Fernab von Resozialisierung? "Minilohn" für Strafgefangene ist verfassungswidrig

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Der Mindestlohn in Deutschland für Arbeitnehmer beträgt derzeit 12€ pro Stunde.

Für Strafgefangene, die einer Beschäftigung nachgehen, beträgt er im Durchschnitt lediglich zwischen 1,37€ bis 2,30€ pro Stunde.

Da Strafgefangene juristisch nicht als Arbeitnehmer gelten, haben sie folglich auch keinen Anspruch auf Zahlung eines Mindestlohns für ihre Tätigkeit.

Dass der ihnen stattdessen zufließende (niedrige) Lohn nicht im Einklang mit unserer Verfassung steht und dem Resozialisierungsgedanken zuwiderläuft, hat nun das Bundesverfassungsgericht mit Grundsatzurteil vom 20.06.2023 (Az. 2 BvR 166/16; 2 BvR 1683/17) entschieden.

Im Vorfeld hatten zwei Strafgefangene - darunter ein Häftling aus Bayern - eine entsprechende Verfassungsbeschwerde eingelegt.


Wie läuft der Arbeitsalltag eines Gefangenen ab?

Um einen strukturierten Alltag beizubehalten - oder wieder neu zu erlernen - sind Strafgefangene grundsätzlich verpflichtet, einer Arbeit nachzugehen. Je nach Justizvollzugsanstalt stehen dafür unterschiedliche Tätigkeiten zur Verfügung, etwa in der hauseigenen Küche, Werkstatt, Wäscherei oder Gärtnerei.

Die Ausübung unterscheidet sich größtenteils nicht von der in Freiheit; auch die Arbeitszeiten sind ähnlich, steht doch hinter allem am Ende des Tages der Gedanke der Resozialisierung.

Einen Teil ihres Lohns dürfen die Häftlinge nach Belieben ausgeben, zum Beispiel für Zigaretten oder Kaffee. Der Rest der Einnahmen wird für die Zeit nach der Haftentlassung angespart und etwa für Rechnungen der Landesjustizkasse für das Strafverfahren zurückgelegt.


Was bedeutet Resozialisierung?

Das deutsche Strafvollzugsrecht ist entscheidend von dem Gedanken der Resozialisierung geprägt. Dies bedeutet nichts anderes, als dass der Strafvollzug in der Praxis so ausgestaltet werden soll, dass er für die Häftlinge nach Entlassung eine „Wiedereingliederung in die Gesellschaft“ gewährleisten kann.

Wichtiges Ziel der Strafhaft soll also sein, den Gefangenen auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten und ihm zu helfen, nach Verbüßen seiner Strafe wieder Fuß fassen und künftig straffrei leben können.

Gerade in der ersten Zeit nach der Haftentlassung ist das Risiko, erneut Straftaten zu begehen, besonders hoch. 

Den Wiedereinstieg ins Berufsleben schaffen, eine Wohnung finden, Sozialleistungen beantragen oder Unterhaltsverpflichtungen nachkommen; all das kann nur mit Unterstützung und einem Mindestmaß an finanziellen Rücklagen erfolgen.


Kernargumente des Bundesverfassungsgerichts

In ihrer Entscheidung berufen sich die Verfassungsrichter insbesondere darauf, dass den Häftlingen sowohl der Wille als auch die Fähigkeit vermittelt werden soll, ihr Leben künftig wieder eigenverantwortlich zu führen.

Insbesondere sollen auch sie das Gefühl bekommen, dass sich Arbeit lohnt und „nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel ist, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung findet“.

Auch das Gefühl der Wertschätzung würde in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung sein.

Als weiteres Argument für ihre Entscheidung führen die Richterinnen und Richter an, dass Gefangene mit solch niedrigen Löhnen, wie sie aktuell gelten, nicht in der Lage seien, den durch ihre Taten verursachten Schaden wiedergutzumachen oder bestehende Schulden nach und nach zu begleichen.


Unterm Strich ist das Urteil des Verfassungsgerichts ein längst überfälliger wichtiger Schritt in Richtung erfolgreiche Resozialisierung – gerade, weil das Verhindern weiterer Straftaten langfristig auch die einzige Möglichkeit ist, die immensen Kosten des Strafvollzugs zu senken.   


Foto(s): https://pixabay.com/de/photos/euro-scheine-geld-finanzen-870757/

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