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Einschlafen am Steuer? – Lebensgefährlich und strafbar

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Angelehnt an das von mir erstrittene Urteil vom 23.05.2023 - Amtsgericht Ottweiler, Az.: 3 Cs 65 Js 60/23 (71/23)


Im Jahr 2022 verzeichnete der Straßenverkehr durchschnittlich 8 Tote und 989 Verletzte pro Tag. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes lässt sich jeder vierte Verkehrsunfall auf eine Übermüdung bzw. Sekundenschlaf zurückführen. Diese Zahlen zeigen aber nur die Spitze des Eisbergs. Als müdigkeitsbedingt gilt ein Unfall nur dann, wenn dies nachgewiesen werden kann. Das ist meist nur dann der Fall, wenn der Fahrer dies bei der polizeilichen Befragung selbst zu Protokoll gibt. 


Genau das ist meiner Mandantin kürzlich passiert.


Sachverhalt


Nach ihrem Nachtdienst war meine Mandantin mit ihrem Fahrzeug auf dem Weg nach Hause. Unmittelbar vor Ankunft an ihrer Wohnadresse kam es aufgrund von Übermüdung zu einem plötzlich und unerwarteten Sekundenschlaf. Hierdurch verlor meine Mandantin die Kontrolle über ihr Fahrzeug und kollidierte mit einem ordnungsgemäß geparkten Fahrzeug. Zum Glück kam es hierbei nicht zu einem Personenschaden. Auch meine Mandantin war größtenteils unverletzt. Allerdings entstand hierdurch ein Sachschaden i.H.v. insgesamt 50.000,00 €.


Anstatt von ihrem Schweigerecht Gebrauch zu machen, gab meine Mandantin gegenüber der Geschädigten, als auch den herbeigefahrenen Polizeibeamten an, dass sie wohlmöglich einen Sekundenschlaf hatte. Ohne es zu ahnen, hat meine Mandantin damit genug Anlass für die Polizei geboten ein Ermittlungsverfahren gegen sie einzuleiten.


Es folgte ein Beschluss des Amtsgerichts Ottweiler, wonach meiner Mandantin gemäß § 111a StPO die Fahrerlaubnis entzogen worden ist. Dies wirkte zugleich als Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins (§111a Abs. 3 StPO).

Schließlich erhielt sie zu ihrer Überraschung auch einen Strafbefehl, wonach sie wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1b StGB eine Geldstrafe in Höhe von 2.000,00 € zahlen sollte (40 Tagessätze à 50,00 €). Zudem sollte ihre Fahrerlaubnis entzogen und ihr Führerschein eingezogen werden. Für die Dauer von 8 Monaten dürfe ihr damit auch keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden.


Rechtliche Würdigung beim Einschlafen am Steuer


Die Gefährdung des Straßenverkehrs ist in §315c StGB normiert. Danach wird mit Freiheitsstrafe bist zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er


             a) infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder

             b) infolge geistiger oder körperlicher Mängel


nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen.


Die klassischen Fälle sind die typischen „Alkohol- oder Drogenfahrten“, welche unter a) aufgeführt werden.


Unter Nr. 1 b) fallen geistige (psychopathologische Symptome, wie z.B. Bewusstseinsstörungen, verminderte Konzentrations-, Reaktions- und Kritikfähigkeit, etc.) und körperliche Mängel, wie Krankheiten, Unwohlsein, Kurzsichtigkeit oder besonders die Übermüdung.


Das Einschlafen am Steuer aufgrund von Übermüdung kann also die Strafbarkeit der Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315c StGB begründen.


Hierbei handelt es sich um einen gesetzlichen Regelfall, der die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB zur Folge hat. Dies wiederum bedeutet, dass die Strafverfolgungsbehörden in solchen Fällen einen gerichtlichen Beschluss zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO erwirken können – und dies auch - wie oben dargestellt – getan haben.


Bundesweit vertreten viele Gerichte die Auffassung, dass ein Sekundenschlaf infolge von Übermüdung einen Mangel darstellt, welcher dem Beschuldigten oder der Beschuldigten zumindest fahrlässig vorzuwerfen ist.


In diesem Zusammenhang wird eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1969 (BGH, Beschluss v. 18.11.1969 – 4 StR 66/69) zitiert, in der es heißt:


„Nach dem gegenwärtigen Stand der ärztlichen Wissenschaft besteht der Erfahrungssatz, dass ein Kraftfahrer, bevor er am Steuer seines Fahrzeugs während der Fahrt einschläft (einnickt), stets deutliche Zeichen der Ermüdung (Übermüdung) an sich wahrnimmt oder wenigstens wahrnehmen kann. Ausgenommen hiervon ist der (seltene) Fall, dass der Kraftfahrer an Narkolepsie leidet.“


Der BGH hat in dem o.g. Beschluss entschieden, dass unter normalen Umständen davon auszugehen ist, dass der Fahrzeugführer bemerkt, wenn er übermüdet ist und hieraus die Gefahr besteht einzuschlafen. Der Fahrzeugführer handelt dann bei Eintritt von Sekundenschlaf zumindest fahrlässig, weil er keine Pause eingelegt oder die Fahrt nicht beendet hat. Dieser Grundsatz hat sich inzwischen in der Gerichtspraxis verfestigt. Dies hat weitreichenden Konsequenzen für die jeweiligen Betroffenen in Form von Geldstrafen und Fahrerlaubnisentziehung.


Was passierte nach dem Einspruch gegen den Strafbefehl?


Im streitgegenständlichen Fall wurde in dem Strafbefehl - jedoch ohne erkenntliche Anhaltspunkte – Vorsatz angenommen.


Nach erfolgter rechtlicher Beratung legten wir fristgemäß Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Das Hauptziel meiner Mandantin war es hierbei die Entziehung der Fahrerlaubnis zu vermeiden.


In der Hauptverhandlung konnte ich das Gericht davon überzeugen, dass meine – bisher auch nicht vorbestrafte - Mandantin nicht vorsätzlich gehandelt hat.


Zudem konnte ich das Gericht davon überzeugen, dass meine Mandantin geeignet war weiterhin am Straßenverkehr teilzunehmen.


Ergebnis:


Meiner Mandantin wurde die Fahrerlaubnis nicht entzogen. Sie erhielt lediglich ein 2-monatiges Fahrverbot (§ 44 StGB = keine Ungeeignetheit), was durch die Wartezeit bis zur Hauptverhandlung bereits verbüßt worden war. Damit durfte sie sofort nach der Hauptverhandlung wieder in ihr Fahrzeug steigen und losfahren (Amtsgericht Ottweiler, Urteil vom 23.05.2023, Az.: 3 Cs 65 Js 60/23 (71/23).


Weitere und wichtige Vorteile: 


Da der Vorsatzvorwurf endgültig entfiel, übernahm die Rechtsschutzversicherung meiner Mandantin die gesamten Kosten des Verfahrens.


Zudem besteht auch nicht mehr die Befürchtung, dass die Versicherung meine Mandantin in Regress nehmen wird. Bei so einem hohen Sachschaden, wahrscheinlich der größte Erfolg dieses Verfahrens!


Wie geht es weiter?


Einige Gerichte folgen dem oben genannten Erfahrungssatz des BGH nicht mehr ohne weiteres, um eine Strafbarkeit und Haftung nach § 315c StGB beim Sekundenschlaf anzuwenden. Damit kann per se nicht immer von einer Strafbarkeit ausgegangen werden, wenn auch der Fahrlässigkeitsvorwurf entfällt.


Das Landgericht Kaiserslautern betont, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend gibt, dass jedem Sekundenschlaf deutlich erkennbare Warnzeichen (wie z.B. frösteln, häufiges Gähnen, häufiges Blinzeln, Augen reiben, etc.) vorangehen, deren Missachtung eine Fahrlässigkeit begründen. Dies soll im Einzelfall nachgewiesen werden (LG Kaiserslautern, Urt. v. 30.06.2004 – 3 O 1176/03).


Das Landgericht Traunstein (Beschluss vom 08.07.2011 – 1 Qs 225/11) verlangt vielmehr einen solchen Übermüdungszustand, welcher für den Beschuldigten die erkennbare Erwartung eines nahen Sekundenschlafs mit sich bringt (vgl. auch Bayr. OLG NJW 2003, 3499).


Letztlich kommt es - wie so oft - auf den Einzelfall an.


Wenn Sie auch Betroffene/r sind und wohlmöglich einen Strafbefehl oder sogar eine Anklageschrift wegen der Gefährdung des Straßenverkehrs infolge Sekundenschlafs erhalten haben, wenden Sie sich unverzüglich an einen Fachmann. Im besten Fall kann die Entziehung der Fahrerlaubnis verhindert und das Verfahren gegen Sie eingestellt werden.


Selbstverständlich stehe ich Ihnen als Strafverteidiger für eine Einzelfallberatung und Vertretung in Fragen zur Straßenverkehrsgefährdung zur Verfügung.


Foto(s): @Canva

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