Grob fehlerhafter HWS-Cage: 20.000 Euro

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Mit Urteil vom 01.12.2015 hat das Landgericht Arnsberg einen Neurochirurgen verurteilt, an meinen Mandanten ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro zu zahlen. Der Arzt wurde verpflichtet, alle gegenwärtigen und künftigen materiellen sowie nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung zu ersetzen.

Der Neurochirurg hatte dem 1963 geborenen Selbständigen wegen Kribbelparästhesien der rechten Hand und beider Großzehen, Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule, am 25.04.2012 eine Bandscheibenprothese in den Etagen C3/C4 und C5/C6 implantiert. Aufgrund postoperativer Röntgendiagnostik der HWS wurde in der Karteikarte des Beklagten am 02.05.2012 der Eintrag aufgenommen, dass sich im a. g. Strahlengang der Halswirbelsäule eine diskret nach rechts lateralisierte Prothese in der Etage C5/C6 darstelle. Bei fehlender klinischer Relevanz sei zunächst eine abwartende Handlung mit dem Patienten besprochen worden.

Der Mandant hatte dem Arzt vorgeworfen, die Behandlung sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft gewesen. Bereits die Indikationsstellung zur Operation der Bandscheibe HWK 5/6 sei nicht nachvollziehbar. Die eher links betonte foraminale Stenose korreliere nicht mit der klinischen Beschwerdesymptomatik bei rechtsseitiger Atrophie der kleinen Handmuskulatur. Aufgrund der im Segment C5/C6 vorhandenen degenerativen Veränderungen sei die Implantation einer Bandscheibenprothese in dieser Etage fehlerhaft gewesen.

Der Eingriff selbst sei fehlerhaft durchgeführt worden. Die Prothese sei zu klein gewählt und nicht parallel zum Bandscheibenfach eingebracht worden. Die Prothese im Bereich HWK 3/4 sei zu klein gewählt worden. Aufgrund des fehlerhaften operativen Eingriffes leide er unter stechenden Schmerzen entlang der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung in die rechte Schulter. Das Taubheits- und Kribbelgefühl im Bereich der rechten Hand sei progredient. Bis zum heutigen Zeitpunkt leide er unter Schmerzen, Gleichgewichtsstörungen, einer Zunahme der Muskelatrophie der rechten Hand, motorischen Störungen der rechten Hand, erheblichen Kribbelparästhesien an der linken Hand sowie anhaltenden Schmerzen der Halswirbelsäule. In einem Nachfolgekrankenhaus sei die Indikation zur Entfernung der fehlerhaft eingesetzten Prothese C5/C6 mit Fusion gestellt worden.

Der Sachverständige hatte im Prozess bestätigt: Vor Einsatz der beiden Cages hätte der Beklagte präoperative Funktionsaufnahmen anfertigen müssen, welche die Beweglichkeit der Halswirbelsäule bei Beugung und Streckung dargestellt hätten. Vor Implantation von Bandscheibenprothesen sei zu überprüfen, ob eine Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Wirbelsäule überhaupt erreichbar sei. Ist ein Teil der Wirbelsäule so degeneriert, dass ihre Funktionsfähigkeit stark eingeschränkt ist, sei die Implantation von Bandscheibenprothesen kontraindiziert. Bei Anfertigung dieser Funktionsaufnahmen hätten sich mit hoher Wahrscheinlichkeit Verknöcherungen zwischen dem 5. und 6. Halswirbelkörper gezeigt, so dass die Implantation einer Prothese in diesem Bereich kontraindiziert gewesen wäre. Die gleichwohl durchgeführte Operation sei aus medizinischer Sicht unverständlich.

Die Implantation der Prothese im Bandscheibensegment HWK 5/6 sei nicht indiziert. Aus dem Kernspintomographie-Befund ergäbe sich keine klare Indikation. Zwar sei die Prothese im Bandscheibenfach HWK 3/4 indiziert gewesen, die gewählte Prothese sei jedoch in der Größe unterdimensioniert. Sowohl die intraoperativ gefertigten Aufnahmen als auch die postoperativen Röntgenaufnahmen belegten, dass die Prothese die Wirbelkörperhinterkante nicht erreiche. Daraus folge, dass das Implantat zu klein gewählt wurde, weil die Wirbelkörperhinterkante entgegen den Empfehlungen der Bandscheibenprothesenchirurgie nicht erreicht worden sei. Die Dekompression in der Etage HWK 3/4 sei nicht vollständig durchgeführt worden. Die Implantation der Bandscheibenprothese in der Etage HWK 5/6 sei fehlerhaft. Die beim Kläger eingebrachte Prothese erfülle keine Voraussetzungen für einen korrekten Sitz einer Bandscheibenprothese. Die für die korrekte Implantation der Prothese erforderliche, vollständige operative Ausräumung des Zwischenwirbelraumes sei nach den postoperativen Bildern nicht erfolgt. Es bestehe weiterhin eine Verknöcherung des Zwischenwirbelraumes.

Die Prothese sei fehlplatziert. Der unzureichende Sitz sei bereits im OP-Bericht erkannt und dokumentiert worden, was sich aus dem Eintrag, die Prothese sei diskret nach rechts lateralisiert, ergebe. Es sei unverständlich, weshalb im Hinblick auf die knöcherne Überbauung in HWK 5/6 nicht entweder die bereits natürlich abgelaufene Fusion dieses Segmentes durch Implantation eines Knochenspans unterstützt oder alternativ dazu ein Cage implantiert worden sei. Völlig unverständlich sei es, dass die fehlpositionierte Bandscheibenprothese erkannt, aber belassen wurde. Insgesamt sei die Behandlung somit grob behandlungsfehlerhaft.

Angesichts der Schwere der Behandlungsfehler, der Notwendigkeit einer mit erheblichen Risiken verbundenen Revisionsoperation und nicht ausschließbarer neurologischer Defizite hielt die Kammer ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro für angemessen. Dabei berücksichtigte sie, dass sich die Schmerzdauer des Klägers dadurch verlängere, dass er die indizierte Revisionsoperation wegen der deutlichen Risikosteigerung nachvollziehbar herausschiebe.

(Landgericht Arnsberg, Urteil vom 01.12.2015, AZ: I-5 O 2/14)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht



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