Fehlerhafte Widerrufsbelehrung auch bei nach dem 10. Juni 2010 geschlossenen Kreditverträgen

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Eine aktuelle Entscheidung des OLG Nürnberg dürfte Verbraucher und Banken gleichermaßen aufhorchen lassen. In einem wegweisenden Urteil vom 01.08.2016 (4 U 1780/15) hat das Gericht entschieden, dass auch nach dem 10.6.2010 geschlossene Kreditverträgen widerrufen werden können. Den Banken ist es trotz Einführung der Musterwiderrufsbelehrung zum 11.06.2010 vielfach nicht gelungen, Widerrufsbelehrungen rechtsfehlerfrei zu formulieren.

Mit seiner Gesetzesänderung im Juni 2010 wollte der Gesetzgeber Klarheit schaffen und stellte den Banken ein neues gesetzliches Muster für Widerrufsbelehrungen zur Verfügung. Bislang durften die Banken davon ausgehen, bei Verwendung des gesetzlichen Musterwiderrufs (Anlage 6 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB a. F.) auf der „sicheren Seite“ zu sein. Zu Unrecht, wie das OLG Nürnberg nunmehr entschieden hat.

Geklagt hat eine Kunde, der seinen im November 2011 geschlossenen Kreditvertrag im Juli 2014 widerrief und die Rückabwicklung seines Vertrags verlangte. Er berief sich auf Fehler in der Widerrufsbelehrung, die exakt dem gesetzlichen Mustertext entsprach.

Beginn der Widerrufsfrist kann nicht bestimmt werden

Die Nürnberger Richter gaben dem Kunden Recht. Zunächst beanstandete das OLG, dass die Widerrufsbelehrung optisch nicht hinreichend hervorgehoben sei. Sie sei schon deshalb unwirksam, denn die Schutzfunktion des Mustertextes versagt in diesem Fall (BGH, Urteil v. 23.2.2016, XI ZR 549/14).

Darüber hinaus bemängelte das OLG, dass der Text für den Kunden regelrechte Hürden aufweise, den Beginn der Frist für den Lauf des Widerrufsrechts exakt zu bestimmen. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass die Widerrufsbelehrung so gestaltet sein müsse, dass der Kunde ohne weiteres den Beginn für den Lauf der Widerrufsfrist erkennen kann (BGH, Beschluss v. 10.2.2015, II ZR 1613/14; BGH, Urteil v. 15.8.2012, VIII ZR 378/11). Der Mustertext werde dem insoweit nicht gerecht, als hiernach die Widerrufsfrist erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, ab dem die Bank dem Kunden sämtliche Pflichtangaben zum Vertragsinhalt gemäß § 492 Abs. 2 BGB gemacht hat.

Pflichtinhalt des § 492 Abs.2 BGB weist Lücken auf

Die Musterbelehrung listet als Beispiele für die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB

  • Angaben zur Art des Darlehens,
  • Angaben zum Nettodarlehensbetrag und
  • Angaben zur Vertragslaufzeit

auf.

Eine Widerrufsbelehrung, die lautet

„Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“

sei fehlerhaft und setze den Beginn der Widerrufsfrist nicht in Gang.

Das OLG bemängelte, der Kunde sei aufgrund dieser Hinweise noch keineswegs darüber informiert, welche weiteren Pflichtangaben in seinem konkreten Fall erforderlich sind. Allein aus den aufgelisteten Beispielsangaben könne er den Beginn der Widerrufsfrist nicht bestimmen. Eine Verweisung auf den Gesetzestext genüge nicht, um den Fristbeginn verlässlich und mit zumutbarem Zeitaufwand zu berechnen.

Das OLG Nürnberg sieht eine vergleichbare Situation wie in den alten Widerrufsbelehrungen der Banken aus den Jahren 2002 bis 2008, in denen durch die Formulierung „frühestens“ hinsichtlich des Beginns der zweiwöchigen Widerrufsfrist unzureichend belehrt wurde. Der Verbraucher könne in beiden Fällen nicht sicher wissen, von welchen Voraussetzungen der Fristbeginn abhängt.

Das OLG Nürnberg steht mit seiner Rechtsauffassung keineswegs allein. Das OLG Celle hat in einem Beschluss vom 02.12.2015 – 3 U 108/15 – bereits angedeutet, dass „durch die beispielhafte Aufzählung von vermeintlichen Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB der Schutzzweck des Verbraucher-Widerrufsrechts verfehlt wird, da der Verbraucher selbst bei rechtskundiger Beratung nicht in die Lage versetzt wird, nachzuvollziehen, nach Erhalt welcher Angaben konkret die Frist zu laufen beginnt.“

Das OLG Nürnberg spricht in den Entscheidungsgründen Klartext. Dass die verwendete Musterbelehrung dem gesetzlichen Muster inhaltlich entspreche, stehe der Auffassung, dass der Verbraucher nicht ausreichend über die Widerrufsfrist aufgeklärt wurde, nicht entgegen. Denn auch das gesetzliche Muster sei nicht ausreichend. Die weiteren Pflichtangaben des § 492 Abs.2 BGB könne der Verbraucher tatsächlich nur durch eine Selbstlektüre des gesamten Gesetzestextes ermitteln. Dies stelle für den durchschnittlichen Verbraucher eine unangemessene Überforderung dar. Für den Verbraucher sei es nicht zumutbar, selbst im Gesetz nach den weiteren Pflichtangaben zu suchen, die den Lauf der Widerrufsfrist in Gang setzen. Damit könne der Verbraucher aufgrund der Belehrung selbständig nicht exakt feststellen, zu welchem Zeitpunkt die Widerrufsfrist zu laufen beginnt. Die Bank habe nicht einmal den Versuch unternommen, dem Verbraucher die relevanten Faktoren insgesamt nahe zu bringen.

Der Widerrufsjoker lebt!

Ob die Entscheidung vor dem BGH Bestand hat, muss derzeit noch abgewartet werden. Es deutete sich aber bereits an, dass auch andere Oberlandesgerichte in die gleiche Richtung tendieren. Die wirtschaftlichen Folgen der Entscheidung, insbesondere die drohenden Einbußen der Banken, sind nicht zu unterschätzen. Lagen Hypothekenzinsen in früheren Jahren zwischen 3 bis 4 %, sind diese heute auf ca. 1 % gesunken. Kunden, die einen nach dem 11.06.2010 geschlossenen Kreditvertrag widerrufen und zum jetzigen Zinssatz umschulden, haben enorme wirtschaftliche Vorteile.

Verbraucher, die ab dem 11.06.2010 einen Verbraucherdarlehensvertrag abgeschlossen haben und den derzeitigen Zinsvorteil nutzen wollen, sollten die Widerrufsbelehrung von einem im Bankenrecht erfahrenen Rechtsanwalt prüfen lassen. Die Kanzlei Föhr, Adam & Mehlig vertritt Kreditnehmer bundesweit bei der Rückabwicklung widerrufener Kreditverträge.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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