Kann mich mein Ehegatte aus der Ehewohnung schmeißen?

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Eine Besprechung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Celle vom 10.08.2022

1. Einleitung

Funktioniert die Ehe nicht mehr, ist in der Regel eine Scheidung, die eine Trennung voraussetzt, meistens die Folge. Bei dieser Trennung der Ehegatten zieht in der Regel einer der beiden aus der bislang gemeinsam genutzten Ehewohnung aus. Solange sich die beiden Ehegatten einigen können, welcher von ihnen die Wohnung verlässt, stellt sich die folgende Frage nicht.

Aber was ist, wenn Uneinigkeit darüber besteht, welcher der beiden Ehegatten die Ehewohnung verlassen und damit ausziehen muss? Kann ein Ehegatte den anderen Ehegatten einseitig aus der Wohnung verweisen?

Mit dieser Frage hatte sich unlängst das Oberlandesgericht Celle (Beschluss vom 10.08.2022 – 21 WF 87/22) zu befassen.

Dieser Artikel will versuchen die Entscheidung des Gerichts zusammenzufassen und Aufschluss auf die Frage, ob ein Ehegatte den anderen aus der Ehewohnung schmeißen kann, zu geben. Dabei erhebt dieser Artikel bereits aufgrund seiner Kürze keinen Anspruch auf Vollständigkeit und kann zudem keinesfalls jeden erdenklichen Einzelfall abdecken. Dieser Artikel stellt damit keine allgemeingültigen Grundsätze aus und ersetzt in Zweifelsfällen keinesfalls das Aufsuchen eines Rechtsanwalts (m/w/d), um eine umfassende Rechtsberatung im Einzelfall zu erhalten.

2. Sachverhalt im zugrundeliegenden Fall

In dem oben genannten, vom Oberlandesgericht Celle zu entscheidenden Fall leben die beiden Ehegatten zunächst gemeinsam in einer Wohnung zur Miete. Beide Ehegatten hatten jeweils den Mietvertrag mitunterzeichnet und waren daher Vertragsparteien dieses Mietvertrags.

Nach der Trennung der beiden, setzte ein Ehegatte den anderen vor die Tür und verweigerte diesem fortan den Zutritt zu der Wohnung.

Der Ehegatte, welcher der Wohnung verwiesen worden war, wollte dies nicht hinnehmen, da er keine andere Bleibe hatte und sich zudem noch eigene Gegenstände in der Ehewohnung befanden. Er stellte daher einen entsprechenden Antrag beim Familiengericht auf „Wieder-Mitbenutzung“ der Ehewohnung und beantragte zudem die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe.

Das Familiengericht lehnte zunächst den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung ab, es bestehen keine ausreichenden Erfolgsaussichten seines Antrags auf Mitbenutzung der Ehewohnung.

Gegen diese Entscheidung des Familiengerichts legte der Ehegatte Beschwerde ein, so dass nun das Oberlandesgericht Celle erneut über die Erfolgsaussichten seines Begehrens zu entscheiden hatte.

3. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts

Das Oberlandesgericht Celle bejahte in seinem Beschluss vom 10.08.2022 (21 WF 87/22) die erforderlichen Erfolgsaussichten und verwies daher das Verfahren zur erneuten Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag an das Familiengericht zurück.

Dabei stellte das Oberlandesgericht Celle seine klare Rechtsaufassung dahingehend dar, dass der Ehegatte im vorliegenden Fall sogar aus zwei Gesichtspunkten einen Anspruch auf die weitere Mitbenutzung der Ehewohnung hat.

3.1. Anspruch aus der Verpflichtung der ehelichen Lebensgemeinschaft, § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB

§ 1353 Abs. 1 S. 2 BGB legt fest, dass „[…] Ehegatten […] einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet [sind]; sie tragen füreinander Verantwortung“.

Aus dieser sog. Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft, welche von § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB geregelt wird, folgert das Oberlandesgericht, dass beiden Ehegatten der Mitbesitz an der Ehewohnung sowie an den Haushaltsgegenständen zusteht, wenn diese gemeinsam in dieser Ehewohnung leben. Dies gilt – laut dem Oberlandesgericht Celle – unabhängig davon, ob die Ehegatten die Wohnung gemeinsam gemietet hatten oder nur ein Ehegatte Mieter der Wohnung nach dem Mietvertrag ist.

Dieses Recht beider Ehegatten auf Mitbesitz an der Ehewohnung entfällt erst dann, wenn die Ehegatten anlässlich ihrer Trennung eine andere Vereinbarung über die künftige Nutzung der Ehewohnung getroffen haben oder ein Ehegatte aus der Ehewohnung mit dem Willen ausgezogen ist, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wiederherzustellen. Das bloße vorübergehende Verlassen der Wohnung führt indes nicht zum Erlöschen des Anspruchs auf Mitbesitz an der Ehewohnung. Vielmehr muss das Verlassen gerade ein Ausdruck der willentlichen Aufgabe des Mitbesitzes an der Ehewohnung darstellen. Fehlt ein solcher Wille, wie dies bei einem bloß vorübergehenden Verlassen der Wohnung der Fall ist, wird der Mitbesitzanspruch nicht berührt. Selbst der vorübergehende Aufenthalt in einem Frauenhaus oder bei der Familie im Ausland reicht nach Ansicht des Oberlandesgerichts Celle nicht für eine Aufgabe des Mitbesitzes aus.

Mit anderen Worten folgt bereits aus dem Umstand, dass die Ehegatten zuvor zur Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft gemeinsam in der Wohnung gelebt haben, ein Anspruch beider Ehegatten auf den jeweiligen Mitbesitz an der Ehewohnung. Ohne die Einschaltung eines Gerichts, kann ein Ehegatte den anderen also nicht eigenständig aus der Ehewohnung werfen.

3.2. Anspruch aus dem Besitzrecht infolge des Mietvertrages

In dem vom Oberlandesgericht zu entscheidenden Fall hatten beide Ehegatten jeweils den Mietvertrag unterschrieben. Beide Ehegatten waren daher Mieter der Ehewohnung. Folglich hatten beide Ehegatten bereits aus dem unterschriebenen Mietvertrag ein Recht zum Besitz an der Ehewohnung.

Somit stellte das Oberlandesgericht Celle in dem oben genannten Beschluss fest, dass neben dem Anspruch auf Mitbenutzung der Ehewohnung aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB zu dem ein Anspruch des „rausgeworfenen“ Ehegattens auf Wiedereinräumung des Besitzes aus § 861 Abs. 1 BGB besteht. Durch die Wiedereinräumung des Besitzes bzw. Mitbesitzes kann dann der „rausgeworfene“ Ehegatte die Ehewohnung wieder (mit-)benutzen.

Hierzu führt das Oberlandesgericht Celle aus, dass nach § 861 BGB der Besitzer bzw. Mitbesitzer dann die Wiedereinräumung des Besitzes verlangen kann, wenn der Besitz durch sog. verbotene Eigenmacht entzogen wird. Verweigert demnach ein Ehegatte dem anderen den Zutritt zur Ehewohnung, stellt dies eine solche verbotene Eigenmacht dar, da auch der verwiesene Ehegatte ein Besitzrecht aus dem Mietvertrag hat, welches der andere Ehegatte nicht einseitig aufheben kann bzw. darf.

Haben also beide Ehegatten den Mietvertrag (mit-)unterschrieben und sind somit Partei des Mietvertrages, haben beide Ehegatten bereits aus dem Mietvertrag ein Recht zum Mitbesitz der Ehewohnung. Dieses Recht tritt dabei gegebenenfalls neben das Recht auf Mitbesitz an der Ehewohnung aus der Verpflichtung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Anders als das Recht auf Mitbesitz aus § 1353 Abs. 1. S. 2 BGB greift das Recht auf Einräumung des Besitzes aus § 861 Abs. 1 BGB auch dann, wenn zwar beide Ehegatten den Mietvertrag unterschrieben haben, aber noch nicht gemeinsam in der Ehewohnung gelebt haben.

4. Ausnahmen!

Allerdings ist in Bezug auf die in der Artikelüberschrift aufgestellte Frage dahingehend Vorsicht geboten, dass es durchaus Möglichkeiten für einen Ehegatten geben kann, nach denen er den anderen aus der Ehewohnung schmeißen kann.

Um die Frage der Artikelüberschrift kurz zu beantworten: Ein Ehegatte kann den anderen Ehegatten nicht selbstständig und ohne eine gerichtliche Entscheidung der Ehewohnung verweisen. Waren jedoch zum Beispiel Gewalttaten der Grund der Trennung oder ist ein Ehegatte aus anderen Gründen auf die Alleinnutzung der Ehewohnung in erheblich hohen Maß angewiesen, kann eine gerichtliche Wohnungszuweisung beantragt werden.

Im Rahmen einer solchen gerichtlichen Wohnungszuweisung wird einem Ehegatten dann die Ehewohnung oder ein Teil davon zur alleinigen Benutzung überlassen, soweit dies notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Details zur gerichtlichen Wohnungszuweisung können in meinem anderen Artikel unter https://www.anwalt.de/rechtstipps/wer-behaelt-die-hausratsgegenstaende-und-die-ehewohnung-bei-einer-trennung-von-ehegatten-198172.html nachgelesen werden.

5. Was tun, wenn mich mein Ehegatte ohne gerichtliche Entscheidung aus der Ehewohnung wirft.

Um dies vorwegzunehmen: Vor einem gewaltsamen Eindringen in die Ehewohnung ist – unabhängig von dem Bestehen eines etwaigen Anspruchs – dringend abzuraten. Es sollte in dem Fall ein gerichtliches Verfahren zur Klärung der Besitzrechte eingeleitet werden.

In der Regel ist zwar in solchen Fällen Eile geboten, da der Ehegatte, der der Wohnung verwiesen wurde, zumeist ohne anderes Obdach verbleiben wird. Jedoch können sowohl der Anspruch aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB wie auch der Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB im Wege der einstweiligen Anordnung geltend gemacht werden. Hierbei handelt es sich um ein beschleunigtes Verfahren im Eilrechtsschutz, so dass eine gerichtliche Entscheidung in kürzester Zeit erfolgen kann; gegebenenfalls sogar ohne mündliche Gerichtsverhandlung.

6. Fazit

Ein Ehegatte kann zwar den anderen Ehegatten aus der Ehewohnung verweisen. Er benötigt hierzu jedoch eine gerichtliche Wohnungszuweisung.

Eigenständig und im Alleingang kann ein Ehegatte den anderen Ehegatten nicht aus der Ehewohnung schmeißen. Selbst wenn der Mietvertrag nur von einem der beiden Ehegatten unterschrieben worden ist, hat der andere Ehegatten ebenfalls ein Recht auf Mitbesitz an der Ehewohnung, so dass ihm der Zutritt zur Ehewohnung (ohne eine gerichtliche Entscheidung) nicht verweigert werden darf.

Es wird daher dringend davon abgeraten, eigenmächtig dem anderen Ehegatten den Zugang zur Ehewohnung, zum Beispiel durch den Austausch der Schlösser, zu verwehren. In einem solchen Fall kann sich der „rausgeworfene“ Ehegatten mittels gerichtlicher Entscheidung wieder Zugang zur Ehewohnung verschaffen und es entstehen womöglich Schadensersatzansprüche. Dies gilt es zu vermeiden.

Foto(s): https://pixabay.com/de/photos/abschied-verabschieden-tsch%c3%bcss-3258939/

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