Herausgabe sichergestellter Fahrzeuge: § 111n StPO ist eine vorläufige Besitzstandsregelung - Zivilrechtsweg steht offen
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In einer vom Verfasser erwirkten Beschwerdeentscheidung hinsichtlich der Herausgabe eines sichergestellten Fahrzeugs stellte das Landgericht Kassel klar, dass es sich bei § 111n StPO lediglich um eine vorläufige Besitzstandsregelung handelt und daher im Rahmen der Herausgabeentscheidung grundsätzlich keine Prüfung der Eigentumsverhältnisse der Beteiligten zu erfolgen hat:
„Die Kammer versteht die Vorschrift des § 111n StPO in dem Sinne, dass die in dessen Absatz 1 normierte Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber den allein auf die Besitzverhältnisse abstellenden und eigentumsunabhängigen Regelfall darstellt, wenn der ursprünglich als Beweismittel beschlagnahmte oder sonst sichergestellte Gegenstand insoweit nicht mehr benötigt wird.“
LG Kassel, Beschluss vom 03.02.2021 – 1 Qs 4/21
Hinsichtlich der Frage, ob dem "letzten Gewahrsamsinhaber" (Abs. 1) oder dem "Dritten" (Abs. 3) das Eigentum an der herauszugebenden Sache zusteht, hält das Gericht fest:
„Dies zu klären, muss einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung vorbehalten bleiben, denn § 111n StPO stellt nur eine vorläufige Besitzstandsregelung dar, die einer zivilrechtlichen Klärung nicht im Wege steht. Weitergehende Prüfungen und Ermittlungen sollen im Verfahren nach 111n StPO gerade nicht durch die Staatsanwaltschaft oder die Gerichte angestrengt werden.“
In dem streitgegenständlichen Fall gingen sowohl die Staatsanwaltschaft Kassel, als auch das Amtsgericht Kassel in unzutreffender Weise davon aus, dass sich das Merkmal der Offenkundigkeit nach § 111n Abs. 4 StPO auch auf die Eigentumsstellung des Beschwerdeführers (letzter Gewahrsamsinhaber) beziehe, mit der Rechtsfolge, dass dieser zunächst einen zivilrechtlichen Titel hätte erwirken müssen, um eine Herausgabe des Fahrzeugs zu erwirken.
Sie verkannten dabei die bewusst getroffene Priorisierung des letzten Gewahrsamsinhabers in der Gesetzessystematik des § 111n StPO, die sowohl der Gesetzesbegründung als auch dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen ist. Aus der amtlichen Gesetzesbegründung zu § 111n StPO geht nämlich hervor, dass ausschließlich der „Dritte“ nach § 111n Abs. 3 StPO das von ihm behauptete Recht an der beschlagnahmten Sache durch einen zivilrechtlichen Titel belegen muss, jedoch nicht der „letzte Gewahrsamsinhaber“ im Sinne des § 111n Abs. 1 StPO:
“Für die Zweifelsfälle, in denen nicht ohne weitere Ermittlungen und Prüfungen festgestellt werden kann (also nicht offenkundig ist), an wen die Sache herauszugeben ist, enthält § 111n StPO-E keine ausdrückliche Regelung. Wurde die Sache ausschließlich als nun nicht mehr benötigtes Beweismittel beschlagnahmt (oder auf andere Weise sichergestellt), bleibt es bei der Grundregel des Absatzes 1 (Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber). Der Dritte kann das von ihm behauptete Recht (z. B. Eigentum) gegen den Gewahrsamsinhaber im Zivilrechtsweg geltend machen. Die Herausgabeentscheidung steht dem nicht entgegen, weil die Herausgabe lediglich eine vorläufige Besitzstandsregelung darstellt.”
„Entwurf eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung”, BT-Drucksache 18/9525, S. 84.
Auch der Wortlaut und die Systematik des § 111n StPO zeigen, dass die Herausgabe an den Gewahrsamsinhaber der Standardfall ist und dem anspruchsberechtigten Dritten eine Herausgabe nur gewährt werden kann, wenn dieser bekannt ist. Im Gegensatz zu § 111n Abs. 3 StPO enthält § 111n Abs. 1 StPO eben keinen Bezug auf einen „Anspruch“, dessen Bestehen durch einen zivilrechtlichen Titel nachgewiesen werden müsste. Daraus folgt, dass die Voraussetzung der Offenkundigkeit im Falle des letzten Gewahrsamsinhabers, anders als im Falle des § 111n Abs. 3 StPO, nicht das Eigentumsrecht, sondern die Gewahrsamsinhaberschaft selbst betrifft.
Im vorliegenden Fall hatte dies zur Folge, dass das Fahrzeug an unseren Mandanten nach §§ 111n Abs. 1, 111o Abs. 1 Hs. 2 StPO auf Kosten der Staatskasse herauszugeben war.
Vgl. weitere Entscheidungen zu § 111n StPO im Zusammenhang mit der Fahrzeugsicherstellung: LG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 11.12.2018 – 23 Qs 90/18; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 14.01.2020 – 2 Qs 75/19.
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