Insolvenz – Vergleichseinkommen des Selbstständigen und Freiberuflers nach § 295a InsO n. F.

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In der Insolvenz der natürlichen Person wissen viele Selbstständige, Freiberufler und Unternehmer nicht, dass sich bei einer Fortführung ihrer Tätigkeit nach Freigabe durch den Insolvenzverwalter (§ 35 InsO) ganz große Chancen auftun, von den Früchten der eigenen Tätigkeit trotz Insolvenz überproportional zu profitieren. Denn die Pfändungsregeln des § 850 c ZPO gelten nur für das Einkommen des abhängig beschäftigten Arbeitnehmers!

Für den Selbstständigen galt gemäß § 295 Abs. 2 InsO alte Fassung, dass er nur den fiktiv pfändbaren Teil eines Vergleichseinkommens in die Insolvenzmasse abliefern muss. Wie dieses richtig bestimmt wird, ist jedoch entscheidend: Das Vergleichseinkommen ist gerade nicht das Einkommen, das dem Selbstständigen möglich wäre, sondern nur dasjenige, was er bei seiner Qualifikation, Alter, Erwerbsbiographie, Gesundheit und Arbeitsmarktsituation als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer voraussichtlich verdienen könnte.

Reales Beispiel aus unserer Tätigkeit:

Insolventer 52-jähriger Facharzt, seit 18 Jahren in eigener Praxis und ohne Unterhaltspflicht. Nach Freigabe der ärztlichen Tätigkeit erwirtschaftet die Praxis nunmehr einen Überschuss nach Steuern von 125.000,00 € im Jahr.

Das Vergleichseinkommen zur Berechnung des fiktiv pfändbaren Anteils ist deswegen jedoch nicht 10.416,66 € netto im Monat, sondern dasjenige, was ein angestellter Assistenzarzt mit Facharztausbildung z. B. im Krankenhaus voraussichtlich verdienen würde – und zwar in der Eingangsvergütungsstufe und ohne Zulagen – und das sind ca. 5.900,00 € netto im Monat.

Im ersten Fall müsste er sage und schreibe 8.505,07 € abführen! Es bleiben ihm magere 1.911,69 € im Monat zum Leben. Im zweiten Fall muss er aber nur 3.988,91 € abführen und kann deswegen 6.427,75 € pro Monat für sich behalten. Während der Insolvenz!

Sicherlich wäre der insolvente Arzt fiktiv auch qualifiziert für eine Oberarztstelle. Jedoch gilt: Wer stellt realistischerweise einen 52-jährigen Arzt, der 18 Jahre lang in eigener Praxis tätig war und keinen „Chef“ oder Vorgesetzten kannte, gleich als Oberarzt ein? Für das fiktive Vergleichseinkommen ist eine realistische und nicht eine wünschenswerte Betrachtung aller Umstände notwendig. 

An diesem Beispiel sehen Sie, wie wichtig die adäquate Beratung gerade der Selbstständigen und Unternehmer in der eigenen Insolvenz ist.

Nachtrag zur neuen Rechtslage gem. § 295a InsO

Der Gesetzgeber hat nunmehr den alten § 295 II InsO (alte Fassung) im Wesentlichen in den neuen § 295a InsO integriert. Allerdings hat sich das Verfahren zur Feststellung stark verändert: Auf Antrag des Schuldners stellt das Gericht den Betrag des fiktiven, angemessenen Dienstverhältnisses durch Beschluss fest. Der Schuldner muss die Höhe der Bezüge mit dem Antrag glaubhaft machen. Dabei ist von entscheidender Bedeutung seine Qualifikation, sein Alter, sein Gesundheitszustand, die Lohnstruktur in seiner Branche (Tarifverträge etc.) und seine Unterhaltspflichten. Der Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder und die Insolvenzgläubiger müssen angehört werden. Gegen die Entscheidung steht Gläubigern und Schuldner die sofortige Beschwerde zu.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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