Die Aufforderung der Krankenkasse zum Antrag auf Rehabilitation

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Die Aufforderung zum „Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben“ nach § 51 SGB V ist ein wichtiges Thema in der sozialrechtlichen Beratung geworden. Die Praxis zeigt, dass Versicherte von den gesetzlichen Krankenkassen immer früher aufgefordert werden, eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme zu beantragen. Regelmäßig erfolgt die Aufforderung bereits während der noch laufenden Akutbehandlung, in Einzelfällen sogar unmittelbar nach Beginn des Krankengeldbezugs. Die Aufforderung zur Beantragung einer Rehabilitationsmaßnahme in einer frühen Krankheits- und Behandlungsphase dient in erster Linie der frühzeitigen Sicherung möglicher Erstattungsansprüche der Krankenkassen gegenüber den Rentenversicherungsträgern. Sie folgt einer ökonomischen Kostenträgerlogik und keinem medizinischen Behandlungsplan.

Die Aufforderung der Krankenkasse, einen Antrag auf Rehabilitation zu stellen, schränkt den sozialrechtlichen Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum der Betroffenen ein. Die Aufforderung hat für sie weitreichende Konsequenzen auf mehreren Ebenen: 

Rechtliche Konsequenzen 

• Einschränkung des Gestaltungsrechts (Dispositionsrechts) 
Das heißt, dass zukünftige Entscheidungen über den Ort und den Zeitpunkt einer Rehabilitationsmaßnahme nur mit Zustimmung ihrer gesetzlichen Krankenkasse treffen dürfen. Versicherte dürfen den Antrag auf Rehabilitation später auch nicht einfach wieder zurücknehmen. 

• Umwandlung des Rehabilitationsantrags in einen Rentenantrag 
Der Rehabilitationsantrag kann von der Rentenversicherung in einen Rentenantrag umgewandelt werden, § 116 SGB V. Der Antrag auf Rehabilitation kann sich damit unmittelbar auf den Rentenbeginn auswirken und das Ende des Erwerbslebens bedeuten. 

• Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis 
Arbeits- und Tarifverträge, zum Beispiel TVöD, können Regelungen enthalten, nach denen der Arbeitsvertrag automatisch endet, wenn der Rentenversicherungsträger die Erwerbsminderung festgestellt hat. 

Finanzielle Konsequenzen 

• Wegfall des Krankengeldes 
Wenn Versicherte den Antrag auf Rehabilitation nicht oder verspätet stellen, verlieren sie ihren Anspruch auf Krankengeld. Der Anspruch lebt wieder auf, sobald der Antrag gestellt wird. Für den Zeitraum dazwischen erhalten sie kein rückwirkendes Krankengeld. 

• Drohender Verlust der beitragsfreien Krankenversicherung 
Die Krankenkasse stellt das Krankengeld in der Regel ein, wenn der Rehabilitationsantrag nicht innerhalb der 10-Wochen-Frist gestellt wird. Der Anspruch auf die beitragsfreie Krankenversicherung bleibt dann nur bestehen, wenn der Krankenkasse auch weiterhin lückenlos ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden. Andernfalls endet der beitragsfreie Versicherungsschutz und die Versicherung wird in eine beitragspflichtige „obligatorische Anschlussversicherung“ (§ 188 Abs. 4 SGB V) umgewandelt. Falls die Voraussetzungen vorliegen, kann der Versicherungsschutz auch mit einer Familienversicherung aufrechterhalten werden. 

• Wegfall des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach § 145 SGB III (Nahtlosigkeit) 
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld im Rahmen der Nahtlosigkeitsregelung entfällt, wenn der Rehabilitationsantrag in einen Rentenantrag umgewandelt wird. Dies gilt auch, wenn aufgrund fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen kein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente besteht. 

• Langfristige Auswirkung auf die zu erwartende Rentenhöhe 
Der Bezug einer (befristeten) Erwerbsminderungsrente kann die Höhe der zu erwartenden Altersrente mindern.

Verfahrensablauf

Die Krankenkasse kann Versicherte nur dann auffordern, einen Antrag auf Rehabilitationsmaßnahmen nach § 51 SGB V zu stellen, wenn in einem ärztlichen Gutachten festgestellt wurde, dass sie in ihrer Erwerbsfähigkeit erheblich gemindert oder bedroht sind (§ 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Das Gutachten wird in der Regel von der Krankenkasse beim Medizinischen Dienst (MD) in Auftrag gegeben. Dafür reicht es bereits aus, dass der Versicherte arbeitsunfähig ist. Eine Krankengeldzahlung muss noch nicht erfolgt sein. Regelmäßig fordern die Krankenkassen als Grundlage für das (MD-)Gutachten vorab bei den behandelnden Ärzten einen Bericht über die bestehende Arbeitsunfähigkeit an. 

Bevor die Krankenkasse den Versicherten auffordern kann, einen Antrag auf Rehabilitationsmaßnahmen nach § 51 SGB V zu stellen, muss sie den Betroffenen anhören (§ 24 SGB X). Die Anhörung kann mündlich oder schriftlich erfolgen. In der schriftlichen Anhörung teilt die Krankenkasse dem Versicherten mit, dass sie beabsichtigt, eine Aufforderung nach § 51 SGB V zu stellen. Die Krankenkasse muss im Rahmen der Anhörung darlegen, auf welchen Tatsachen ihre Absicht, eine Aufforderung zu stellen, beruht. Regelmäßig wird die Krankenkasse hier auf den Inhalt des (angeblichen) Gutachtens verweisen. Die Krankenkasse setzt dem Versicherten dann eine Frist, in der sie sich zu der beabsichtigten Aufforderung äußern können. Die Frist muss angemessen sein und beträgt in der Regel zwischen zwei und vier Wochen. Häufig rufen die Krankenkassen den Versicherten auch an und fordern ihn mündlich auf, einen Antrag auf Rehabilitationsmaßnahmen zu stellen. Die Anrufe können rechtlich als – zulässige – mündliche Anhörung bewertet werden. Auch bei der mündlichen Anhörung muss die Krankenkasse dem Versicherten eine angemessene Frist zur Stellungnahme einräumen. Für den Versicherten ist die Anhörung eine Möglichkeit, sich frühzeitig in das Verfahren einzubringen und – sofern gewünscht – gegen die Aufforderung zu wehren. In der Anhörung kann er seine aktuelle (Behandlungs-) Situation darstellen und Argumente gegen die Aufforderung vorbringen. Weiterhin kann er bereits zum jetzigen Zeitpunkt das zugrundeliegende Gutachten anfordern. Der Versicherte ist jedoch nicht verpflichtet, auf die Anhörung zu reagieren. Aus taktischen Gründen kann es sinnvoll sein, die Frist verstreichen zu lassen. Zum Beispiel dann, wenn bei dem Versicherten zu diesem Zeitpunkt tatsächlich eine Erwerbsminderung zu erwarten ist, weil er einen Rückfall haben oder die Behandlung keine Fortschritte macht. 

Rechtmäßigkeit der Aufforderung nach § 51 SGB V

Die Krankenkasse kann Versicherte nur auffordern, einen Antrag auf Rehabilitation zu stellen, wenn ein ärztliches (MD-)Gutachten vorliegt. In dem Gutachten muss festgestellt worden sein, dass eine Minderung oder Gefährdung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. 

Die Praxis zeigt, dass die Krankenkassen häufig gar kein Gutachten in Auftrag geben, sondern vorläufige Verdachtsdiagnosen, Entlassbriefe, Pflegegutachten der Aufforderung nach § 51 SGB V zugrunde legen. Weiter ist anzutreffen, dass die Krankenkassen ein Gutachten des MD hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit, nicht der Erwerbsfähigkeit, zur Grundlage machen. In allen Fällen ist der Bescheid rechtswidrig, da dem Bescheid kein Gutachten zugrunde liegt.

Die Krankenkasse entscheidet nach eigenem Ermessen, ob und wann sie den Versicherten auffordert, einen Antrag auf eine Rehabilitationsmaßnahme zu stellen. § 51 SGB V ist eine sogenannte „Kann-Vorschrift“, das heißt, dass die Krankenkasse auffordern kann, es jedoch nicht muss. Wenn sie jedoch eine Aufforderung erlässt, muss sie darin auch begründen, weshalb (§ 35 SGB X). Die Begründung muss alle für die Entscheidung relevanten Umstände enthalten. Dabei muss erkennbar sein, auf welcher Grundlage die Krankenkasse ihre Entscheidung getroffen hat. Häufig wird von Krankenkassen das Interesse der Versichertengemeinschaft als Begründung für die Aufforderung herangezogen. Im Interesse der Versichertengemeinschaft hat die Krankenkasse ein Interesse daran, dass die Leistungsansprüche auf die Rentenversicherungsträger übergehen. Ob dies als Nachweis für die pflichtgemäße Ermessensausübung ausreichend ist, ist vom Einzelfall abhängig und wird in der Rechtsprechung unterschiedlich bewertet. 

10-Wochen-Frist

Der Versicherte hat ab dem Zugang der Aufforderung der Krankenkasse eine Frist von 10 Wochen, um den Antrag bei der Rentenversicherung zu stellen. Die Antragsfrist muss aus der Aufforderung klar hervorgehen. Enthält die Aufforderung eine kürzere Frist, ist sie zwar rechtswidrig, der Bescheid aber dennoch wirksam.

Aufklärung über die Rechtsfolgen

Die Krankenkasse muss den Versicherten in der Aufforderung auf die Folgen hinweisen, wenn sie den Antrag auf eine Rehabilitation nicht stellen. Das bedeutet, dass in der Aufforderung auf Folgendes hingewiesen werden muss: 
• Möglicher Wegfall des Krankengeldes
• Möglicher Wegfall des beitragsfreien Versicherungsschutzes 
• Mögliche Umwandlung in einen Rentenantrag 
• Einschränkungen der Gestaltungsrechte des Versicherten 

Bei unterbliebener Aufklärung ist der Bescheid rechtswidrig.

Rechtswirkungen des Widerspruchs

Der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Solange über den Widerspruch nicht entschieden ist, wird der Bescheid nicht bestandskräftig. 

Fazit

Angesichts der weitreichenden Konsequenzen sollte gegen den Bescheid gem. § 51 SGB V Widerspruch eingelegt werden. Der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung, d.h. die Krankenkasse hat weiter Krankengeld zu zahlen. Bei Einstellung der Zahlung ist einstweiliger Rechtschutz anzustrengen.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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