Die Vorfahrt an der Autobahnauffahrt kann sich ändern – OLG Hamm.

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Wer auf die Autobahn auffährt, muss dem Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn Vorfahrt gewähren. Eine Ausnahme hat nun das OLG Hamm definiert (rechtskräftiger Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 03.05.2018 (AZ.: 4 RBs 117/18)).

Ein Autofahrer wollte seinerzeit von einem Rastplatz auf die Autobahn A 45 in Richtung Frankfurt auffahren. Dort staute sich der Verkehr. Seinem Vordermann gelang es noch, sich vom Beschleunigungsstreifen kommend zwischen zwei Lkw auf der rechten Spur einzufädeln. Er selbst kam schräg halb auf dem Beschleunigungsstreifen und halb auf der Fahrbahn zum Stehen. Als der hintere Lkw wieder anfuhr, übersah dieser das Auto und stieß mit ihm zusammen. Der Autofahrer sollte im Bußgeldverfahren vor dem Amtsgericht 110 Euro zahlen, weil er wartepflichtig gewesen sei. 

Das Gericht hatte sich mit § 18, Abs. 3 StVO zu befassen. Die Norm besagt: 

§ 18 Straßenverkehrsordnung

(Autobahnen und Kraftfahrstraßen)

(1) Autobahnen (Zeichen 330.1) und Kraftfahrstraßen (Zeichen 331.1) dürfen nur mit 

Kraftfahrzeugen benutzt werden, deren durch die Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit mehr als 60 km/h beträgt; werden Anhänger mitgeführt, gilt das Gleiche auch für diese. Fahrzeug und Ladung dürfen zusammen nicht höher als 4 m und nicht breiter als 2,55 m sein. Kühlfahrzeuge dürfen nicht breiter als 2,60 m sein.

(2) Auf Autobahnen darf nur an gekennzeichneten Anschlussstellen (Zeichen 330.1) eingefahren werden, auf Kraftfahrstraßen nur an Kreuzungen oder Einmündungen.

(3) Der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn hat die Vorfahrt.

§ 18 StVO und § 1 StVO im Spannungsfeld.

Die Vorfahrtsregel des § 18, Abs. 3 StVO (Straßenverkehrsordnung), nach der der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn Vorfahrt vor Fahrzeugen hat, die auf die Fahrbahn auffahren wollen, gelte auch bei sog. „Stop-and-Go-Verkehr”. Erst wenn der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn in der Weise zum Stehen gekommen sei, dass mit einer erneuten Fahrbewegung in kürzerer Frist nicht zu rechnen ist, finde diese Vorfahrtsregelung keine Anwendung mehr. Fahrzeugführer, die in dieser Situation auf die Fahrbahn einer Autobahn aufgefahren seien, haben dann aber das Rücksichtnahmegebot des § 1, Abs. 2 StVO zu beachten. Unter Hinweis auf diese Rechtslage hat das OLG Hamm am 03.05.2018 das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 19.01.2018 (AZ.: 431 OWi 731/17) aufgehoben und die Bußgeldsache zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen. Wie schon die gesetzliche Formulierung „Vorfahrt“ zeige, müsse nämlich ein Mindestmaß an Bewegung im Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn der Autobahn herrschen, da ansonsten nicht von einer „Fahrt“ gesprochen werden könne. Stehe der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn, gebe es keine „Vorfahrt“, die Vorrang haben könne.

Das sog. Rücksichtnahmegebot gilt übrigens immer. Selbst Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn (Sonderrechte) haben dies zu beachten.

Das Gericht führt weiter aus: Das Amtsgericht habe daher in der neuen Verhandlung aufzuklären, inwieweit sich der Lkw in einer Fahrbewegung befunden habe, als der Betroffene mit seinem Fahrzeug von der Beschleunigungsspur auf die rechte Fahrbahn gewechselt sei. Dabei sei ggf. auch aufzuklären, ob der Betroffene gegen § 1, Abs. 2 StVO verstoßen habe, weil er so dicht vor dem (stehenden) Sattelzug auf den rechten Fahrstreifen aufgefahren sei, dass dessen Fahrer ihn wegen des sog. „toten Winkels“ eines Lkw-Fahrers nicht unmittelbar habe wahrnehmen können. Dies bedeutet: Der mit einem Bußgeld belegte Autofahrer ist noch nicht aus dem Schneider. 

Gab es noch Fahrzeugbewegungen oder standen die Fahrzeuge schon und hat sich der Betroffene von Standstreifen auf die Fahrbahn gedrängelt, liegt ein Verstoß gegen § 1 StVO zu seinen Lasten vor.

Nach einem Unfall heißt es, Ruhe zu bewahren und keine Angaben zu machen, die Ihre Rechte im Nachhinein mindern könnten. Wichtig ist die professionelle Vertretung und Unfallregulierung durch einen Anwalt.

Das Wichtigste ist zunächst die Absicherung der Unfallstelle und das Bergen von Verletzten. Wichtig ist, Beweise zu sichern (Unfallskizze, Fotos). Die Personalien aller Unfallbeteiligten müssen ausgetauscht werden, unabhängig davon wie das Verschulden bewertet wird. Zur Sache müssen Sie keine Angaben machen. Bevor Sie sich in widersprüchliche Aussagen oder ein Schuldeingeständnis verstricken, sagen Sie lieber gar nichts. Kontaktieren Sie einen Anwalt. Wenn Sie einen polizeilichen oder staatsanwaltlichen Anhörungsbogen erhalten, äußern Sie sich erst nach Rücksprache über Ihren Rechtsanwalt.

Was Sie auf keinen Fall tun dürfen, ist, die Unfallstelle einfach zu verlassen. Unfallbeteiligter ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann. Nach § 142 StGB (sog. Unfallflucht) wird derjenige bestraft, der sich als an einem Verkehrsunfall Beteiligter vom Unfallort entfernt, ohne zuvor den anderen Unfallbeteiligten die Feststellung seiner Personalien ermöglicht zu haben. Den Vorwurf der sog. „Fahrerflucht“ sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Bereits wenn ein bedeutender Fremdschaden (ca. 1300,00 EUR je nach Gerichtsbezirk) gegeben ist, wird nach §§ 111a StPO, 69, II, Nr. 3 StGB i.d.R. die Fahrerlaubnis entzogen. 

Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im Deutschen Anwaltverein.



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