"Zu Mama oder zu Papa?" - Was passiert bei einer Kindesanhörung?

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Sie findet nahezu in jedem Umgangs- und Sorgerechtsverfahren statt, wird oft als dessen „Herzstück“ bezeichnet und kann die entscheidenden Weichen für den Verfahrensausgang stellen: die sog. Kindesanhörung in Kindschaftssachen, gesetzlich geregelt in § 159 FamFG. 

Oft fragen sich Eltern als (Haupt-)Beteiligte des Verfahrens, was bei einer solchen richterlichen Anhörung passiert und nicht selten macht sich dabei Sorge breit, was das Kind dem Gericht wohl sagen wird und ob dies einem zum Nachteil gereichen kann.


Wozu eine Kindesanhörung? 


Sinn und Zweck einer gerichtlichen Kindesanhörung ist zum einen, den (wahren) Kindeswillen zu ermitteln. Auch wenn es den Eltern bzw. Mandanten manchmal schwer zu vermitteln ist, schätzen diese die Gefühlswelt und Situation des eigenen Kindes oft verzerrt ein. 

Häufig sind in Kindschaftssachen Emotionen und vor allen Dingen reichlich Groll gegen den Ex-Partner im Spiel, die eine rationale Einschätzung der Lage unmöglich machen. 


Zum anderen bietet die Kindesanhörung dem Richter die Möglichkeit, sich einen persönlichen Eindruck vom Kind zu verschaffen. 

Anfangs liegen dem Richter nämlich lediglich - meist gegensätzliche - Schriftsätze und Stellungnahmen der Beteiligten vor. Mit dem Kind selbst besteht zunächst keinerlei Kontakt.


Umso wichtiger ist daher die Möglichkeit der Kindesanhörung, gerade weil - wie immer in der Juristerei, aber insbesondere in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren - die tatsächlichen Verhältnisse von den Beteiligten oft subjektiv dargestellt werden. 


Die Kindesanhörung dient daher insbesondere auch dem Zweck, mit dem Kind alleine zu sprechen. Dies ist umso wichtiger, je streitiger das Verfahren von den Eltern geführt wird. Nicht selten werden die Kinder kurz vor dem Anhörungstermin mit Geschenken überhäuft oder anderweitig beeinflusst, um das jeweilige Elternteil vor Gericht gut dastehen zu lassen. 

Ein geschulter Richter wird dies allerdings merken und kann einschätzen, ob ein Kind etwas sagt, weil es dies selbst so wahrnimmt oder ob es etwas sagt, weil man es ihm vorher so aufgegeben hat.


Wie läuft eine Kindesanhörung ab?


Nach § 159 Abs. 4 FamFG soll das Kind über den Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in einer geeigneten und seinem Alter entsprechenden Weise informiert werden und Gelegenheit zur Äußerung erhalten; die genaue Ausgestaltung der Anhörung steht dabei im Ermessen des Gerichts.


Für gewöhnlich nimmt an der Anhörung neben dem Richter oder der Richterin auch ein sog. Verfahrensbeistand teil - dieser erfüllt sozusagen die Rolle eines Anwalts für das Kind und dient dazu, dessen Interessen zu vertreten. 

Meist tragen die Beteiligten während der Anhörung, welche zumeist im Dienstzimmer des Richters stattfindet, keine Robe. 

Manchmal werden Geschwisterkinder auch gemeinsam angehört - gerade wenn die Kinder ängstlich oder skeptisch gegenüber fremden Personen sind.


Familienrichter sind darin geschult, die Anhörung so kindgerecht wie möglich zu gestalten und durch verschiedene Fragetechniken dem Kind die Möglichkeit zu geben, sich unbefangen zu äußern. 

Am Anfang einer Anhörung stehen zumeist allgemeine Fragen an das Kind - etwa nach dem Lieblingsschulfach oder Hobby - um Vertrauen aufzubauen und einen Einstieg in das Gespräch zu finden. 

Häufig dürfen die Kinder während der Anhörung auch etwas spielen, malen oder ihr Lieblingskuscheltier mitnehmen. 

Jedes Kind ist anders und hat etwas anderes erlebt - ein Patentrezept für die „perfekte Kindesanhörung“ gibt es nicht; jedoch ist die Anhörung nichts, wovor das Kind Angst haben muss - die Richter und Verfahrensbeistände finden einen Weg, sich einen entsprechenden Eindruck vom Kind zu verschaffen, ohne dass dieses in einen Loyalitätskonflikt gedrängt wird. 


Die Eltern, deren Rechtsanwälte und Vertreter des Jugendamts dürfen nicht an der Anhörung teilnehmen, werden aber über den Inhalt der Anhörung unterrichtet - entweder in der Sitzung selbst - welche häufig direkt nach der Anhörung stattfindet - oder vorab per Übersendung des schriftlichen Vermerks der Anhörung.


Bedeutung einer Kindesanhörung


Die Kindesanhörung stellt einen wichtigen Baustein der familiengerichtlichen Praxis dar, verleiht sie dem Kind doch eine „eigene Stimme“ im Verfahren und ebnet den Weg für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung des Gerichts. 

Ist eine Kindesanhörung gesetzlich vorgeschrieben, steht diese auch nicht im Ermessen des Gerichts und kann auch nicht von den Eltern oder anderen Verfahrensbeteiligten verhindert werden. 

Insbesondere richtet sich die Wichtigkeit einer Kindesanhörung auch nicht nach dem Alter des Kindes; auch Säuglinge sind prinzipiell anzuhören - wobei klar sein dürfte, dass eine Kindesanhörung eines Teenagers einen anderen Gehalt haben wird als die eines Kleinkindes.

Sinn und Zweck einer einheitlichen Anhörung - unabhängig vom Alter des Kindes - ist jedoch, den wahren Kindeswillen zu erforschen. Auch ein Kind, welches sich aufgrund seines Alters noch nicht verbal äußern kann, kann sich anderweitig artikulieren und so Rückschlüsse auf seine Wünsche und Bindungen zu den Eltern oder anderen Bezugspersonen zulassen. 


Im Ergebnis stellt die Kindesanhörung also ein wichtiges Instrument in Kindschaftsverfahren dar und die Eltern sollten tunlichst vermeiden, davor Einfluss auf das Kind zu nehmen und diesem die Lage noch schwieriger zu machen.

Foto(s): https://pixabay.com/de/photos/kind-bär-kuscheltier-541865/

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