Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr: Verurteilung erfordert Feststellung eines Schädigungsvorsatzes

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Der 5. Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm hat jüngst ein Urteil des Amtsgerichts Essen aufgehoben, das einen Mann wegen „gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Nötigung" zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 35,00 € verurteilt hatte. Ferner hatte der Amtsrichter in dem Urteil vom 06.02.2013 die Fahrerlaubnis des Angeklagten entzogen.

Die hiergegen vom Verteidiger eingelegte (Sprung-)Revision war aufgrund formeller und materieller Mängel des amtsgerichtlichen Urteils erfolgreich.

Zum einen lag ein Verstoß gegen den in der Strafprozessordnung normierten Grundsatz der Mündlichkeit vor, der besagt, dass nur der mündlich vorgetragene und erörterte Prozessstoff dem Urteil zugrunde gelegt werden darf.

Eine Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr setzt gerichtliche Feststellungen zur Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert und dazu, ob ihr ein bedeutender Schaden gedroht hat, voraus.

Das Amtsgericht Essen hatte in seinen Urteilsgründen ausgeführt:

„Durch das Auffahren des Zeugen L entstand an dem von ihm geführten Fahrzeug ein Schaden, den die Polizei auf etwa 1.200,- € schätzte."

Es wurde weder der Polizeibeamte, der die Schätzung vorgenommen und in die polizeiliche Unfallanzeige aufgenommen hatte, als Zeuge vernommen noch wurde die polizeiliche Verkehrsunfallanzeige in der Hauptverhandlung verlesen oder im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt und auch nicht vorgehalten bzw. erörtert.

Das Amtsgericht hatte seine Überzeugung, dass durch das Handeln des Angeklagten eine fremde Sache von bedeutendem Wert gefährdet worden war, vor diesem Hintergrund also nicht (vollständig) aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft und somit gegen den Grundsatz der Mündlichkeit verstoßen.

Darüber hinaus hatte neben der Verfahrensrüge des Angeklagten auch seine Sachrüge Erfolg:

Zwar hat der Angeklagte, so das Oberlandesgericht Hamm, nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Unfallgeschehen die Sicherheit des Straßenverkehrs durch Hindernisbereiten im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB gefährdet, indem er durch unvorhersehbares Bremsen ein Hindernis bereitet habe, Der objektive Straftatbestand des § 315b Abs.1 StGB setzte allerdings darüber hinausgehend voraus, dass durch den tatbestandsmäßigen Eingriff auch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet werden.

Dass durch den entstandenen Unfall Leib oder Leben eines anderen Menschen, insbesondere des Zeugen L, konkret gefährdet worden sind, lasse sich den Urteilsgründen allerdings nicht entnehmen. Die zu dem Unfall getroffenen Feststellungen geben hierfür keinen hinreichenden Anhalt. Insbesondere fehlten Angaben zu den gefahrenen Geschwindigkeiten und der Intensität der Kollision zwischen den beteiligten Fahrzeugen. Nach den Feststellungen ist der Zeuge L zudem unverletzt geblieben.

Aber auch die konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert war nicht belegt.

Über den Wortlaut des Gesetzes hinaus müsse hierbei der fremden Sache von bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht haben. Vor diesem Hintergrund seien stets zwei Prüfungsschritte erforderlich, zu denen im Strafurteil entsprechende Feststellungen zu treffen sind. Zunächst ist zu fragen, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelt. Dies könne z. B. bei älteren oder vorgeschädigten Fahrzeugen fraglich sein.

Handele es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, sei dann in einem zweiten Prüfungsschrift zu fragen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein könne als der maßgebliche Gefährdungsschaden. Der Wert der Sache sei nach dem Verkehrswert, die Höhe des (drohenden) Schadens nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu bestimmen. Der Grenzwert für den Sachwert und die Schadenshöhe ist einheitlich zu bestimmen und liegt bei mindestens 750,- €.

Auf Grundlage der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen konnte das Revisionsgericht bereits nicht nachprüfen, ob es sich bei dem von dem Zeugen L geführten unfallbeteiligtem Kraftfahrzeug um eine Sache von bedeutendem Wert gehandelt hat (1. Prüfungsschritt). Das Amtsgericht hat insoweit nämlich lediglich festgestellt:

„Dem Angeklagten kam der Zeuge L mit einem PKW der Marke Opel, Kennzeichen .... entgegen."

Angaben, die den verlässlichen Schluss rechtfertigen könnten, dass der Verkehrswert des Fahrzeugs zum Unfallzeitpunkt mindestens den Grenzwert in Höhe von 750,- € erreichte, fehlen. Die Feststellungen des Amtsgerichts in Bezug auf die eingetretene Schadenshöhe sind - wie bereits ausgeführt - nicht prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden und hatten demnach außer Betracht zu bleiben.

Der Schuldspruch des Amtsrichters wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr hielt der rechtlichen Überprüfung durch das Obergericht überdies deshalb nicht Stand, weil die Feststellungen zur inneren Tatseite lückenhaft waren.

Das Amtsgericht hat zu der Motivlage des Angeklagten für das abrupte, nicht

verkehrsbedingt veranlasste Abbremsen des eigenen Fahrzeugs, das zum Auffahren des Zeugen L. führte, nämlich lediglich festgestellt: „Der Angeklagte tat dies aus Verärgerung über das voran gegangene ihn aufhaltende Wendemanöver des Zeugen L ..."

Dies reichte zur Annahme eines mindestens bedingten Schädigungsvorsatzes, wie er nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der 5. Senat des OLG Hamm folgt, erforderlich ist, nicht aus. Denn grundsätzlich liege die Annahme näher, dass der betreffende Kraftfahrzeugführer lediglich grob fahrlässig und nicht bedingt vorsätzlich gehandelt hat, weil die Annahme eines bedingten Vorsatzes voraussetzt, dass auch die Beschädigung des eigenen Fahrzeugs billigend in Kauf genommen wird Dies liege grundsätzlich eher fern und kommt nur bei dem Vorliegen besonderer, weiterer Umstände in Betracht. Es könne aber z. B. bei älteren Fahrzeugen oder dann der Fall sein, wenn dem Fahrzeugführer bekannt ist, dass sein Fahrzeug ohnehin einen Altschaden am Heck aufweist, so dass die Überlegung der Beschädigung des eigenen Fahrzeugs in den Hintergrund tritt.

Demgegenüber war nach Ansicht des OLG-Senats allein aus dem rechtskräftig festgestellten objektiven Unfallhergang Senats nicht auf das Vorliegen eines mindestens bedingten Schädigungsvorsatzes des Angeklagten zu schließen. Auch wenn das Bremsmanöver des Angeklagten nach den Bekundungen des Zeugen H das Auffahren des Zeugen L „provoziert" habe und „so krass" gewesen sei, dass er - der Zeuge H - sich spontan als Zeuge zur Verfügung gestellt habe. Auch wenn danach der objektive Unfallhergang feststeht, reiche dies - insbesondere in Abgrenzung zur groben Fahrlässigkeit - ohne Feststellungen zum Zustand des Fahrzeugs des Angeklagten bzw. zu anderen besonderen Umständen, die auf einen mindestens bedingten Schädigungsvorsatz des Angeklagten schließen lassen, nicht aus.

So führte auch die Sachrüge - neben weiteren; hier nicht näher dargestellten Mängeln - zur Aufhebung des Urteils wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Die Verurteilung wegen der vom Angeklagten begangenen Nötigung blieb davon unberührt. Jedoch entfällt mit der Teilaufhebung die Grundlage für die gegen den Angeklagten vom Amtsgericht verhängten Geldstrafe.

Die vom Amtsrichter ausgesprochene Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis mit Festsetzung einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis wollte das OLG allerdings nicht aufheben, da diese Maßregel durch die aufrechterhaltenden Feststellungen zum objektiven Unfallgeschehen und die Verurteilung wegen der von der Urteilsaufhebung nicht betroffenen Nötigung getragen werden.

Die Sache wurde durch die OLG-Richter zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen zurückverwiesen.

Der Beitrag bezieht sich auf OLG Hamm, Beschluss vom 04.06.2013 (Aktenzeichen: 5 RVs 41/13).

Der Verfasser, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Christian Demuth, ist auf die Verteidigung von Menschen bei Vorwürfen im Bereich des Verkehrsstraf- und Bußgeldrechts spezialisiert und bundesweit tätig.


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