Fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung immer gerechtfertigt?

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Verletzt ein Arbeitnehmer seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis schwer, sodass es dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist, den Arbeitnehmer weiter im Unternehmen zu beschäftigen, ist eine außerordentliche, fristlose Kündigung des Arbeitsvertrages aus wichtigem Grund möglich.

Aber wann liegt ein solch wichtiger Grund vor? Berechtigt jede sexuelle Belästigung eines Mitarbeiters zur fristlosen Kündigung? Oder muss der Arbeitgeber in bestimmten Fällen zunächst eine Abmahnung aussprechen bzw. mit Kündigungsfrist kündigen?

Mit dieser Frage hat sich das Bundesarbeitsgericht befasst (BAG, Urteil v. 20.11.2014, Az.: 2 AZR 651/13).

Fristlose Kündigung nur bei schwerwiegendem Grund 

Will ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer fristlos – d. h. ohne Einhaltung der Kündigungsfrist – kündigen, muss er dafür gem. § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) einen wichtigen Grund haben. Jedoch reicht allein das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht aus: In jedem Einzelfall ist zu prüfen, ob es dem Arbeitgeber wirklich unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen und auch unzumutbar ist, eine Kündigungsfrist einzuhalten.

Denn je nach Schwere der Pflichtverletzung muss der Arbeitgeber vor einer Kündigung ggf. zunächst eine Abmahnung aussprechen, mit der er den Arbeitnehmer auffordert, dieses Fehlverhalten künftig zu unterlassen. Ist das Fehlverhalten schwerer und eine Abmahnung nicht angemessen, müsste der Arbeitgeber dem Mitarbeiter ggf. unter Einhaltung der Kündigungsfrist kündigen. Nur wenn es dem Arbeitgeber auch nicht zuzumuten ist, den Mitarbeiter während der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen, ist eine fristlose, außerordentliche Kündigung denkbar.

Im Falle des Vorwurfs einer sexuellen Belästigung sind alle drei „Stufen“ denkbar, je nach Art und Schwere des Vorwurfs und nach Verhalten und Einsicht des Mitarbeiters.

BAG: Abmahnung kann ausreichend sein  

Das BAG entschied über den Fall eines Mannes, der seit 16 Jahren für ein Unternehmen beschäftigt war. Der Mann begegnete in den Räumen seines Arbeitsgebers einer Reinigungskraft, die er bisher nicht kannte. Man kam ins Gespräch. Im Verlauf des Gesprächs machte der Mitarbeiter die Andeutung, wie schön der Busen der Frau sei, und fasste den Busen an. Die Reinigungskraft äußerte daraufhin klar, dass er das lassen solle, der Mitarbeiter hörte sofort mit dem „Begrapschen“ auf.

In einem Gespräch wegen dieses Vorfalls zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betonte der Mitarbeiter, dass es ihm leidtue und dass er so etwas nicht mehr tun werde. Er habe sich kurz „vergessen“ und er würde sein Verhalten bedauern. Dennoch kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis am gleichen Tag – außerordentlich und fristlos.

Gegen diese fristlose, außerordentliche Kündigung setzte sich der gekündigte Mitarbeiter gerichtlich zur Wehr. Er erhob Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht und wollte festgestellt wissen, dass die Kündigung unverhältnismäßig und deshalb unwirksam sei.

Urteil des BAG: Abmahnung wäre angemessen gewesen, Kündigung unwirksam 

Der Rechtsstreit über diese fristlose Kündigung endete letztlich mit einem positiven Ausgang für den klagenden Mitarbeiter: Wie der Kläger war auch das BAG der Meinung, dass diese fristlose Kündigung unverhältnismäßig und deshalb unwirksam war.

Eine – unstreitige! - sexuelle Belästigung sei zwar grundsätzlich als wichtiger Grund für eine fristlose, außerordentliche Kündigung geeignet. Aber nicht jede sexuelle Belästigung rechtfertige eine außerordentliche, fristlose Kündigung.  

In diesem konkreten Fall wäre aufgrund des Verhaltens des Mitarbeiters gegenüber der Frau (Entschuldigung, Schmerzensgeldzahlung etc.) nicht zu befürchten gewesen, dass sich das Verhalten wiederholen würde. Es wäre ein Augenblicksversagen, das der Mann zudem glaubhaft bedauern würde und kein Fehlverhalten, das es dem Arbeitgeber unzumutbar machen würde, den Mitarbeiter weiter zu beschäftigen. Eine Abmahnung hätte in diesem Fall nach Auffassung der Richter ausgereicht und wäre eine verhältnismäßige Reaktion des Arbeitgebers gewesen. Die fristlose Kündigung war unverhältnismäßig und deshalb unwirksam.

Folgen des Urteils für die Praxis 

Das Urteil lässt klar erkennen: Nur weil es zu einem Fehlverhalten im Arbeitsverhältnis aus einer bestimmten Kategorie (hier: „sexuelle Belästigung“) kommt, berechtigt das Fehlverhalten nicht automatisch zu einer außerordentlichen Kündigung. Das Fehlverhalten muss vielmehr so schwerwiegend sein, dass es dem Arbeitgeber vollkommen unzumutbar ist, den Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. Nur dann ist eine fristlose, außerordentliche Kündigung möglich. Andernfalls muss der Arbeitgeber – auch im Falle von sexuellen Belästigungen! – zunächst zu milderen Mitteln greifen, also abmahnen oder unter Einhaltung der Kündigungsfrist kündigen.

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