Wie hoch ist meine Firmenrente bei dauerhafter Flugdienstuntauglichkeit (DFU) oder Ausscheiden mit dem 55. Lebensjahr ?

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Dauerhafte Flugdienstuntauglichkeit (DFU) bzw. ein vorzeitiger Ruhestand mit Übergangsversorgung (ÜV) mit Vollendung des 55. Lebensjahres aufgrund der hohen gesundheitlichen Belastungen betreffen das gesamte fliegende Personal. In einer bemerkenswerten Entscheidung hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG), 28.04.2021, 4 AZR 233/20 mit der Frage befasst, ob Flugbegleiter/innen in einem solchen Fall die oft günstigere Versorgung nach früheren Tarifverträgen verlangen können oder auf die Regelungen in den aktuellen Tarifwerken angewiesen sind.

I.  Ausgangsfall

Die Flugbegleiterin F, Jahrgang 1974, trat im Jahr 1999 in die Dienste der Luftverkehrsgesellschaft L. Der Arbeitsvertrag sieht bei den Rechten und Pflichten eine Verweisung auf die jeweils gültigen Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften vor. Die Tarifverträge aus den Jahren 2002 und 2003, die die betriebliche Altersversorgung sowie die Versorgung im Falle der DFU und vorzeitigem Ausscheiden mit Vollendung des 55. Lebensjahres regeln, wurden am 01.07.2003 mit den Gewerkschaften Ufo und verdi abgeschlossen. Mit Wirkung zum 05.07.2016 wurden die aus den Jahren 2002 und 2003 stammenden Tarifverträge durch ein neues Tarifwerk abgelöst, allerdings seitens L nur mit der Gewerkschaft Ufo vereinbart. Der Hintergrund war die zunehmende Belastung der L durch gewinnmindernde Pensionsrückstellungen für die Altversorgung. Die bisherige Regelung der Zahlung einer Firmenrente im DFU- bzw. ÜV-Fall wurde durch eine Einmalkapitalzahlung ersetzt, im DFU-Fall zusätzlich noch mit einer einmaligen Versicherungsleistung ergänzt. Dazu werden Einzahlungen auf ein Kapitalkonto seitens der L für die Flugbegleiter/innen geleistet.

Im Jahr 2023 wird F nach 24 Jahren Tätigkeit für die L im Alter von 49 ein DFU-Fall. Ihr letztes Bruttogehalt inkl. Schichtzulage beläuft sich auf 3.600,00 €. Der Stand ihres Kapitalkontos weist einen Saldo von 120.000 € auf, hinzu kommt noch eine Versicherungsleistung von 50.000 €. Nach den Tarifverträgen von 2003 würde F für die Zeit bis zum 63. Lebensjahr (Altersrente der Deutschen Rentenversicherung und der L), also für 14 Jahre, monatlich eine Firmenrente von 2.100,00 € über die Laufzeit von 168 Monaten, insgesamt also 352.800,00 € erhalten. Das Kapitalkonto inkl. der Zusatzversicherung weist allerdings nur eine Leistung von 170.000 € aus. Der finanzielle Vorteil für F i. H. v. 182.800 € bei Inanspruchnahme der Versorgung nach den Tarifverträgen von 2003 liegt auf der Hand.

Geht man davon aus, dass F bereits das 55. Lebensjahr vollendet hat und nur noch die Übergangsversorgung in Anspruch nimmt, so ist der finanzielle Vorteil immer noch beachtlich:  8 Jahre x 12 Monate x 2.100,00 € = 201.600 € - 120.000 € = 81.000 €.

II. Die Entscheidung des BAG

Das BAG kam in dem o. g. Urteil in einem gleich gelagerten Parallelfall zu dem Ergebnis, dass die Flugbegleiter/innen einen Anspruch auf eine Versorgung nach den Tarifverträgen von 2003 haben. Das BAG setzt sich in dem Urteil ausführlich mit der Verweisungsklausel in den Arbeitsverträgen auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass diese Verweisung nur statisch auf die Tarifverträge 2003 und nicht dynamisch zu verstehen ist, da es an einer wirksamen Kollisionsregelung fehle; denn: Die L hatte die neuen Tarifverträge nur mit der Gewerkschaft Ufo, nicht mit verdi geschlossen. Zusätzlich erachtet das BAG auch eine Gewerkschaftsmitgliedschaft der Flugbegleiter/innen für einen Anspruch nach den Tarifverträgen 2003 nicht für schädlich.

Damit sieht das BAG die Ablösung der Tarifverträge bereits formell als unwirksam an. Ob die Ablösung auch materiell nach den Grundsätzen von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit wirksam war, brauchte das BAG nicht mehr zu prüfen.

III. Auswirkungen der Entscheidung des BAG

Das BAG-Urteil war ein Paukenschlag für die L. Denn die mühsam erarbeitete neue Versorgungsregelung auch für die Flugbegleiter/innen mit Einstellungsdatum vor dem 05.07.2016 wurde auf einmal obsolet. Angesichts möglicher Ansprüche der Flugbegleiter/innen geriet die Finanzplanung der L für die nächsten Jahre in Turbulenzen.  Daher ist es nicht verwunderlich, dass die L jedem Flugbegleiter/in (mit Einstellungsdatum vor dem 05.07.2016), der bzw. die nun wieder die Versorgung von 2003 in Anspruch nehmen will, die Tür dazu nicht einfach öffnet. Da das deutsche Rechtssystem grundsätzlich keine Sammelklagen kennt und jede gerichtliche Entscheidung eine Einzelfallentscheidung darstellt, werden entsprechende Anfragen von Flugbegleiter/innen seitens der L ausnahmslos ignoriert.

IV. Klage auf eine bessere DFU- und Übergangsversorgung

Jede/r Flugbegleiter/in muss daher seine/ihre Ansprüche individuell einklagen. Die Rechtsprechung diverser Arbeitsgerichte zeigt aber, dass die Anwendbarkeit des BAG-Urteils auf den Einzelfall juristisch bisher keine größeren Hürden aufweist. Aufgrund der geltenden Rechtslage bleibt es in den Verfahren bei bisher ausnahmslos die Flugbegleiter/innen begünstigenden Urteilen in der o. g. Rechtsfrage.

Ob sich eine Versorgung eher nach den Tarifverträgen von 2003 oder von 2016 für die Betroffenen lohnt, ist eine schlichte Rechenaufgabe. Flugbegleiter/innen, die aus verschiedenen Gründen auch über das 55. Lebensjahr hinaus noch länger im aktiven Arbeitsverhältnis bei der L bleiben wollen, dürften sich im Einzelfall wohl eher besser mit der Neuversorgung stehen. Denn bei nur noch wenigen Jahren Vorruhestand, z. B. ab Vollendung des 60. Lebensjahres, haben sich i. d. R. auf dem Kapitalkonto mehr Mittel angesammelt, als dass diese durch Rentenzahlungen übertroffen werden könnten.

Anders sieht es allerdings in Fällen von DFU sowie einem vorzeitigen Ruhestand mit Vollendung des 55. Lebensjahres aus, da die Firmenrenten der L aufgrund der tarifvertraglichen Freigrenzen durchaus auch noch mit einem Zusatzverdienst ausserhalb von L kombiniert werden können.

Für eine Klage sollte aufgrund der Komplexität der Regelungen immer ein entsprechend versierter Rechtsanwalt beauftragt werden.

Die Kanzlei Lindner Anwälte hat bisher mehrfach Flugbegleiter/innen beraten und gerichtlich erfolgreich vertreten.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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