Ein Sachverständiger ist auf Antrag immer anzuhören

  • 3 Minuten Lesezeit

BGH Beschluss vom 07.05.2019, VI ZR 257/17

Fall: Der Kläger nimmt die Beklagten auf materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie Feststellung zukünftiger Einstandspflicht nach ärztlicher Behandlung in Anspruch.

Der Kläger stellte sich wegen Rückenschmerzen im Krankenhaus in O. vor, wo zunächst eine konservative Behandlung erfolgte. Nachdem diese ohne Erfolg blieb, wurde er in das von der Beklagten zu 1 getragene Marienhaus Klinikum S. verlegt. Dort führte der Beklagte zu 2 am 13. Februar 2013 eine Nukleotomie L4/L5 durch. Während der Operation kam eine Bandscheibenfasszange zum Einsatz, von der eine flexible Branche abbrach. Hierbei handelte es sich um kleines Metallteil, das während der Operation nicht erfasst werden konnte und im Körper des Patienten verblieb. Der Kläger leidet heute unter erheblichen Schmerzen, deren Ursache zwischen den Parteien im Streit steht. Der Kläger beruft sich neben Aufklärungsversäumnissen auf Behandlungsfehler bei der Operation vom 13. Februar 2013. Für einen Behandlungsfehler spreche unter anderem bereits der Bruch der Bandscheibenfasszange selbst.

Das Landgericht hat auf der Grundlage eines schriftlichen orthopädischen Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Einen Behandlungsfehler bei der Operation vom 13. Februar 2013 hat das Landgericht unter anderem mit der Begründung verneint, entgegen der Ansicht des Klägers könne aus dem Abbrechen der Bandscheibenfasszange nicht auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers geschlossen werden. Der Sachverständige habe hierzu erklärt, dass das Abbrechen einer Fasszange oder anderer Instrumente als schicksalhaft betrachtet werden müsse und nicht dem Operateur als Behandlungsfehler zugeschrieben werden könne. Instrument- wie auch Implantatbrüche gehörten im Rahmen von operativen Eingriffen zur Tagesordnung. Dies stehe im Einklang mit zahlreichen anderen Gutachten, die das Gericht im Rahmen seiner Spezialzuständigkeit des Arzthaftungsrechts in vergleichbaren Rechtsstreitigkeiten eingeholt habe.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers nach informatorischer Anhörung des Klägers und des Beklagten zu 2 zurückgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren vorgebracht, angesichts der ihm nunmehr vorliegenden Mitteilung der Herstellerfirma der Bandscheibenfasszange, dass diese ausschließlich zum Entfernen von Weichgewebe verwendet werden dürfe, stelle sich weiterhin die Frage, wie es in seinem konkreten Fall zu einem Bruch der Bandscheibenfasszange habe kommen können. Das eingeholte Sachverständigengutachten sei zu diesem Punkt unzureichend. Es stelle sich die Frage, ob angesichts der Tatsache, dass in der Gebrauchsanweisung der Bandscheibenfasszange mitgeteilt werde, dass diese nur zum Entfernen von Weichgewebe verwendet werden dürfe, der Bruch der Fasszange nicht doch einen Behandlungsfehler darstelle. Denn bei ordnungsgemäßer Verwendung (Entfernung von Weichteilen) sei ein Bruch ausgeschlossen, mit der Folge, dass eine unsachgemäße Verwendung vorgelegen habe. Zum „Beweis“ dieses Vorbringens hat der Kläger die Anhörung des Sachverständigengutachters beantragt. Diesen Antrag durfte das Berufungsgericht nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht deshalb – wie geschehen – unbeachtet lassen, weil es die vom Kläger geäußerten Zweifel für nicht durchgreifend erachtete. Der Kläger hatte einen konkreten Gegenstand der Anhörung benannt. Unter diesen Umständen hätte das Berufungsgericht den Sachverständigen anhören müssen, um dem Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu genügen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2012 – 1 BvR 2728/10, NJW 2012, 1346, 1347 Rn. 17 ff.).

Fazit: Für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, kommt es nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob ein solcher von einer Partei nachvollziehbar dargetan worden ist. 

Zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO hat jede Partei eines Arzthaftungsverfahrens Anspruch darauf, dem Sachverständigen Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorzulegen. Es kann dabei von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch entscheidungserhebliche Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht und einen konkreten Gegenstand der Anhörung benennt.

Die Sache wurde zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht verwiesen.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Fachanwältin und Ärztin Dr. med. Britta Konradt

Beiträge zum Thema