Die Sozialversicherungspflicht von Selbstständigen, Freiberuflern und GmbH-Geschäftsführern

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I. Betriebsprüfung: Sozialversicherungspflicht und Scheinselbstständigkeit

Das Thema Sozialversicherungspflicht für Selbstständige, Freiberufler und GmbH-Geschäftsführer kommt trotz umfangreicher Rechtsprechung der Sozialgerichte (SG, LSG und BSG) nicht zur Ruhe, ebenso wenig die Problematik der Scheinselbstständigkeit.

Insbesondere eine Betriebsprüfung der Sozialversicherungsträger ist oft Anlass für rechtliche Auseinandersetzungen. Daher ist es für alle Selbstständigen bzw. GmbH-Geschäftsführer empfehlenswert, diese Thematik rechtzeitig anzugehen und nicht erst dann, wenn Nachzahlungsbescheide der Sozialversicherungsträger bzw. die Auftragskürzung bei möglicher Scheinselbstständigkeit drohen.

II. GmbH-Geschäftsführer

Während die frühere Rechtsprechung des BSG (Bundessozialgericht) auf die gelebte Unternehmenspraxis und die faktische Macht des Geschäftsführers abstellte („Kopf-und Seele-Rechtsprechung“), ist seit mehreren Jahren ein Wandel in der Rechtsprechung der Sozialgerichte und des BSG zu verzeichnen.

Das BSG bestätigte in seinen Urteilen vom 14. März 2018 (B 12 KR 13/17 R und B 12 R 5/16 R) die Rechtsprechung, wonach GmbH-Geschäftsführer regelmäßig sozialversicherungspflichtig sind. Versicherungsfreiheit kann der GmbH-Geschäftsführer nur erlangen, wenn er mindestens 50 Prozent der Anteile an der Kapitalgesellschaft innehat. Eine geringere Kapitalbeteiligung führt nur dann zur Sozialversicherungsfreiheit, wenn aufgrund des Gesellschaftsvertrags (Satzung) eine echte Sperrminorität vorliegt, die es dem Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer ermöglicht, ihm nicht genehme Entscheidungen und Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern.

Gesellschafterbeschlüsse und Vereinbarungen über Stimmrechtsübertragungen, Vetorechte und/oder Stimmrechtsbindungen, die den Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführern, Fremdgeschäftsführern und leitenden Angestellten eine faktische Rechtsposition zugestehen, bleiben hingegen bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung außer Ansatz. Auch betonte das BSG noch einmal, dass es nicht darauf ankommt, dass der Geschäftsführer in der Vertretung des Unternehmens nach außen weitreichende Befugnisse besitzt und auch ansonsten umfassende Rechte eingeräumt bekommt, wie z. B. die freie Entscheidung über die Arbeitszeiten.

III. Selbstständige und Freiberufler

Ausgangspunkt dafür, ob eine Beschäftigung vorliegt, ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Beschäftigung ist danach die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Eine selbstständige Tätigkeit ist durch

  • die freie Gestaltung der Tätigkeit,
  • eine selbstbestimmte Arbeitszeit und
  • die Verfügbarkeit über die eigene Arbeitskraft

gekennzeichnet.

Zudem verfügen Selbstständige über unternehmerische Entscheidungsfreiheit und tragen gleichzeitig das unternehmerische Risiko. Dazu zählt auch, unternehmerische Chancen eigenverantwortlich wahrzunehmen.

Selbstständige, die

  • regelmäßig und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind und
  • keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer mit einem Verdient von mehr als 450 Euro / Monat beschäftigen,

unterliegen grundsätzlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Innerhalb der ersten drei Jahre können sie sich auf Antrag von dieser Versicherungspflicht befreien lassen.

Unter diese Personengruppe fallen auch Handelsvertreter – sog. Ausschließlichkeitsvertreter – die gem. § 92 a HGB nur für ein Unternehmen tätig werden.

Selbst wenn eine selbstständige Tätigkeit nach den o. g. Kriterien vorliegen sollte, so sind gem. § 2 SGB VI bestimmte Berufsgruppen wie z. B. selbstständige Lehrer (z. B. private Musiklehrer), Künstler und Publizisten sowie Handwerker, für die noch nicht 18 Jahre Pflichtversicherungsbeiträge gezahlt wurden, kraft Gesetzes sozialversicherungspflichtig.

Problematisch wird die Einordnung, wenn gemischte Tätigkeiten vorliegen oder die Abgrenzung nicht eindeutig ist. Der Personal Trainer z. B., der auch Gruppen in Gesundheitsvorsorge unterrichtet, kann gem. dem Schwerpunkt seiner Tätigkeit entweder als sozialversicherungspflichtig oder sozialversicherungsfrei eingeordnet werden.

Selbstständig Tätige können sich unter bestimmten Voraussetzungen von der Versicherungspflicht befreien lassen. So werden nach § 6 Abs. 1 SGB VI selbstständig Tätige für die Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind (angestellte Freiberufler wie Rechtsanwälte, Architekten, Ärzte etc.) von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung befreit. 

Voraussetzung ist allerdings eine berufsspezifische Tätigkeit, deren Definition häufig zu rechtlichen Streitigkeiten führt. Schwierig wird es z. B. für den Arzt, der als Pharmareferent tätig wird. Auch bei einem Arbeitgeberwechsel oder Vertragsänderungen können Schwierigkeiten auftreten.

Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. Sie ist auf die jeweilige selbstständige Tätigkeit beschränkt.

IV. Scheinselbstständigkeit

Bei Scheinselbstständigkeit sind die unternehmerischen Entscheidungsbefugnisse des Auftragnehmers stark eingeschränkt, sodass eine selbstständige unternehmerische Tätigkeit nicht mehr zu erkennen ist. Es besteht die Gefahr, dass die Betriebsprüfung die sozialversicherungsrechtliche Einordnung anders bewertet als der Auftraggeber/Arbeitgeber.

Bei einer Selbstständigkeit besteht in der Regel keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Stellt die Betriebsprüfung jedoch im Nachhinein eine abhängige Beschäftigung fest, sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber verpflichtet, die Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung rückwirkend für die letzten vier Jahre zu entrichten.

Das Bestehen einer Scheinselbstständigkeit kann zudem strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. In Zweifelsfällen sollte daher zumindest von dem optionalen Statusfeststellungsverfahren Gebrauch gemacht werden (s. u.).

V. Statusfeststellungsverfahren

In einem Statusfeststellungsverfahren wird der sozialversicherungsrechtliche Status (abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit) festgestellt.

Auftragnehmer/Arbeitnehmer und Auftraggeber/Arbeitgeber erlangen durch das Statusfeststellungsverfahren Rechtssicherheit und sind so vor späteren Unstimmigkeiten und hohen Beitragsnachzahlungen geschützt.

Ein optionales Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV kann sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer schriftlich oder elektronisch bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund beantragt werden.

Die zuständige Einzugsstelle – i. d. R. die gesetzliche Krankenkasse – ist nach § 7a Abs. 1 S. 2 SGB IV verpflichtet ein Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) zu beantragen, wenn aus der Anmeldung zur Sozialversicherung hervorgeht, dass es sich bei dem Arbeitnehmer um

  • den Ehegatten, Lebenspartner oder Abkömmling (z. B. Kind, Enkel) des Arbeitgebers
  • oder den geschäftsführenden Gesellschafter einer GmbH oder UG handelt.

Die DRV Bund entscheidet auf Grund der Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob es sich um eine abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit handelt. Insoweit wird auch über das Vorliegen von Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit in der Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung entschieden. Im Leistungsfall ist die Agentur für Arbeit an die Entscheidung der Clearingstelle gebunden.

VI. Grenzüberschreitende Tätigkeiten innerhalb der EU

Einen Sonderfall bilden Personen, die in mehreren Mitgliedsstaaten eine Beschäftigung bzw. eine selbstständige Tätigkeit ausüben. Diese unterliegen im Rahmen diverser Verordnungen der EU über Soziale Sicherheit ausschließlich der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates. 

Grundsätzlich gilt das Territorialitätsprinzip nach § 3 SGB IV für alle Sozialversicherungszweige. Die Grundsätze sind jedoch nur anwendbar, wenn es keine vorrangigen Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts gibt (§ 6 SGB IV). Welche Verordnung konkret anzuwenden ist, richtet sich nach dem gebietlichen und persönlichen Geltungsbereich. 

Für eine Person, die in mehreren Mitgliedsstaaten erwerbstätig bzw. selbstständig tätig ist, werden die EU-Verordnungen über Soziale Sicherheit angewandt. Hierbei ist zu beachten, dass es bei der Anwendung dieser Verordnungen Einschränkungen beim gebietlichen, persönlichen und sachlichen Geltungsbereich gibt.

VII. Beratung, Widerspruch und Klage

Zur Vermeidung unangenehmer Überraschungen durch teilweise existenzbedrohliche Nachzahlungen an die Sozialversicherungsträger sollte daher jeder Gesellschafter-Geschäftsführer, der noch kein obligatorisches Statusfeststellungsverfahren durchgeführt hat, sowie jeder Selbständige oder Freiberufler bei Zweifeln über seinen sozialversicherungsrechtlichen Status vorab seinen individuellen Fall sowie die ggfls. noch möglichen Anpassungen seiner Tätigkeit sowie von Verträgen und seinen Außenauftritt prüfen lassen.

Liegt bereits eine Stellungnahme der DRV Bund bzw. sogar ein Zahlungsbescheid vor, so muss dagegen unverzüglich im Rahmen eines Widerspruchs bzw. einer Klage vorgegangen werden.

Dafür empfiehlt es sich, einen einschlägig versierten Rechtsanwalt zu beauftragen.

Die Kanzlei Lindner Anwälte berät Gesellschafter-Geschäftsführer, Selbstständige und Freiberufler bei Fragen zur Sozialversicherungspflicht und Scheinselbstständigkeit.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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