[Keine] pauschale Mietminderung bei vorübergehender Geschäftsschließung wegen Corona-Pandemie

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Wie bereits andere Gerichte zuvor, hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm mit seinem Urteil vom 24.09.2021 (Az. 30 U 114/21) jüngst entschieden, dass die Beschränkungen der Covid-19-Pandemie grundsätzlich ein Recht des Gewerberaummieters zur Anpassung des Mietvertrages begründen können. In Abweichung zu manch anderen Obergerichten hält es jedoch eine „pauschale Mietreduzierung“ um 50 % für nicht mit dem Gesetz vereinbar. Für diese Meinung dürfte das OLG Hamm voraussichtlich in Kürze höchstrichterliche „Rückendeckung“ aus Karlsruhe vom Bundesgerichtshof (BGH) erhalten.

Der Sachverhalt

Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand ein Mietvertrag über Gewerbeflächen (Büro- und Werkstatträume sowie eine Hoffläche). Mietzweck war der Ankauf und die Bewertung von Fahrzeugen. Im Frühjahr 2020 war die Beklagte, wie zahlreiche weitere Mieterinnen und Mieter in ganz Deutschland, vom sog. „Lockdown“ betroffen. Aufgrund der Corona-Schutzverordnung des Landes NRW waren ihre angemieteten Geschäftsräume von Mitte März bis Mitte April 2020 geschlossen. Dies nahm sie zum Anlass, die Mietzahlungen für die Monate April bis Juni 2020 einzustellen. Vor Gericht trug sie vor, dass sie sich hierzu zum Erhalt ihrer Geschäftsfähigkeit und Liquidität gezwungen gesehen habe. Das Landgericht Essen verurteilte die Beklagte zur Zahlung der drei vollen Monatsmieten. Mit der Berufung griff die Beklagte das Urteil vor dem OLG Hamm mit der Begründung an, dass sie jedenfalls für die Zeit der angeordneten Schließung lediglich eine geminderte Miete schuldete, da insoweit ein Mangel der Mietsache vorläge. Zumindest müsse nach Ansicht der Beklagten eine Anpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage erfolgen.   

Die Entscheidungsgründe

Vor dem OLG Hamm hatte die Beklagte nunmehr ebenfalls keinen Erfolg. Nach Ansicht des Gerichts war die Beklagte auch für die Zeit der pandemiebedingten Schließung ihrer Geschäftsräume zur ungeminderten Mietzahlung aus dem Mietvertrag verpflichtet.

Wenig überraschend stellte das OLG zunächst fest, dass das Mietobjekt nicht wegen der öffentlich-rechtlichen Beschränkungen der Nutzung mangelhaft im Sinne des § 536 Abs. 1 BGB war. Denn Voraussetzung hierfür ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache in Zusammenhang steht. Durch die wegen des staatlichen „Lockdowns“ zwar faktisch bestandene Verhinderung des Zugangs zu den Mieträumen für potentielle Kunden sei jedoch nicht die räumliche Lage und Erreichbarkeit des Mietobjekts, also seine körperliche Beschaffenheit selbst, betroffen gewesen. Vielmehr sei lediglich die Art der Durchführung des Geschäftsbetriebs und des im Mietobjekts stattfindenden Publikumsverkehrs eingeschränkt und geregelt gewesen.  

Ungleich interessanter sind die sodann folgenden Feststellungen des OLG, wonach in dem konkret zu entscheidenden Einzelfall, auf den stets abzustellen sei, die Beklagte als Mieterin auch keine Anpassung des Vertrags gemäß § 313 Abs. 1 BGB nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage verlangen konnte.

Gemäß § 313 Abs. 1 BGB kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Eine schwerwiegende Störung der gemeinsamen Geschäftsgrundlage lag hier nach Ansicht des OLG schon nach allgemeiner Lebenserfahrung vor. Dies wird nach dem neu eingeführten Art. 240 § 7 Abs. 1 EGBGB auch gesetzlich vermutet.

Da der Mietvertrag für die in Rede stehende pandemiebedingte Beeinträchtigung keine ausdrückliche Regelung enthielt und daher nach höchstrichterlicher Rechtsprechung das Verwendungsrisiko im gewerblichen Mietrecht den Mieter trifft, könnte nach Ansicht des OLG bereits aus diesem Grund eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB fraglich sein. Dies ließ das Gericht ausdrücklich offen, da es jedenfalls die weiteren Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB als nicht gegeben ansah.

Nach den Feststellungen des OLG kann zwar trotz der gesetzlichen Risikoverteilung in Ausnahmefällen eine Anpassung des Vertrages geboten sein Dabei könne aber nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsabschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung rechtfertigen. Erforderlich sei vielmehr, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt. Die Prüfung dieser Voraussetzung erfordere eine umfassende Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände, insbesondere auch der Vorsteile, die der betroffenen Partei neben den Nachteilen aus den eingetretenen Veränderungen erwachsen sind.

Allein aufgrund der zeitweisen Betriebsschließung kann nach Ansicht des OLG jedoch nicht auf die konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen für den Geschäftsbetrieb insgesamt geschlossen werden. Es hätte der Beklagten oblegen, darzulegen, in welchem Ausmaß ihr Umsatz und betriebswirtschaftliches Ergebnis in einer Gesamtschau nachteilig betroffen waren. Zudem hätte die Beklagte auch zu ersparten Aufwendungen, etwa aufgrund von Kurzarbeit, und zu ggf. vorhandenen Rücklagen vortragen müssen. Da diesbezüglicher Vortrag der Beklagten fehlte und diese im Wesentlichen auf das vollständige Ausbleiben ihres Geschäfts im Zeitraum der Betriebsschließung abstellte sowie im Übrigen von einem „erheblichen Rückgang des Umsatzes“ gesprochen hat, war für das OLG nicht feststellbar, dass der Beklagten die Mietzahlung in unveränderter Höhe gerade vor diesem Hintergrund wirtschaftlich nicht zumutbar war.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung hat das OLG Hamm die Revision zum BGH zugelassen. Denn mit seiner Auffassung, dass das normative Element der Unzumutbarkeit im Sinne des § 313 BGB auch im Falle der vollständigen Schließung des Geschäftsbetriebs eines gewerblichen Mieters im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie eine im Einzelnen vom Mieter darzulegende wirtschaftliche Betroffenheit erfordere, weicht das OLG Hamm ausdrücklich von der Rechtsprechung des OLG Dresden (Urteil vom 24.02.2021 – 5 U 1782/20) und des KG Berlin (Urteil vom 01.04.2021 – 8 U 1099/20) ab. Diese nehmen in derartigen Fällen unter Anwendung des § 313 BGB eine regelmäßige Reduzierung der Miethöhe um 50 % an.

Bewertung durch den BGH

Da auch das OLG Dresden in seinem vorbenannten Urteil vom 24.02.2021 die Revision zugelassen hat und diese von beiden Parteien eingelegt worden ist, konnte sich der für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH bereits in seiner Verhandlung vom 01.12.2021 (Az. XII ZR 8/21) mit der Rechtsfrage beschäftigen, ob ein Mieter von gewerblich genutzten Räumen für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der Corona-Pandemie zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet ist. Nach vorläufiger Einschätzung des Senats sei jedenfalls die „50 %-Lösung“ zu pauschal. Es dürfte vielmehr eine umfassende Prüfung des Einzelfalls vorzunehmen sein. Dabei seien zum Beispiel auch zu berücksichtigen, ob der betroffene Mieter staatliche Hilfen oder Versicherungsleistungen (Betriebsschließungsversicherung) bekommen hat. Das Urteil in dieser Sache soll am 12.01.2022 verkündet werden.

Eine höchstrichterliche Klärung dieser sehr praxisrelevanten Rechtsfrage ist daher kurzfristig in Sicht.

Foto(s): https://pixabay.com/de/illustrations/schranke-rechts-schlagbaum-rot-5231005/

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