„Höhere Gewalt“ und weitere Verteidigungsmöglichkeiten gegen Schadensersatzansprüche wegen zerstörter Lieferketten.

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Aufgrund der zunehmenden weltweiten Krisen in verschiedensten Formen ist nahezu jedes Unternehmen aktuell auf irgendeine Art und Weise mit der Frage „höhere Gewalt“ konfrontiert. Sei es als Zwischenhändler und Lieferant in einer Lieferkette, als Abnehmer und Leistungsbezieher oder als „schuldender“ Endverkäufer.

Wie sieht es daher bei eintretenden exogenen Umständen wie Naturkatastrophen, Kriege, Lieferkettenstörungen, politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen und Veränderungen mit der Erfüllung von Vertragspflichten und potentiell drohenden Schadensersatzansprüchen wegen vertraglicher Pflichtverletzungen aus?

Stellt der Einwand und die Entschuldigung der „höheren Gewalt“ hier ein probates Mittel dar, um sich gegen Ansprüche von Kunden, Auftraggebern etc. erfolgreich zur Wehr zu setzen?

Diese Fragen sollen in den nachfolgenden Ausführungen einer Antwort zugeführt werden.

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1.) Welche Möglichkeiten hat ein Unternehmen bei äußeren störenden Ereignissen rechtlich bzgl. der eigenen Vertragserfüllungspflicht

Welche Möglichkeiten hat ein Unternehmer bzw. ein Unternehmen, wenn wegen außergewöhnlichen exogenen Ereignissen Störungen in Lieferungen bzw. Lieferketten, Produktion, der Vertragserfüllung etc. entstehen, um sich gegen Schadensersatzansprüche zu schützen bzw. zu verteidigen.

a) Die Einwendung der Unmöglichkeit der Leistungserbringung

Nach § 275 BGB kann sich jeder Unternehmer bei eingetretener Unmöglichkeit zur Leistungserbringen (nicht nur Verzögerung), auf den Ausschluss der Leistung berufen. D. h. der Unternehmer wird wegen des übergeordneten Umstands der Unmöglichkeit zur Leistungserfüllung von der Leistungsverpflichtung befreit.

Allerdings eröffnen als Gegengewicht und zum Risikoausgleich die §§ 280, 283 bis 285, 311a, 326 BGB Schadensersatzansprüche, wodurch die Berufung auf § 275 BGB nur auf den ersten Anschein ein „Rettungsanker“ für das sich in der Verpflichtung befindende Unternehmen ist.

b) Die Störung der Geschäftsgrundlage

Ein anderer Weg, sich von einer vertraglich begründeten Leistungsschuld zu befreien, ist über das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.

Durch das in § 313 BGB verankerte Rechtsinstitut besteht die Möglichkeit, bei „Erschütterung“ relevanter Grundlagen und Sachverhalte, die zum Vertragsschluss geführt haben, den Vertrag anzupassen und notfalls zu kündigen.

Allerdings sei bereits an dieser Stelle klargestellt, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage vor Gericht in der Durchsetzung häufig schwer ist, da entsprechende objektive und subjektive Voraussetzungen von dem jeweiligen einwendenden Unternehmen nachzuweisen sind.

c) Das Rechtsinstitut der „höheren Gewalt“

Im Gegensatz zum deutschen Recht ist in einer Vielzahl von anderen Ländern der Welt das Rechtsinstitut der „höheren Gewalt“ rechtlich verankert (“Force Majeure“ oder „Acts of God“).

Die Rechtsprechung definiert „höhere Gewalt" als

"betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist".

Wesentliche Kernpunkte lassen sich somit wie folgt herausfiltern:

  • jedes von außen kommende, 
  • keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisende, 
  • auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis
  • das nicht in die Risikosphäre nur einer Vertragspartei fällt.

Hierunter lassen sich insbesondere Kriegsereignisse, Naturkatastrophen, Dürren, Pandemien etc. fassen.


2.) Handlungserfordernisse für Unternehmen um sich erfolgreich auf „höheren Gewalt“ berufen zu können

a) Wirksame Einbindung in die jeweiligen Vertragsverhältnisse

Im Gegensatz zu anderen Ländern ist in Deutschland das Aufrechterhalten der Möglichkeit der Enthaftung über Ereignisse „höherer Gewalt“ vertraglich zwischen den Parteien aufzunehmen (da nicht im Gesetz geregelt).

Um unerwartet auftretende Hindernisse zwischen den Parteien risikogerecht zu regeln, sind die Begrifflichkeit „höhere Gewalt“ zu definieren, deren Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zu regeln und eine entsprechende risikogerechte Rechtsfolge vorzugeben.

Über solch eine Freizeichnungsklausel sind Verpflichtungsanforderungen zu modifizieren und Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüche des Vertragspartners zu minimieren bzw. sogar ganz auszuschließen.

Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang, dass „Höhere-Gewalt-Klauseln“ in AGB der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegen und damit u.a. eine möglichst klare, ausführliche und eindeutige Formulierung notwendig ist.

Formulierungen wie

„In Fällen höherer Gewalt ist die hiervon betroffene Vertragspartei für die Dauer und im Umfang der Auswirkung von der Verpflichtung zur Lieferung oder Abnahme befreit.“

dürften daher eindeutig nicht ausreichend sein.

Bei internationalen Leistungsbeziehungen kann auf die Incoterms-Regeln zurückgegriffen werden. Erstellt und überarbeitet werden diese regelmäßig vom International Chamber of Commerce (ICC).

b) Anzeige- und Informationspflichten ggü. dem Vertragspartner

Zur gerechten Risikoverteilung im Vertragsverhältnis muss die schuldende Vertragspartei umgehend nach Absehbarkeit der Lieferverzögerung und den auftretenden Lieferproblematiken die Gegenseite hiervon unterrichten.

Diese Verpflichtung kann durch vertragliche Vereinbarung ausgeweitet und/oder konkretisiert werden.


3.) Rechtsfolgen bei durchgreifender „höherer Gewalt“

Sofern die Einwendung der „höheren Gewalt“ wirksam ins Vertragsverhältnis der Parteien hineingezogen werden können, kann sich hieraus eine Aussetzung einzelner Vertragspflichten, die Verlängerung einer Zeitspanne und ggf. sogar die Komplettauflösung des Vertrags ergeben.

Aus den wirtschaftlichen Erwägungen eines Unternehmers ist es daher durchaus lohnend, die vertraglichen Regelungen mit den Kunden und Lieferanten regelmäßig zu überdenken und zu überprüfen. Dies gilt - nebenbeibemerkt - selbstverständlich auch für "Insolvenzfestigkeit".


Dieser Artikel stellt keine konkrete und individuelle Rechtsberatung dar, sondern gibt lediglich einen groben Erstüberblick über die geschilderte rechtliche Materie. Insbesondere kann das Rechtsinstitut „höhere Gewalt“ und dessen Auswirkung nur exemplarisch und allgemein dargestellt werden. Die Konstellationen und rechtlichen Folgen im jeweiligen Vertragsverhältnis und der jeweiligen Branche können vielschichtig und komplex sein. Rechtliche Sicherheit für Ihre konkrete Fallkonstellation können Sie nur durch abgestimmte Prüfung und Beratung eines fachkundigen Rechtsanwalts erhalten. 

Gerne stehe ich Ihnen bei Fragestellungen um diesen Themenkomplex zur Verfügung.

Foto(s): Canva.de - Dr. Holger Traub

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