insbesondere ausgelöst durch stark gestiegener Energie- und Rohstoffpreise an den Kunden weitergegeben werden können.
Nach dem geltenden Grundsatz „pacta sunt servanda“ sind Verträge so einzuhalten, wie sie abgeschlossen wurden. Auch wenn es während der Vertragslaufzeit zu Kostensteigerungen kommt, ist der im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vereinbarte Preis maßgeblich.
Preisanpassungsklauseln
Eine intelligente Möglichkeit der Vertragsgestaltung sich gegen Preissteigerungen, z.B. infolge gestiegener Rohstoffe abzusichern, bieten Preisanpassungsklauseln. Solche Klauseln geben das Recht, den Preis während der Vertragslaufzeit zu erhöhen. Generell unterscheidet man zwischen unterschiedlichen Arten von Preisklauseln (vgl. hierzu unseren Artikel Steigenden Rohstoffpreisen effektiv begegnen (anwalt.de)).
Bei sog. Kostenelementeklauseln passt sich der Preis automatisch an die Kosten an, die der Lieferant selbst hat. Kommt es also zu Kostensteigerungen bei Rohstoffen, gibt er diese Kosten automatisch an seine Abnehmer weiter.
Bei sog. Spannungsklauseln erhöht sich der Preis ebenfalls automatisch dadurch, dass der Preis an einen Index gebunden ist. Typischerweise finden sich diese in Miet- oder Pachtverträgen und seltener in Liefer- oder Dienstverträgen.
Bei sog. Preisvorbehaltsklauseln steht die Erhöhung noch im Ermessen des Lieferanten. Dieser kann also selbst entscheiden, ob er erhöhte Kosten an seine Kunden weitergeben möchte oder nicht.
Achtung: Nur eine wirksame Klausel entfaltet die gewünschte Rechtswirkungen. Die Wirksamkeit solcher Preisanpassungsklauseln unterliegt neben den Regelungen des PrKlG auch dem AGB-Recht, sollten diese in entsprechenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen formuliert sein. Im B2B-Bereich spielt insbesondere § 307 BGB eine entscheidende Rolle (§ 310 Abs. 1 S. 2 BGB). Werden Preisklauseln an bestimmte Bezugsgrößen gebunden, müssen diese Bezugsgrößen hinreichend klar und bestimmt sein. Formulierungen wie etwa der Bezug auf die „allgemeine wirtschaftliche Lage“ sind zu ungenau.
Berufen auf Wegfall der Geschäftsgrundlage
Sollte der Vertrag keine Preisanpassungsklausel enthalten, kann der Lieferant versuchen, über den Wegfall der Geschäftsgrundlage eine Preisanpassung zu erwirken.
Gem. § 313 BGB kann die Anpassung eines Vertrages verlangt werden, wenn sich vertragswesentliche Umstände schwerwiegend verändert haben, die Parteien den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen hätten, sofern sie von der Veränderung bei Vertragsschluss gewusst hätten und der Partei, die sich auf Anpassung beruft, nach den Umständen ein Festhalten an der Vereinbarung nicht zugemutet werden kann.
Als vertragswesentlicher Umstand kommt die Änderung der Rohstoffpreise infolge des Ukrainekriegs in Betracht. Dieser Umstand, somit die Preisentwicklung, muss sich schwerwiegend geändert haben. Nicht zu bestreiten ist die nachteilige Entwicklung auf den Rohstoffmärkten. Ob sich ein Unternehmer allerdings erfolgreich auf diese berufen und somit Vertragsanpassung verlangen kann, wird in den jeweiligen Einzelfall zu prüfen sein.
Achtung: Eine rechtliche Prüfung der Umstände des konkreten Einzelfalls und unter Berücksichtigung der jeweils betroffenen Interessen der Vertragsparteien ist angezeigt.
Wir wurden von unserem Vorlieferanten im Stich gelassen, wie können wir Vertragsstrafen und Schadensersatzforderungen unserer Kunden abwehren?
Eine Lieferkette lässt sich mit ineinandergreifenden Zahnrädern vergleichen. Blockiert eines dieser Zahnräder, wirkt sich dies stets auf die nachfolgenden Räder aus. Können Sie als Lieferant nicht pünktlich liefern, weil Sie Ihr Vorlieferant im Stich gelassen hat, sehen Sie sich häufig mit Vertragstrafen und Schadensersatzforderungen konfrontiert. Es stellt sich daher die Frage, wie Sie als Lieferant solchen Forderungen entgegentreten können.
Beschaffungsrisiko ausschließen
Voraussetzung sowohl für in AGB vereinbarte Vertragsstrafen als auch Schadensersatzansprüche ist, dass der Lieferant die Nichtlieferung zu vertreten hat. Basiert die Nichtlieferung, wie derzeit häufig darauf, dass der Lieferant seinerseits nicht rechtzeitig beliefert wurde, stellt sich die Frage, ob dies einen den Lieferanten exkulpierenden Umstand darstellt. Entscheidend ist damit, wen das Beschaffungsrisiko trifft.
Bei Gattungsschulden trifft das Beschaffungsrisiko nach der gesetzlichen Wertung Sie als Verkäufer. Der Verkäufer schuldet in diesem Fall – anders als bei der Stückschuld – keine bestimmte Sache, sondern lediglich eine Sache mittlerer Art und Güte. Die Pflicht zur Leistung besteht somit solange fort, wie eine solche Sache beschafft und damit die geschuldete Leistung erbracht werden kann. Der Verkäufer trägt folglich das Risiko, dass ihm die Beschaffung der Ware gelingt. Der Verkäufer kann sich grundsätzlich nicht darauf berufen, dass er seinerseits nicht bzw. nicht rechtzeitig beliefert wurde. Solange also eine Ware der gleichen Gattung auf dem Markt verfügbar ist, wie dies insbesondere bei Rohstoffen häufig der Fall ist, ist der Verkäufer verpflichtet, eine Ersatzbeschaffung bei einem anderen Lieferanten – wenn auch zu höheren Kosten – vorzunehmen. Die Tatsache, dass es keine Ware der gleichen Gattung auf dem Markt gibt, haben Sie als Verkäufer zu beweisen.
Achtung: Wollen Sie sich als Lieferant gegen erhobene Schadensersatzansprüche verteidigen, müssen sie darlegen, dass Sie die verspätete Lieferung nicht zu vertreten haben.
In diesem Zusammenhang sind Ihre Allgemeinen Verkaufsbedingungen bedeutend. Durch entsprechende Gestaltung der Verkaufs- und Lieferbedingungen können Verkäufer das sie treffende Beschaffungsrisiko ausschließen. Möglich ist dies etwa durch die Vereinbarung eines Selbstlieferungsvorbehalts.
Achtung: Der Vorbehalt muss sich innerhalb der Grenzen des AGB-Rechts bewegen. Zusätzlich ist natürlich notwendig, dass die entsprechenden AGB wirksam in den Vertrag mit einbezogen worden sind. Gerade in grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen ist festzustellen, dass hier oft handwerkliche Fehler gemacht werden. Anders als bei rein nationalen Fallgestaltungen reicht nämlich für die Einbeziehung der bloße Hinweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht aus, sondern es ist eine tatsächliche Kenntnisnahme des Vertragspartners nachzuweisen. Dies gelingt meist nur dann, wenn eine gegengezeichnete Version der Verkaufsbedingungen vorliegt.
Damit zeigt sich die praktische Relevanz von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und des rechtssicheren Umgangs mit selbigen. Gerade in Krisensituationen wird derjenige belohnt, der über wirksame AGB verfügt, die offensichtliche und potentielle Risiken angemessen erfassen.
Einbeziehung sogenannter Force-Majeur-Klauseln
Der Lieferant könnte sich zudem darauf berufen, dass die Leistung infolge höherer Gewalt oder dem internationalen Pendent der „Force Majeure“ nicht erbracht werden kann.
In vielen internationalen Lieferverträgen sind Force-Majeure-Klauseln enthalten. Diese stehen in Zusammenhang mit einer verspäteten Leistungserbringung im Falle der höheren Gewalt. Diese Klauseln definieren unter welchen Voraussetzungen der Leistungsverpflichtete von seiner Leistungspflicht befreit ist bzw. die Leistung verweigern darf. Generell ist dazu (1) ein unvorhersehbares Ereignis notwendig, das (2) außerhalb der Kontrolle der Parteien liegt und (3) die Leistungserbringung verhindert oder erschwert. Häufig erfolgt noch eine Aufzählung konkreter Beispiele wie z.B. Naturkatastrophen, Streiks, Pandemien aber auch kriegerische Auseinandersetzungen.
Achtung: Zu beachten ist, dass sich auf Force Majeure nur das Unternehmen berufen kann, das unmittelbar von dem fraglichen Ereignis betroffen ist. Konkret bedeutet dies, dass sich zwar ein ukrainisches Unternehmen, dessen Produktionsstätte durch Bomben getroffen ist oder dessen Mitarbeiter an der Waffe dienen, sich auf Force Majeure berufen können, nicht aber der deutsche Abnehmer dieser Leistung gegenüber seinem Vertragspartner.
Enthält der Vertrag keine Force-Majeure-Regelung, muss nach dem jeweils auf den Vertrag anwendbaren Recht geprüft werden, ob ein Leistungsverweigerungsrecht besteht. Dies könnte sich nach dem deutschen Recht nach den Bestimmungen der Unmöglichkeit oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ergeben. Allerdings sind die Anforderungen sowohl an die Unmöglichkeit als auch an den Wegfall der Geschäftsgrundlage hoch. Auch hier ist eine Prüfung des Einzelfalls notwendig.
Überprüfung von Vertragsstrafenklauseln
Macht der Käufer Vertragsstrafen geltend, sollte der Lieferant die entsprechenden Klauseln auf ihre Wirksamkeit hin prüfen. Hierbei ist besonderes Augenmerk auf die Höhe der vereinbarten Vertragsstrafe zu richten. Sofern die Vertragsstrafe, wie im Normalfall in AGB enthalten ist, darf diese nicht einen Tagessatz von 0,2% und die Gesamthöhe von 5 % der Auftragssumme überschreiten. Verstößt die Klausel gegen die Vorgaben des AGB-Rechts ist die Vertragsstrafenklausel unwirksam.
Supply-Chain-Risikomanagementsystem als mittelfristige Handlungsmöglichkeit
Jenseits der eher kurzfristig ausgelegten vorstehend geschilderten Reaktionen wird es mittelfristig darum gehen, die Lieferketten durch ein verbessertes Supply-Chain-Risikomanagementsystem zu stabilisieren. Ziel der Maßnahmen wird im Kern eine Verringerung der Abhängigkeit von einzelnen Sublieferanten sein.
Zu erwarten ist, dass kurz- und mittelfristig die Tendenz dazu gehen wird, die just-in-time-Fertigung zu reduzieren und damit die Lagerhaltung hinsichtlich von Rohstoffen zu erhöhen. Insbesondere Abnehmer von Vorleistungen könnten ihre Lagerkapazitäten erhöhen. Der Wandel würde letztlich mit sich bringen, dass auch neue Lagerflächen angemietet werden müssen. Damit steigen jedoch die Lagerkosten und der Kapitalbedarf. Hinsichtlich der Gestaltung von Mietverträgen für Lagerflächen ist insbesondere darauf zu achten, dass diese sorgfältig gestaltet werden, um flexibel auf geänderte Bedürfnisse reagieren zu können. Neben der Anmietung entsprechender Lagerflächen ist an die Wahl langsamerer Transportmittel zu denken. So könnte der Luftfrachtweg durch Containerschiffe ersetzt und die Lagerhaltung damit auf diese übertragen werden. Gleichwohl gilt dies nicht für solche Rohstoffe und Materialien, welche aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht für eine längerfristige Lagerung geeignet sind.
Das Wichtigste in drei Sätzen:
- Lieferanten können unter bestimmten Umständen Kostensteigerungen an ihre Kunden weitergeben, etwa durch Preisanpassungsklauseln oder unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage.
- Schadensersatzforderungen können durch entsprechende Vereinbarungen zum Beschaffungsrisiko beziehungsweise durch Berufung auf Force-Majeur-Klauseln vermieden werden.
- Ein effektives Supply-Chain-Risikomanagementsystem durch erhöhte Lagerbestände sowie vorausschauende Mietvertragsgestaltung für Lagerflächen können nachteilige Folgen abmildern.
Abschließender Hinweis
Die vorstehenden Ausführungen ersetzen selbstredend nicht die Beratung durch einen spezialisierten Rechtsanwalt. Insbesondere sind bei der Vertragsgestaltung zahlreiche Einzelheiten zu berücksichtigen, sodass eine Betrachtung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls erforderlich und damit eine individuelle Beratung unerlässlich sind.
Über #LFR Wirtschaftsanwälte
LFR Wirtschaftsanwälte sind Ihr Partner für Unternehmen in allen Fragen des (internationalen) Vertragsrechts. Wir verfügen seit über 20 Jahren über umfangreiche Expertise in allen typischen Formen von Wirtschaftsverträgen, insbesondere bei Lieferverträgen, Ein- und Verkaufsbedingungen, Supply Chain- und Vertriebsverträgen, der Verhandlung sowie außergerichtlichen und gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen von Lieferanten und Abnehmern. Ebenso ist ein Schwerpunkt unserer Tätigkeit das gewerbliche Mietrecht.
Als qualifizierte Fachanwälte im Gesellschafts-, Arbeits- und Insolvenz-, internationales Wirtschafts- und Steuerrecht, als zertifizierte Restrukturierungs- und Sanierungsexperten vertreten wir Sie in allen Fragen rund um Ihr Unternehmen. Als erfahrene und spezialisierte Wirtschaftsanwälte erarbeiten wir mit Ihnen individuelle Konzepte.
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