EuGH: Amazon, eBay usw. dürfen im selektiven Vertrieb verboten werden (C-230/16, Coty / Akzente)
- 3 Minuten Lesezeit
Mit Urteil vom 6.12.2017 (C-230/16 – Coty Germany ./. Parfümerie Akzente) hat der EuGH die recht liberale Tendenz der deutschen Rechtsprechung im Hinblick auf Klauseln, mit denen Hersteller die Vertriebswege der Einzelhändler in einem selektiven Vertriebssystem beeinflussen wollen, fortgesetzt. Im konkreten Fall ging es insbesondere um eine Klausel, mit welcher den autorisierten Händlern untersagt wurde, im Internetvertrieb einen anderen Namen zu führen oder ein nicht autorisiertes Drittunternehmen (faktisch: Amazon, eBay und Co.) einzuschalten.
Hintergründe kurz erklärt: Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen sind nach Art. 101 Abs. 1 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) im Grundsatz verboten. Das deutsche Pendant hierzu ist § 1 GWB. Allerdings gibt es Ausnahmen. Insbesondere können unter gewissen Umständen nach Abs. 3 ganze Gruppen von Vereinbarungen von diesem Verbot freigestellt, also erlaubt werden. Dies wurde umgesetzt unter anderem in der „Vertikal-GVO“ (VO 33/2010: „Gruppenfreistellungsverordnung über Vertikalvereinbarungen“) der EU, nach der – grob gesagt – Vertriebsvereinbarungen im Vertikalverhältnis (Hersteller ↔ Großhändler ↔ Einzelhändler) für zulässig erklärt wurden, wenn nicht wiederum eine Rückausnahme in Form einer sogenannten Kernbeschränkung (z. B. bindende Preisvorgaben) vorliegt.
Ein Vertriebssystem, das als Vereinbarung zwischen Herstellern und Händlern jedenfalls eine Vertikalvereinbarung darstellt, und dass sich in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit erfreut, ist das sog. selektive Vertriebssystem. Darunter versteht man Systeme, in denen sich der Hersteller verpflichtet, seine Produkte nur an autorisierte Händler zu verkaufen, die nach objektiven, meist qualitativen Kriterien ausgewählt werden, und in denen diese ausgewählten Händler die Waren wiederum nur an andere autorisierte Händler oder Endverbraucher verkaufen dürfen, nicht aber an Wiederverkäufer, die außerhalb des Systems stehen. Auf diese Weise kann gesichert werden, dass prestigeträchtige Produkte nicht über discountartige Geschäfte vertrieben werden.
Selektive Vertriebssysteme sind grundsätzlich anerkannt. Nach Auffassung des EuGHs liegt darin noch nicht einmal eine nach Art. 101 AEUV verbotene wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung, sofern die Autorisierung der Händler anhand objektiver Kriterien erfolgt, die einheitlich festgelegt und diskriminierungsfrei umgesetzt werden, sofern außerdem die Eigenschaften des Produkts (dazu zählt auch ein Luxusimage) ein solches System erfordern und sofern schließlich die Kriterien nicht über das erforderliche Maß hinausgehen. Ein permanenter Zankapfel in diesem Zusammenhang ist aber der Internetvertrieb bzw. Versuche der Hersteller, den Internetvertrieb insgesamt oder zumindest bestimmte Arten des Internetvertriebs zu unterbinden.
Die Bedeutung der aktuellen Entscheidung: In einer älteren Entscheidung (Urteil vom 13.10.2011, C-439/09 – Pierre Fabre Dermo-Cosmetique) hatte der EuGH es jedenfalls in Bezug auf Kosmetika und Körperpflegeprodukte unterhalb des Luxussegments für unzulässig erklärt, wenn der Internetvertrieb generell verboten werden soll. In der jetzt veröffentlichten Entscheidung stellt der EuGH jedoch klar, dass er dies nicht so verstanden wissen will, als sei jede Einschränkung des Internetvertriebs eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung. Eine Klausel wie die im anhängigen Fall zu beurteilende, wonach die Händler nur über einen eigenen Webshop vertreiben dürfen, sei vielmehr eine „schlüssige Beschränkung“. Erstens werde gewährleistet, dass wirklich nur autorisierte Händler den Internetvertrieb kontrollieren. Zweitens könnte dadurch die Einhaltung von Qualitätsanforderungen überprüft werden. Und drittens könnte das Luxusimage Schaden nehmen, wenn die Produkte über gewisse Plattformen verbreitet werden, und das sei gerade „eines der von den Verbrauchern geschätzten Hauptmerkmale“ solche Waren.
Im Übrigen stelle eine solche Klausel keine Kernbeschränkung nach der Vertikal-GVO dar, insbesondere keine Beschränkung der Kundengruppe und keine Beschränkung des passiven Verkaufs an Endkunden im Sinne des Art. 4 lit b) und c) dar. Damit ist insbesondere geklärt, dass Internetnutzer als einheitliche Kundengruppe aufzufassen sind und nicht zwischen Google-Suchern, Amazon-Shoppern und eBay-Surfern zu unterscheiden ist. Bestimmte Beschränkungen der Vertriebswege im Internet können demnach versperrt werden, solange es nur eine schlüssige Begründung dafür gibt.
Fazit für unsere Beratungspraxis: Wir sind schon lange große Freunde des selektiven Vertriebs. Es gibt nach unserer Auffassung keine sinnvolle Alternative, um die Vertriebswege nicht außer Kontrolle geraten zu lassen und Online-Discountern die Grenzen aufzuzeigen („Trittbrettfahrerproblem“). Wir sind dabei mehrfach neue Wege gegangen und haben Ideen nach den individuellen Umständen der jeweiligen Mandanten entwickelt. Beispielsweise haben wir Klauseln entworfen, nach denen (wohlgemerkt aus sachlichen Gründen!) bestimmte Plattformen verboten wurden, andere hingegen nicht, und diese Klauseln vor dem Bundeskartellamt erfolgreich gerechtfertigt.
Dabei haben wir uns voller Optimismus auf die liberale Linie der (meisten) deutschen Instanzgerichte verlassen. Die jetzige EuGH-Entscheidung stärkt uns und unsere Mandanten.
Artikel teilen: