Hypothetischer Unterhaltsanspruch der neuen Ehefrau ( BGH )

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Beim neuen Ehegatten kommt es bei der Unterhaltbemessung nicht auf dessen Anspruch auf Familienunterhalt an, sondern auf den hypothetischen Unterhalts-anspruch im Falle einer Scheidung. Kommt ein Anspruch wegen Kinderbetreuung in Frage, so haben elternbezogene Gründe nach § 1577 Abs. 2 BGB, die auf der Rollenverteilung der neuen Ehe beruhen, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (vgl. Urteil BGH vom 18.11.2009 - XII ZR 65 / 09).

Im aktuellen Verfahren ergab sich folgender Sachverhalt: Der 1957 geborene Kläger und die 1956 geborene Beklagte heirateten im Jahre 1975. Die Ehe blieb kinderlos. Eine Trennung wurde Mitte 2002 durchgeführt, die Scheidung wurde Ende 2003 rechtskräftig. Die Beklagte besuchte eine Sonderschule und begann eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau, deren Abschluss zwischen den Parteien streitig war. Zum Zeitpunkt der Eheschließung arbeitete die Beklagte als Hilfsarbeiterin und war bis 1978 erwerbstätig. Danach ging sie während des ehelichen Zusammenlebens keiner Erwerbstätigkeit nach. Von 1995 bis 1997 pflegte sie ihren Vater. Seit der Trennung arbeitete die Ehefrau als Reinigungskraft. Der Kläger war zunächst Vulkanisiermeister. Während des ehelichen Zusammenlebens bildete er sich zum Chemieingenieur fort und arbeitet in diesem Beruf bis heute. Der Kläger heiratete im Jahre 2004 erneut. Aus der Ehe wurde im Jahre 2005 ein Sohn geboren. Außerdem adoptierte er im Jahre 2006 den 1997 geborenen Sohn seiner jetzigen Ehefrau. Seine Ehefrau ist nicht erwerbstätig. Durch Prozessvergleich im Jahre 2005 legten die Parteien den nachehelichen Unterhalt auf monatlich 618 € fest. Im Jahre 2007 erstrebte der Kläger eine Herabsetzung des Unterhalts. Durch Urteil vom 21. August 2007 setzte das Familiengericht den Unterhalt um wenige EUR herab, nämlich auf 607 €.

Im vorliegenden Verfahren begehrte der Kläger die Herabsetzung und zeitliche Begrenzung des Unterhalts. Er beruft sich auf die seit Januar 2008 geltende neue Rechtslage und fehlende ehebedingte Nachteile. Der BGH berechnet den Unterhaltsbedarf der Beklagten, indem auch die jetzige Ehefrau des Klägers einbezogen wird und der Bedarf nach einem Drittel der zusammengerechneten Einkünfte zu berechnen ist. Der Bedarf richtet sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Eine Anknüpfung an den besseren Lebensstandard des Unterhaltspflichtigen ist nur insoweit gerechtfertigt, als dieser selbst in den Genuss eines höheren Lebensstandards kommt und dieser nach der Scheidung noch vorhanden ist. Demnach ist nach BGH eine nacheheliche Einkommensverringerung bereits bei der Bedarfsbemessung zu berücksichtigen (BGH, FamRZ 2003, 848). Dies wurde konsequent fortgeführt, zunächst auf den Kindesunterhalt und später auch auf die nach Wiederverheiratung gegenüber dem neuen Ehegatten entstandene Unterhaltspflicht (BGH, FamRZ 2009, 23; 579). Eine Fortschreibung des früheren Zustandes als Fiktion wird abgelehnt. Eine fiktive Einordnung ist nur dann möglich, wenn z.B. ein Verstoß gegen eine Erwerbsobliegenheit vorliegt (BGH, FamRZ 2009, 411, 414). Eine Wiederverheiratung fällt nicht darunter. Auch bei langer Ehedauer ist der geschiedene Ehegatte gegenüber dem kinderbetreuenden Ehegatten aus der zweiten Ehe nicht mehr vorrangig. Der Unterhalt des geschiedenen Ehegatten ist selbst bei langer Ehe nicht zwangsläufig in den zweiten Rang einzuordnen, sondern gemäß § 1609 Nr. 2 BGB nur unter Berücksichtigung ehebedingter Nachteile (vgl. BGH, FamRZ 2008, 1911, 1918). Der BGH nimmt eine Bedarfsbemessung nach Quoten vor und stellt damit bereits einen Bedarf und Leistungsfähigkeit zusammenfassenden Verteilungsvorgang dar. Hierdurch wird die Kontrolle nach § 1581 BGB bis auf die Fälle des Selbstbehalts entbehrlich. Diese Vereinfachung ergibt sich auch aus der Rechtsprechung zum Karrieresprung und zum Splittingvorteil aus der zweiten Ehe (vgl. BGH, FamRZ 2008, 1916). Ein unterschiedlicher Rang der Ehegatten wirkt sich erst dann aus, wenn der Ehegattenselbstbehalt nicht gewahrt ist (vgl. Leitlinien). Die vom BGH angewendete Drittelmethode führt zu einer gleichmäßigen Verteilung des Einkommens. Die Rollenverteilung der zweiten Ehe darf beim Zusammentreffen mit Ansprüchen auf Geschiedenenunterhalt nicht ausschlaggebend sein. Es ist eine Einbeziehung des vom neuen Ehegatten erzielbaren Einkommens bereits bei der Bedarfsermittlung erforderlich, weil ansonsten die Gleichbehandlung von geschiedener und aktueller Ehe unterlaufen würde. Der aufgrund der gebotenen Gleichbehandlung maßgebliche hypothetische Geschiedenenunterhaltsanspruch der neuen Ehefrau macht eine Prüfung der nachehelichen Unterhaltsansprüche nach § 1570 ff. BGB erforderlich. Eine mögliche Unterhaltsverlängerung nach § 1570 Abs. 2 BGB hängt maßgeblich von der Rollenverteilung in der neuen Ehe ab und kann nicht berücksichtigt werden. Ansonsten würde man den Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau entwerten.

Etwas anderes gilt dann, wenn der geschiedne Ehegatte seinerseits einen Anspruch aus elternbezogenen Gründen nach § 1570 Abs. 2 BGB gehabt hat oder noch hat. Insoweit hat es der BGH nicht beanstandet, dass auch für die zweite Ehefrau ein erzielbares Einkommen von 14 Stunden im Monat angesetzt wurde. Der BGH führt in seinem Urteil folgendes Beispiel aus: Der geschiedene Unterhaltspflichtige ist wiederverheiratet und hat mit seiner neuen Ehefrau ein fünfjähriges Kind. Er hat ein um den Kindesunterhalt und Erwerbsanreiz bereinigtes Einkommen von 2.400 EUR. Die nach langer Ehedauer geschiedene Ehefrau erzielt krankheitsbedingt kein Einkommen. Die neue Ehefrau könnte neben der Kinderbetreuung ein Einkommen von, bereinigt um den Erwerbsanreiz von 600 EUR, erzielen. Wenn man das erzielbare Einkommen erst bei der Mangelfallverteilung, also auf der Ebene der Leistungsfähigkeit berücksichtigt, führt dies zu unmöglichen Ergebnissen. Der Bedarf nach der Drittelmethode betrüge jeweils 800 EUR. Es läge ein Mangelfall vor (2.400,00 EUR - 800,00 EUR - 800,00 EUR < 1000,00 EUR ). Bei der Mangelfallberechnung müsste nunmehr das erzielbare Einkommen nach § 1609 Nr. 2 BGB bei der neuen Ehefrau berücksichtigt werden. Sie hätte dann einen Anspruch von 200,00 EUR (800,00 EUR - 600,00 EUR), während der geschiednen Ehefrau nicht mehr als 800,00 EUR verblieben und der Unterhaltspflichtige 1.400,00 EUR trotz Mangelfall hätte. Die zu unterstellende Erwerbsobliegenheit der neuen Ehefrau würde sich nicht auswirken. Bezieht man nach BGH dagegen das von der neuen Ehefrau erzielbare Einkommen bereits bei der Bedarfsermittlung ein, so ergibt sich ein Bedarf von jeweils 1.000,00 EUR. Ein Mangelfall liegt dann nicht vor.

Dr. jur. Werner Nickl

Fachanwalt für Familienrecht


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