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Die Musterfeststellungsklage und wie sie funktioniert

  • 4 Minuten Lesezeit
Boris Christof Böhm anwalt.de-Redaktion
  • Am 28. Februar 2020 schlossen der Volkswagen-Konzern und der Verbraucherzentrale-Bundesverband (vzbv) einen außergerichtlichen Vergleich. Beteiligte müssen diesen jedoch nicht annehmen.
  • Die Beteiligten an der Musterfeststellungsklage können nun doch rascher eine Entschädigung erhalten als zuletzt erwartet.
  • Grundsätzlich können Verbraucherverbände mithilfe der Musterfeststellungsklage strittige Fragen gebündelt in einem einzelnen Verfahren entscheiden lassen, ohne höheres Verfahrensrisiko für die einzelnen Beteiligten.
  • Bei der ersten Musterfeststellungsklage in Deutschland sollte entschieden werden, ob VW-Kunden Anspruch auf Schadensersatz haben.
  • Am 30. September 2019 startete das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig.
  • Darüber hinaus sind die gesetzlichen Vorschriften dergestalt, dass Mitkläger zur Durchsetzung ihres Anspruchs anschließend noch einmal selbst Klage einreichen müssen.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv) hat zusammen mit dem ADAC eine Musterfeststellungsklage gegen den VW-Konzern eingereicht. Am 30. September 2019 begann vor dem Oberlandesgericht Braunschweig das Musterverfahren – nun wurde das Verfahren am 28. Februar 2020 durch einen außergerichtlichen Vergleich beendet. Der Abgasskandal und die Frage nach Schadensersatzansprüchen gegenüber der Volkswagen AG bildeten damit die erste Anwendung der neuen Klagemöglichkeit in Deutschland. 

Die Möglichkeit der Musterfeststellungsklage im Rahmen eines Zivilprozesses ist am 1. November 2018 vom Gesetzgeber in Deutschland geschaffen worden. Verbraucherverbände können seither viele Streitfragen gebündelter Form in einem einzelnen Musterverfahren klären. So muss nicht jeder einzelne Betroffene das Risiko eines Verfahrens allein tragen.

In den USA hingegen sind Sammelklagen seit rund 50 Jahren gängige Praxis, weshalb sich VW dort auch bereits mit solchen Klagen auseinandersetzen muss. Im Unterschied zur US-Sammelklage ist bei der Musterfeststellungsklage der Verbraucherverband der Klagegegner, nicht die Verbraucher selbst.

Vergleichsverhandlungen im Rahmen der Musterfeststellungsklage erfolgreich

Am 28. Februar 2020 schlossen der VW-Konzern und der Verbraucherzentrale-Bundesverband (vzbv) einen außergerichtlichen Vergleich. Durch den Vergleich bekommen alle an der Klage beteiligten Anspruchsberechtigten eine Entschädigung von 1.350 bis 6.257 Euro angeboten. Die genaue Summe hängt vom Modell und Alter des jeweiligen Fahrzeugs ab. VW trägt zudem die Kosten für eine individuelle Beratung durch einen Rechtsanwalt bis zu einer Höhe von 190 Euro (netto). Die Annahme dieses Angebots ist bis 20. April 2020 möglich.

Voraussetzung ist ein Fahrzeugkauf bis zum 31. Dezember 2015 und ein Wohnsitz in Deutschland. Außerdem dürfen sie ihre Ansprüche nicht an Dritte, wie etwa myright oder financialright, abgetreten haben. Diese Beschränkungen bedeuten nicht, dass diese Personen keine Ansprüche haben.

Wie Betroffene, die das Vergleichsangebot nicht annehmen wollen, können sie bis mindestens Oktober 2020 Einzelklage erheben. Kläger sind damit nicht mehr an die Musterfeststellungsklage gebunden. Eine für Einzelklagen maßgebliche Entscheidung wird bereits am 5. Mai vom Bundesgerichtshof erwartet.

Bundesgerichtshof verhandelt Anfang Mai über Schadensersatz für VW-Käufer

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat seine erste Verhandlung eines Einzelfalls im Zusammenhang mit dem Abgasskandal auf den 5. Mai 2020 terminiert. Eine Urteilsverkündung am gleichen Tag ist möglich. Dieses Urteil wird für sämtliche Einzelkläger Signalwirkung besitzen. 

Ob sich eine höhere Entschädigung ergibt, ist offen. Grundsätzlich hatte der BGH bereits am 27. Februar 2019 jedenfalls die in den betroffenen Dieselautos von VW verbaute illegale Abgastechnik als Sachmangel eingestuft. Das erklärten die Richter in einem von ihnen veröffentlichten Hinweisbeschluss, nachdem sich der Volkswagen-Konzern mit dem klagenden Käufer eines VW Tiguan kurz vor der BGH-Verhandlung auf einen Vergleich geeinigt hatte und der BGH den Fall dadurch nicht mehr entscheiden musste.

Wie funktioniert die VW-Musterfeststellungsklage?

Im vorliegenden Fall hatten sich ca. 440.000 Käufer von Fahrzeugen der Marken VW, Audi, Seat und Skoda mit Vierzylinder-Dieselmotoren des Typs EA 189 (Hubraum: entweder 1,2, 1,6 oder 2,0 Liter) die ihr Fahrzeug nach dem 1. November 2008 gekauft haben, der Klage angeschlossen. Sie durften noch nicht selbst Klage eingereicht haben und mussten darüber hinaus vom Volkswagen-Pflichtrückruf betroffen gewesen sein. Beschenkte oder Leasingnehmer konnten sich nicht beteiligen.

Mit Beginn der Verhandlung (und jetzt der Einigung auf einen Vergleich), können sich nun keine weiteren Betroffenen mehr anschließen. Für betroffene VW-Kunden besteht aber noch die Möglichkeit der Privatklage.

Ziele und Vorteile der Musterklage

Der klagende Verbraucherzentrale Bundesverband wollte mit der Musterfeststellungsklage erreichen, dass das Gericht grundsätzlich feststellt, dass der Volkswagen-Konzern Fahrzeugkäufer mit Vorsatz sittenwidrig geschädigt und betrogen hat, indem er manipulierte Abgas-Software einbauen ließ. Daher forderte die Verbraucherzentrale die Zahlung von Schadensersatz oder die Erstattung der Fahrzeugkaufpreise.

Die Prozesskosten und das Verfahrensrisiko trägt bei einer Musterfeststellungsklage allein der Verband. An der Klage Beteiligte verhindern durch ihre Beteiligung auch, dass ihre Schadensersatzansprüche verjähren. 

Nachteile der Musterklage

Ein Nachteil ist die mögliche lange Verfahrenszeit, die im Regelfall mehrere Jahre dauern kann.Außerdem ist gesetzlich vorgesehen, dass Mitkläger im Anschluss noch einmal selbst klagen müssten, um ihren Anspruch durchzusetzen.

Selbst wenn bei einer Musterfeststellungsklage gute Chancen für die Kläger bestehen, ist dennoch nicht ausgeschlossen, dass der Prozess verloren geht und sich dann alle, die sich der Klage angeschlossen haben, an diese Entscheidung halten müssen. Das bedeutet, alle Beteiligten würden auf ihrem Schaden sitzen bleiben und könnten dann selbst keinen Schadensersatz mehr durchsetzen. 

Vergleichbare Instrumente

Bis zur Einführung der Musterfeststellungsklage existierten in Deutschland kaum vergleichbare Verfahren. Lediglich im Aktienrecht gibt es Musterverfahren für geschädigte Kapitalanleger. Seit September 2018 läuft beispielsweise ein Prozess vor dem Oberlandesgericht Braunschweig, bei dem es um Kursverluste von Anlegern durch den Abgasskandal geht. Prozessgegner ist auch in diesem Fall der VW-Konzern.

(BCB)

Foto(s): ©Shutterstock.com

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