Einziehung von Wertersatz nach §§ 73, 73c StGB bei der Hinterziehung von Tabaksteuer

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Mit zwei wichtigen Entscheidungen hat sich der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zur Frage geäußert, unter welchen Voraussetzungen die Hinterziehung von Tabaksteuer zur Anordnung der Wertersatzeinziehung berechtigt. Die Entscheidungen sind deshalb von großer Bedeutung, weil sie den in der Praxis mitunter vorherrschenden Irrglauben korrigieren, die Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung führe zwangsläufig zur Einziehung von Wertersatz. Außerdem werfen sie Folgefragen zur Wertersatzeinziehung im Wirtschaftsstrafverfahren auf, mit denen wir uns hier ebenfalls befassen werden.

1. BGH Beschluss vom 23. Mai 2019, Az. 1 StR 479 / 18

In dem der Entscheidung vom 23. Mai 2019 zugrunde liegenden Sachverhalt hatte das Landgericht den Angeklagten u. a. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels verurteilt und die Wertersatzeinziehung in Höhe von rund 100.000,00 EUR angeordnet.

Das Landgericht hatte festgestellt, dass der Angeklagte in die Schweiz gefahren war, um dort mit Bargeld eines Mitangeklagten Wasserpfeifentabak zu erwerben. Nach Ankauf des Wasserpfeifentabaks fuhr der Angeklagte mit dem unversteuerten und unverzollten Wasserpfeifentabak zurück nach Deutschland. Für die unterschiedlichen Fahrten innerhalb Deutschlands und der Schweiz erhielt der Angeklagte jeweils eine Entlohnung zwischen 100,00 und 150,00 EUR.

Der Senat stellte fest, dass sich die Einziehung von Wertersatz in diesem Fall nicht nach der hinterzogenen Einfuhrabgabe in Höhe von rund 100.000,00 EUR bemessen kann. Zwar könne die verkürzte Steuer „erlangtes Etwas“ im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB sein, weil sich der Täter durch seine Taten Aufwendungen in Form der Steuern erspare.

Praxistipp: 

Selbst diese Auffassung des Senats ist, jedenfalls im Zusammenhang mit der Steuerverkürzung bei der Einkommensteuer, nicht unbestritten. In der Literatur wird mit validen Argumenten darauf hingewiesen, dass eine reine „Nicht-Titulierung“ einer Forderung noch zu keiner Vermögensmehrung beim Täter führt, vgl. dazu Wulf PStR 2018 S. 150, 157 f.

Die Wertersatzeinziehung komme jedoch nur dann in Betracht, wenn tatsächlich ein Vermögensvorteil beim Täter eintrete. „Im Hinblick auf die Struktur der Tabaksteuer als Verbrauch- bzw. Warensteuer“ ergäbe sich „ein unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil nur, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters dadurch“ niederschlage, dass er aus den Tabakwaren auch einen Vermögenszuwachs erziele, zum Beispiel „in Form eines konkreten Vermarktungsvorteils.“

Einen solchen Vermögensvorteil vermochte der Senat beim Angeklagten nicht zu erkennen, weil der Wasserpfeifentabak allein für den Weiterverkauf durch den Mitangeklagten bestimmt war und er selbst daher zu keinem Zeitpunkt einen wirtschaftlichen Vorteil gezogen habe.

Der Senat erklärte ausdrücklich: „Die Abschöpfung nach §§ 73 ff. StGB setzt mehr voraus als die bloße Erfüllung des Steuerstraftatbestandes. Maßgeblich ist immer, dass sich ein Vorteil im Vermögen widerspiegelt. Nur dann hat der Täter durch die ersparten (steuerlichen) Aufwendungen auch wirtschaftlich etwas erlangt.“

Update:

Mit Beschluss vom 23. Juli 2020, Az.: 1 StR 78/20 bekräftigte der Senat diese Rechtsprechung. Der Angeklagte war unmittelbar nach Entstehung der Tabaksteuer aufgegriffen und die von ihm eingeführten Tabakwaren beschlagnahmt worden. Der Senat erkannte in diesem Fall keine wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit der Tabakwaren und damit keine Verfügungsbefugnis. Diese habe zwar ursprünglich einmal bestanden, sei aber durch die Sicherstellung wieder entfallen.

2. BGH Urteil vom 11. Juli 2019, Az. 1 StR 620/18

Mit Urteil vom 11. Juli 2019 knüpfte der Senat an seine vorausgegangene Entscheidung aus Mai 2019 an. Das Landgericht hatte auch in diesem Fall den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Schmuggels verurteilt und die Wertersatzeinziehung in Höhe von rund 1,4 Millionen Euro angeordnet. Der Angeklagte hatte als Transportunternehmer einen nicht eingeweihten Angestellten dazu gebracht, Kartons mit rund neun Millionen unversteuerten Zigaretten in die Niederlande einzuführen. Der Angeklagte selbst sollte dafür ein Entgelt in Höhe von rund 1.000,00 EUR nebst Umsatzsteuer erhalten.

Der Senat erklärte zunächst, dass die vom Landgericht getroffenen Feststellungen eine Verurteilung wegen Schmuggels nicht tragen und sich der Angeklagte „lediglich“ wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht habe, indem er Zigaretten ohne Steuerzeichen ins Steuergebiet verbrachte und „hierdurch die mit dem Verbringen der Zigaretten entstandene Tabaksteuer“ verkürzte. Da die Einziehung jedoch an „einen durch die Tat tatsächlich beim Täter eingetretenen Vermögensvorteil“ anknüpfe, setze sie mehr als nur die bloße Tatbestandserfüllung voraus. Bei Hinterziehung von Tabaksteuer ergäbe sich ein solch unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil nur, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters auch niederschlage, etwa durch einen konkreten Vermarktungsvorteil.

3. Anmerkungen

Die Entscheidungen, die zu einer grundsätzlich zu begrüßenden Begrenzung des Einziehungsrechts im Steuerstrafverfahren führen, begegnen vor allem systematischen Bedenken. So ist zu hinterfragen, wieso der 1. Strafsenat bei ersparten Aufwendungen das erlangte Etwas nicht in Höhe der tatsächlich ersparten Aufwendungen erblickt, sondern zusätzlich einen „unmittelbar messbaren wirtschaftlichen Vorteil“ verlangt und die „Nichtbegleichung“ der Steuerschuld in Form ersparter Aufwendungen ausdrücklich nicht als einen solchen Vorteil im Vermögen des Täters anerkennt. Wer ein Auto stiehlt, muss sich schließlich auch vorhalten lassen, eine Vermögensmehrung in Form des Wertes des Fahrzeugs erhalten zu haben.

a)

Man kann für die Rechtsauffassung des Senats zunächst den faktischen Unterschied zwischen dem Erlangen eines konkreten Gegenstandes und dem Ersparen von Aufwendungen anführen. Der Dieb erlangt durch den Besitz am Fahrzeug erstmals einen wirtschaftlich messbaren Vorteil, ein Mehr im Vergleich zu seiner vorherigen Vermögenslage. Ersparte Aufwendungen führen hingegen „nur“ zum (zeitweiligen) Nichtabfluss von bereits vorhandenem Vermögen. Insoweit unterschiedliche Anforderungen an die Einziehung zu stellen, bei ersparten Aufwendungen also zusätzlich einen Vermögenszuwachs zu verlangen, ist denkbar.

b)

Allerdings argumentiert der Senat nicht mit diesen Unterschieden. Eine solche Argumentation wäre schließlich auch deshalb zu hinterfragen, weil sie letztlich auf alle ersparten Aufwendungen übertragen werden müsste. Beispielsweise bei der Hinterziehung von Veranlagungssteuern wird ein solcher, wirtschaftlich messbarer Vorteil bisher nicht gefordert. Warum aber die Hinterziehung der Einkommensteuer stets einen wirtschaftlich messbaren Vorteil in Form ersparter Aufwendungen darstellen sollte, für die Hinterziehung der Tabaksteuer aber ein (zusätzlicher) Vermögenszuwachs gefordert wird, ist etwa beim vermögenslosen Steuerschuldner nicht ohne weiteres verständlich.

c)

Mangels weitergehender Ausführungen des Senats kann diese Frage hier nicht abschließend beantwortet werden. Für die Strafverteidigung bleibt aber ein Anknüpfungspunkt: Die Feststellung des Senats, offene Steuerschulden begründeten nichts stets über die Rechtsfigur ersparten Aufwendungen einen Vorteil im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB, kann auch auf andere Sachverhaltskonstellationen übertragen werden. Der oben bereits in Rekurs genommene, ohnehin nicht liquide Einkommensteuerhinterzieher etwa hat durch die Nichtabgabe seiner Steuererklärung ebenfalls keinen wirtschaftlich messbaren Vorteil und ob der wirtschaftlich messbare Vorteil des Autodiebs tatsächlich in dem Wert des Fahrzeugs, an dem er nur unberechtigten Besitz erlangen kann, liegt, ist ebenfalls fraglich. Zivilrechtlich haftet der Dieb dem Verletzten zwar auf den Marktwert des Fahrzeugs, ob das aber zugleich der wirtschaftlich messbarer Vorteil des Täters sein kann, wenn jener des Tabaksteuerhinterziehers gerade nicht der Steuerschuld entspricht, ist offen.

Da das Einziehungsrecht davon ausgeht, dass es grundsätzlich keinen Unterschied machen darf, ob der Betroffene etwas körperlich erlangt, einen entsprechenden Wertzuwachs in sein Vermögen erfahren oder nur Aufwendungen erspart hat, muss die Verteidigung künftig die Frage nach der Übertragbarkeit der Rechtsprechung des 1. Strafsenats auf andere Sachverhalte stellen. Wenn nämlich dem Tabaksteuerhinterzieher ein wirtschaftlich messbaren Vorteil aus den ersparten Aufwendungen nachgewiesen werden muss, der über die Verwirklichung des Steueranspruchs hinausgeht, so müsste man auch dem Dieb einen wirtschaftlich messbaren Vorteil nachweisen, der über seine zivilrechtliche Schuld gegenüber dem Verletzten hinausgeht, andernfalls wäre gerade kein Gleichlauf der unterschiedlichen „Erlangensformen“ gewährleistet. Ob dieser Vorteil tatsächlich in dem objektiven Wert des gestohlenen Gegenstandes liegen kann, erscheint schon aufgrund der fehlenden Eigentumserlangung fraglich.

4. Fazit

Die Entscheidung des Senats regt vor allem zur Diskussion über die Ausgangsprämisse des Gesetzgebers in Form des vorbezeichneten Gleichlaufs der Erlangensformen an. Sie ist, wie die vom Senat entschiedenen Fälle zeigen, überfällig. Der vom 1. Strafsenat gewählte Weg ist jedenfalls für Fälle der Tabaksteuerhinterziehung gangbar, wirft aber Folgefragen auf.

Es wird spannend sein zu sehen, wie der Senat Fälle entscheidet, in denen ein solcher Vorteil tatsächlich vorliegt, weil der Betroffene die Ware selbst veräußert. Schließlich muss das Gericht dann Feststellungen zur konkreten Höhe dieses „Vermarktungsvorteils“ treffen und es ist keinesfalls sicher, dass der Senat akzeptieren wird, wenn das Instanzgericht diesen mit der ersparten Aufwendung in Höhe der Steuerschuld gleichsetzt.


Autor:

Rechtsanwalt Dr. Pascal Johann; seit 2013 Kommentator der §§ 111b ff. StPO im Löwe-Rosenberg Großkommentar zur Strafprozessordnung; Promotion zum Dr. iur. im Jahr 2018 zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen des neuen Vermögensabschöpfungsrechts“.

Foto(s): Dr. Johann

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