Freiberufler: Berufsunfähigkeit eines Architekten

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Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat sich (Urteil vom 19.08.2015; gerichtliches Aktenzeichen: 9 S 155/13) mit den Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit von Freiberuflern auseinandergesetzt und ist hierbei insbesondere der Frage nachgegangen, ob die hergebrachten Kriterien hierfür den heutigen Verhältnissen noch entsprechen.

Vorliegend machte ein Architekt einen Anspruch auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente gegenüber dem Versorgungswerk der Architektenkammer Baden-Württemberg geltend. Grundlage des Anspruchs ist § 26 Abs. 1 der Satzung des beklagten Versorgungswerks, wonach Teilnehmer, die nicht bereits Altersrente beziehen, Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit haben. Berufsunfähig im Sinne der Satzung ist ein Teilnehmer, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Berufstätigkeit als Architekt bzw. Ingenieur in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte aus dieser Berufstätigkeit erzielen kann (§ 26 Abs. 2 der Satzung). Entscheidungserheblich war die Auslegung des Begriffs der Berufsunfähigkeit, genauer, die Bestimmung dessen, wann nur noch geringfügige Einkünfte erzielt werden.

Von besonderer Bedeutung ist, dass der Begriff der Berufsunfähigkeit bei Freiberuflern eigenständig ist und sich nicht an dem der Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung in der gesetzlichen Rentenversicherung orientiert. Die Grundsätze für die Annahme von Berufsunfähigkeit bei Freiberuflern hatte der VGH bereits mit Urteil vom 17.12.1996 (Az. 9 S 3284/94) aufgestellt. Dabei wurde die Berufsunfähigkeit angenommen, wenn die Erzielung eines existenzsichernden Einkommens nicht mehr möglich ist. Zur Erzielung eines solchen wurde ein Zeitaufwand von 30 % der Regelarbeitszeit für erforderlich gehalten. Das bedeutet, dass der jeweilige Anspruchsteller in der Lage sein muss, 30 % der für seinen Beruf typischen Arbeitszeit zu leisten und damit ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen.

Nun hat der VGH verdeutlicht, dass es sich bei der 30 %-Grenze um eine pauschalierende Schwelle handle, der zwar indizielle Bedeutung für die Frage der Berufsunfähigkeit zukommt, diese aber nicht ohne Beachtung des Einzelfalls starr zur Anwendung gelange. Entscheidend sei vielmehr, ob angesichts der Umstände des Einzelfalls davon ausgegangen werden könne, dass der Teilnehmer trotz der bestehenden Beeinträchtigungen in der Lage ist, ein seine Existenz sicherndes Einkommen zu erwirtschaften.

Zuletzt konnte der VGH nicht feststellen, dass die zugrunde zu legende pauschalisierende 30 %-Schwelle wegen erheblich abweichender tatsächlicher Verhältnisse (bezogen auf die hier maßgebliche Berufsgruppe der Architekten und das Bezugsjahr 2009) ihre Bedeutung verloren hätte. Denn das wirtschaftliche Existenzminimum konnte anhand des im Sozialhilferecht anerkannten Mindestbedarfs ermittelt und die Frage beantwortet werden, mit welchem Zeitaufwand ein Architekt ein entsprechendes Einkommen erzielen kann.

Bitte beachten Sie, dass dieser Beitrag – für den wir keine Haftung übernehmen – eine Beratung im Einzelfall nicht ersetzen kann.

Alexander Seltmann

Rechtsanwalt und

Fachanwalt für Sozialrecht

Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel, Stuttgart


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