Kann der Arbeitgeber die betriebliche Altersversorgung (bAV) bzw. Betriebsrente kürzen, kündigen oder sogar widerrufen?

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I. Haftung des Arbeitgebers

Die betriebliche Altersversorgung (bAV) ist eine beliebte Zusatzleistung des Arbeitgebers zur Personalgewinnung bzw. - bindung. Während früher vor allem die Direktzusage gewählt wurde, haben sich schon seit geraumer Zeit vor allem versicherungsförmige Durchführungswege (Direktversicherung, Pensionsfonds, Pensionskasse) durchgesetzt. Daneben hat auch die Unterstützungskassenversorgung eine große Bedeutung. Finanziert wird die bAV oft durch den Arbeitgeber, häufig aber auch durch Entgeltumwandlung des Arbeitnehmers.

Unabhängig davon, ob die bAV durch den Arbeitgeber oder Arbeitnehmer finanziert wird und unabhängig vom Durchführungsweg  trifft den Arbeitgeber gem. § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG (Betriebsrentengesetz) eine gesetzliche Einstandspflicht dafür, dass die Leistungen aus der bAV vereinbarungsgemäß erfolgen, auch wenn keine Rechtspflicht zur Einrichtung einer rein arbeitgeberfinanzierten bAV besteht.

Der Umfang der Einstandspflicht bzw. die Höhe der Leistung und die Haftung des Arbeitgebers bestimmen sich nach der Art der Zusage, die in § 1 Abs. 2 BetrAVG jeweils definiert ist. Bei der reinen Leistungszusage erhält der Arbeitnehmer die Zusage einer betragsmäßig feststehenden Leistung bei Eintritt des Versorgungsfalles. Das Gegenstück, die neu eingeführte reine Beitragszusage („Sozialpartnermodell“) beschränkt die Haftung des Arbeitgebers nur auf die Abführung bestimmter Beiträge – „pay and forget“. Die Beitragszusage mit Mindestleistung sieht die Abführung der Beiträge sowie eine bestimmte Mindestverzinsung zur Erreichung des Versorgungsziels vor. Streitig in Rechtsprechung und Literatur ist der Leistungsumfang der beitragsorientierten Leistungszusage (boLZ). Das BAG (Bundesarbeitsgericht) stellt darauf ab, dass auf Grundlage bestimmter Beiträge, eines bestimmten (garantierten) Rechnungszinses zum Zeitpunkt der Zusage sowie der Dauer der Beitragszahlung  die Versorgungsleistung hochgerechnet werden muss.

II. Rückgang des Garantiezinses der Lebensversicherer

Der Rückgang des Garantiezinses der Lebensversicherer auf aktuell 0,25 % p. a. (2022) stellt Arbeitgeber und Versorgungsträger (z. B. Lebensversicherer, Pensionskassen und Unterstützungskassen) vor ganz neue Herausforderungen. War es früher selbstverständlich, dass zumindest der Leistungsumfang der boLZ erreicht wurde, so ist dies mittlerweile Vergangenheit: Die Summe der eingezahlten Beiträge ist meist höher als die durch die Versorgungsträger garantierte Leistung. Ob der Arbeitgeber durch vertragliche Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer seinen Leistungsumfang beschränken kann, ist streitig und dürfte in Zukunft noch häufiger das BAG bzw. die Arbeitsgerichte beschäftigen. Denn gem. § 19 Abs. 3 BetrAVG kann – was den Leistungsumfang der Zusage angeht – nicht zuungunsten des Arbeitnehmers von den Bestimmungen des BetrAVG abgewichen werden.

III. Finanzielle Schieflagen der Versorgungsträger

Kopfschmerzen bereiten manchem Arbeitgeber auch die in der letzten Zeit aufgetretenen finanziellen Schieflagen diverser Pensionskassen. Diese Versorgungsträger werden zukünftig nicht mehr die ursprünglich vereinbarten (garantierten) Leistungen erbringen können. Unabhängig davon, ob die Beiträge vom Arbeitgeber oder Arbeitnehmer durch Entgeltumwandlung finanziert wurden, trifft den Arbeitgeber auch hier grundsätzlich eine Einstandspflicht.

IV. Wirtschaftliche Schwierigkeiten des Arbeitgebers

Neben den o. g. externen Faktoren gibt es auch Arbeitgeber, die aus wirtschaftlichen Gründen in Schwierigkeiten geraten sind und die vereinbarten Leistungen nicht mehr (voll) erbringen können.

Bei oft jahrzehntelang laufenden Versorgungsvereinbarungen ist es daher nachvollziehbar, dass eine vormals erteilte Versorgungszusage „nicht in Stein gemeißelt“ ist, sondern unter bestimmten Voraussetzungen modifiziert werden kann.

V. Zulässigkeit der Anpassung bzw. des Eingriffs

Gem. der Rspr. des BAG ist das Interesse des Arbeitnehmers auf eine bestimmte Versorgungsleistung gegen das Interesse des Arbeitgebers auf eine Anpassung dieser Leistung bei Vorliegen externer oder interner Gründe nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes sowie der Verhältnismäßigkeit  abzuwägen. Dafür hat das BAG die sog. Drei-Stufen-Theorie entwickelt.

Danach müssen für Eingriffe in bereits erdiente Anwartschaften (bzw. laufende Renten), den sog. Past Service, „zwingende Gründe“ vorliegen. Bei bereits erdienten Anwartschaftsdynamiken reichen „triftige Gründe“ aus. Bei den Zuwachsraten, also noch zukünftig zu erdienenden Anwartschaften bzw. Dynamiken – sog. Future Service – sind „sachlich-proportionale Gründe“ ausreichend. Zur Definition der genannten Gründe bzw. zu den Anforderungen an die Begründungslast des Arbeitgebers existiert eine Vielzahl von Rechtsprechung des BAG.  Es ist daher immer auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, ob eine zulässige Anpassung vorliegt oder nicht.

Die gesetzlich vorgesehenen Betriebsrentenerhöhungen sowie deren Modifikation sind allerdings gem. § 16 BetrAVG und nicht nach der Drei-Stufen-Theorie zu prüfen.

Für neu eintretende Arbeitnehmer können grundsätzlich andere Versorgungsregelungen getroffen werden als für den bisherigen Mitarbeiterbestand – sog. Schließung eines Versorgungswerkes. Die Drei-Stufen-Theorie ist dabei nicht anzuwenden.

VI. Widerruf bzw. "Kündigung"

Der komplette Widerruf einer Betriebsrente ist nach der Rechtsprechung des BAG nur aus sog. verhaltensbedingten  Gründen des Versorgungsberechtigten möglich: Es muss eine schwere Treuepflichtverletzung vorliegen, die kausal für eine existentielle Gefährdung des Arbeitgebers ist. Diese Voraussetzungen liegen nur in seltenen Fällen vor.

Ein Widerruf bzw. eine Anpassung nach den Grundsätzen des § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) sind nur dann möglich, wenn Fälle der planwidrigen Überversorgung, der Änderung der Rechtslage und der Veränderung des Dotierungsrahmens (z. B. durch die Steigerung der Lebenserwartung) vorliegen. Weitere Voraussetzung ist eine damit verbundene erhebliche Mehrbelastung des Arbeitgebers und ein Überschreiten der Unzumutbarkeitsgrenze. Wirtschaftliche Gründe sind davon nicht erfasst.

VII. Verschlechternde Versorgungsordnungen

Die Anpassung der Versorgungszusagen erfolgt in vielen Fällen durch ablösende Betriebsvereinbarungen. Eine Reihe von größeren Unternehmen hat z. B. von der reinen Leistungszusage auf ein Kapitalbausteinverfahren umgestellt. Im Leistungszeitpunkt ist daher zu prüfen, ob die Versorgungsleistung nicht schlechter ausfällt als ursprünglich zugesagt, und ob diese Verschlechterung überhaupt gerechtfertigt sein kann. Im Zweifelsfall ist dabei ein Versicherungsmathematiker heranzuziehen.

Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die Berechnung der Betriebsrente zu richten, die möglicherweise für den Arbeitnehmer nachteilig ist. Dabei sind Parameter wie die bei vorzeitigem Ausscheiden gesetzlich gem. § 2 Abs. 1 BetrAVG grundsätzlich zulässige ratierliche Kürzung von Ansprüchen oder die Anrechnung sonstiger Versorgungen, insbesondere der gesetzlichen Sozialversicherungsrente, genau zu prüfen.

VIII. Fazit

Die Höhe der Leistung aus einer betrieblichen Altersversorgung ist häufig Anlass für einen Rechtsstreit  zwischen Arbeitnehmern und dem (früheren) Arbeitgeber. Aufgrund der Komplexität der Fragestellungen sowie der Fülle von Rechtsprechung und Literatur zu diesem Thema sollte dazu ein einschlägig versierter Rechtsanwalt hinzugezogen werden.

Die Kanzlei Lindner Anwälte berät Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei allen Fragen zur betrieblichen Altersversorgung.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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