Gerichtspsychologische Begutachtung bei Sexualdelikten – Rechte des Beschuldigten gegenüber Sachverständigen
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Gerichtspsychologische Begutachtung bei Sexualdelikten – Rechte des Beschuldigten gegenüber Sachverständigen
In Sexualstrafverfahren kommt es regelmäßig zur Einschaltung psychologischer oder psychiatrischer Sachverständiger – sei es zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage oder zur Prüfung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten. Der Begriff der „Begutachtung“ ist dabei weit gefasst. Besonders für Beschuldigte ist eine gerichtspsychologische Begutachtung eine belastende und oft verunsichernde Situation. Umso wichtiger ist es, über die eigenen Rechte und den rechtlichen Rahmen solcher Maßnahmen informiert zu sein. Denn auch gegenüber Sachverständigen gelten prozessuale Schutzmechanismen – und nicht jede Anordnung ist rechtlich zulässig oder uneingeschränkt hinzunehmen.
Die häufigste Form der Begutachtung betrifft nicht den Beschuldigten selbst, sondern die Aussage des mutmaßlichen Opfers. In sogenannten Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen beauftragen Gerichte regelmäßig Sachverständige zur aussagepsychologischen Begutachtung. Ziel ist es, die Glaubhaftigkeit einer belastenden Aussage zu bewerten. Für den Beschuldigten hat dies unmittelbare Auswirkungen: Denn ein solches Gutachten kann – bei fehlenden objektiven Beweisen – das entscheidende Kriterium für eine Verurteilung sein. Zwar ist das Gericht an die Einschätzung des Gutachters nicht gebunden, doch in der Praxis hat eine sachverständige Bewertung ein erhebliches Gewicht. Die Verteidigung hat in diesem Kontext das Recht, dem Gutachter Fragen zu stellen, auf methodische Fehler hinzuweisen oder ein Gegengutachten einzuholen. Vor allem sollte überprüft werden, ob der Sachverständige die Standards der aussagepsychologischen Begutachtung (z. B. Nullhypothesenprüfung, inhaltliche Konsistenzanalyse) eingehalten hat. Fehlerhafte oder suggestive Gutachten können die Verteidigung erheblich beeinträchtigen – eine sorgfältige Prüfung ist daher unerlässlich.
Eine zweite Form der gerichtspsychologischen Begutachtung betrifft den Beschuldigten selbst – insbesondere im Hinblick auf die Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) oder das Vorliegen eines besonderen Gefährdungspotenzials (z. B. bei drohender Sicherungsverwahrung). Wird eine solche Begutachtung angeordnet, stellt sich zunächst die Frage, ob der Beschuldigte zur Mitwirkung verpflichtet ist. Grundsätzlich gilt: Niemand ist verpflichtet, sich selbst zu belasten (nemo tenetur-Grundsatz). Eine aktive Mitwirkung – etwa durch Gespräche mit dem Gutachter, psychologische Tests oder Offenlegung der Lebensgeschichte – kann daher grundsätzlich verweigert werden. Allerdings kann das Gericht aus einer fehlenden Mitwirkung unter Umständen Rückschlüsse ziehen oder auf bereits vorliegende Informationen (z. B. aus der Akte) zurückgreifen. In jedem Fall sollte eine psychologische Begutachtung niemals ohne vorherige rechtliche Beratung erfolgen. Die Entscheidung über eine Mitwirkung ist eine strategische Frage, die sorgfältig im Einzelfall abzuwägen ist.
Beschuldigte haben zudem das Recht, über die Bestellung des Sachverständigen informiert zu werden, Einwände gegen dessen Person oder Qualifikation zu erheben (§ 74 StPO) und bei der Begutachtung anwesend zu sein bzw. sich vertreten zu lassen. Ein Gutachten, das ohne ausreichende Aufklärung oder unter Anwendung nicht anerkannter Methoden erstellt wurde, kann unter Umständen unverwertbar sein. Die Verteidigung kann zudem beantragen, einen alternativen Sachverständigen zu hören oder ein Gegengutachten beizubringen. Gerade bei gravierenden Konsequenzen – etwa drohender Sicherungsverwahrung – ist eine kritische Auseinandersetzung mit der psychologischen Bewertung zwingend erforderlich. Ein einziges Gutachten darf nicht Grundlage tiefgreifender Freiheitsentziehungen sein, ohne dass die Verteidigung inhaltlich und formal Einwände prüfen konnte.
Fazit: Die gerichtspsychologische Begutachtung ist ein komplexes, oft unterschätztes Instrument im Sexualstrafrecht. Ob es um Glaubhaftigkeit oder Schuldfähigkeit geht – die Aussagen von Sachverständigen können das Verfahren maßgeblich prägen. Umso wichtiger ist es, dass Beschuldigte ihre Rechte kennen und frühzeitig anwaltlich beraten werden. Eine fundierte Auseinandersetzung mit Methodik, Inhalt und Aussagekraft eines Gutachtens gehört zu jeder professionellen Verteidigungsstrategie im Sexualstrafrecht.
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